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Brigitte Oleschinskis Gedichte präsentieren sich als Reise in fremde Kulturräume.

P oesie in die Textlandschaft gegossen, kraftvoll, zart, hingehaucht und zur Metapher geflochten. So schreibt Brigitte Oleschinski, die 1955 in Köln geborene Lyrikern, die am 14. 11. in Wien den Erich-Fried-Preis erhält.

Ihr neuer Gedichtband "Geisterströmung" führt in andere Kulturräume und zieht mit schlafwandlerischer Sicherheit fort auf Traumspuren in eine Welt, in der die Rede ist von "ältester Stille" und "Vorzeitgeräuschen". Oleschinski legt diese Lyrik als Reise an. Dabei verdichtet und vergegenwärtigt sie Impressionen bruchstückhaft zur Momentaufnahme. "das Gras / läuft überland, hügelan, hügelab, wird Reis / und Tee und wieder Gras - ". Der oft gesetzte Bindestrich symbolisiert das Ausschnitthafte, das Anreißen der Wirklichkeit samt Offenheit für vielfältige Aspekte des Bewusstseins. Gleich zu Beginn zeichnet sie mit filigranen Strichen eine vielstimmige Szenerie: "auf dem Nachtrücken, rücklings nackt ... wenn das Zirren / wieder einsetzt und der Wind nach / Mitternacht, die ersten matten Vogelstimmen, noch / sind die Sterne zu sehen, der Termitenhügel / nebenan, der stille Helikopter- / platz, wir / liegt schlaflos." Die enge Verknüpfung der Verszeilen durch das Hereinwachsen der neuen in die vorangehende und der bewusst gesetzte Grammatikbruch verstärken den Eindruck einer Simultaneität der ineinander fließenden Bilder. Oleschinskis Lyrik ist keine Poesie des falschen Zaubers, in der die Schönheit magischer Entrücktheit und die Fremdheit des anderen beschworen werden. Ihr Schreiben fällt sicher nicht in die Schlupflöcher einer Traumwelt, sondern ist gepflastert mit den Wachbildern der Realität. Voll Zartheit die Frage nach dem Beginn der Berührung (oder an anderer Stelle: "Hände wie Zungen, die erste / Grammatik -") und die Verschmelzung von Vertrauen und Geruch. Dann variiert sie Liebe und Leidenschaft als Reise und dünnt den Rausch des Empfindens zu einer Reflexion über den Krieg aus: "wir reisten, (eher:) wurden gereist, irgendwer / zahlte das Zimmer, gab uns ein Kingsize-Bett, einen Vorhang aus Regenzeitrauschen, wir schon ein Dschungel / aus Haaren und Zähnen, ... wir / sind / Milliarden und Abermilliarden, jeder / Cent / davon / führt Krieg."

Oleschinskis Gedichte geben einen polyphonen Eindruck von unterschiedlichsten Alltagsbeobachtungen, Gedanken- und Traumspiralen, von kulturellen Riten und von Lauten und Sprache. In ihnen spiegelt sich eine tiefe Emotionalität und Wachheit für synästhetische Wahrnehmungen wider. Ihr Blick in die Zwischenräume anderer Kulturen stöbert die breiten Aromen des Fremden auf. Wie ein Film ziehen Bildfetzen und Klänge vor dem Auge des Reisenden vorbei: Da das "Gerippe am Straßenrand", dort ein "bodenlanges Lächeln im Sehschlitz / der Gastkultur", ein "leuchtendes Mädchen" auf dem Mofa und "Tropenlaken". Und daneben das Unästhetische, das Rostige und Aufgebrochene, das Verwesliche.

Oleschinski schneidet in die Wörter hinein und legt neue Ober- und Untertöne frei: Tee gibt es "von den Schwefel-/plantagen, aus den Gewürzminen Silicium oder Silikon, die Schweißnähte von Nike, Puma, Adidas" und dann der unbemerkte Nachsatz auf der nächsten Seite: "winziger Minen- / schuh mitten im Vers, sein schief- / getretener Absatz". Man fühlt sich hineingezogen in diese Welt, nimmt die Gecko-Hände an der Decke wahr und weiß plötzlich, dass die "letzten Wanderer" tatsächlich "Gedichte sein werden, in der weglosen Landschaft".

Geisterströmung

Gedichte von Brigitte Oleschinski m. Audio-CD "Wie Gedichte singen". DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2004, 100 Seiten, geb., e 25,60

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