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AGNETE

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3. Fortsetzung

Und nun, sehen Sie, was ihr Brief in diesem Sinne mir bekannte, diese lächelnde Einkehr des von allem irdischen Jammer Losgelösten ins kosmisch Unvergängliche, das war ja schon seit langem auch das letzte Ziel meiner eigenen inneren Sehnsucht gewesen!

Und so las ich mit immer höherem Erstaunen, daß hier ein selten starker weiblicher Geist, mir verwandt wie bisher kein zweiter, zur letzten reinsten Einsamkeit Zarathustras, d-es Konfuzius oder Gotamo Buddhas sich zu verklären begann, was das brüderlidte Streben in mir mit tiefer Bewunderung und Freude erfüllte.

Und doch — und hier setzt nun das Vergehen ein, dessen ich mich zu beschuldigen habe —, es regte sich plötzlich ein Widerspruch in mir und die verwegene Frage, ob es nicht doch noch möglich wäre, diese schöne einsame Frau — denn daß Agnete schön war, daran zweifelte ich nicht — dem, was wir glatthin das Leben nennen und seinen irdischen Freuden noch einmal zurückzugewinnen.

Wie mochte dieses dunkel abseitige, meiner eigentlich durchaus unwürdige Verlangen in mir entstanden sein? Im Briefe Agnetens befand sich nichts, was mich dazu hätte ermutigen können. Im Gegenteil. Das stolze Bekenntnis ihres einsamen Herzens zum letzten Beruhen in sich selbst, das ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Wenn überhaupt, so suchte Agnete hödi-stens Bruderschaft mit mir im Geiste und auch diese nur auf die Dauer ihres Geständnisses. Von dem, was da billige Koketterie mit dem Schicksal heißt, von irgendeiner Absicht, interessant erscheinen zu wollen, befand sich keine Spur in diesem wuchtig klaren und durchaus eindeutigen Bekenntnis ihrer großen, mit sich selbst ins reine gekommenen Natur.

Ich weiß jetzt, da ich zurückdenke, nur eine einzige abseitige Erklärung für meine Verwirrung: Agnete hatte es in ihrem Briefe unternommen, den letzten Mantel dunkel verworrener Leidenschaft von sich zu werfen; ich selbst aber hob ihn als ihr Mitwisser auf und sein flammendes Gespinst, gewoben aus der Glut ihres Künstlerherzens, umbrannte mich und ließ mich irdisch sinnlich empfinden, was sie bereits vergeistigt von sich abgetan.

Ich fühle, indem ich das sage, daß wir hier auf Gebiete geraten, die sehr subtil sind.

Kehren wir nun zu den Geschehnissen zurück. Zum Sdilusse ihres Briefes berichtete mir Agnete sie habe sich auf Anraten des Arztes nach Südtiorl begeben und weile nun seit mehreren Wochen Jm KarersecUitel am Fuße des Rosengartens. Das weltlich? Treiben in dem stets überfüllten Hause, erzählte sie. sei ihrem Hange zum Alleinsein keineswegs hinderlich; im Gegenteil, die vielen stets wechselnden Leute, die seien wie eine plätsdiernde Woge aus dem Meere der Menschheit, an dessen Strand man unbehelligt sitzen könne, das weite schw i-gende Bergland hinter sich, in dessen gastliche Stille man zu i?der Sturide flüchten könne, auf sanften Pfaden, die durch gelindes Grün zu den geisterhaften Wundern des Rosengartens und des Latemars hinanführen.

Auch diesen nächtlichen Weg, auf dem wir eben schreiten, beschrieb mir Agnete sowie sie überhaupt mit wenigen Worten ihrer ausgereiften Kunst mich alles, was sie hier erlebte, erstaunlich wahrhaft miterleben ließ. Ich war, besonders nach ihren späteren Briefen, so gut wie zu Hause auf dieser seligkühlen Insel ihres letzten Glaubens.

Und was sie etwa noch im Worte ungesagt ließ, das vollendete sie im Bilde. Agnete war nämlidi erstaunlich geschickt als Ama-teurphotographin. Sie wußte dem Formenspiel der Landschaft, dem ja das Licht- und Schattenspiel ihrer eigenen Seele entsprach, immer neue malerische Offenbarungen abzulauschen, und die Schönheit ihrer eigenen inneren Welt war es, die sie mir derart im Rahmen des Geschauten bot. Es war Erhebung und Freude im .reinsten Sinne, was sie mir bekannte, es war Befreiung, v. r Erlösung, es war ja sdiließlich Religion!

Nehmen Sie mir diese ausführlichen Betrachtungen nicht übel“, sdialtete Degenhart ein, „aber ich fürdite, mich anders nicht verständlich machen zu können. Ich habe, indem icli hier mein eigener Ankläger bin, auch Agnetes Anwalt zu sein; und Sie sollen die Größe des Besitzes kennen, dessen ich sie beraubte.

Nachdem ich also Agnetens ersten Brief mit Selbstüberwindung verbrannt hatte, ging ich am nächsten Tag bereits daran, ihn zu beantworten. Wie anders war jetzt meine Lage als vor kurzem noch! Ich hatte vor wenigen Tagen noch ein .hysterisches Frauenzimmer' in !2)f vermutet, das man kaum einer Antwort zu würdigen brauche. Jetzt aber ging ich an meinen Brief wie an eine ernste innere Pflicht, ich zählte die Stunden nicht mehr, die idi an meiner dichterischen Arbeit versäumte, ich glaubte plötzlich nichts Wichtigeres zu tun zu haben, als an Agnete zu schreiben.

Und so begann ich ihr vor allem meine Freude auszusprechen über die große starke Befreiung, die sie mit der Heimkehr in die Unercchöpflichkeit der Natur, in den kosmischen Allgeist an sich vollzogen hatte. Aber — Sie werden hier vielleicht aufs neue über meine Skrupelh.ifiigkeit lächeln — ich tat das nicht ganz dem hohen heiligen Amte gemäß, zu dem mich Agnetens Bekenntnis verpflichtete. Es ist das Amt des Beichtvaters, der ich ihr gegenüber schließlich war, sich selbst in Ruhe zu halten, die eigene Einsamkeit zu wahren, dem Beichtkind Tempel und Echo zu sein, Bestätiger und Tröster seines Leides. Als Beichtkind im reinsten Sinne war Agnete zu mir gekommen. Die Fremde zu dem Fremden, über Millionen Seelen hinweg hatte sie eine suchende Brücke zu mir geschlagen, vielleicht um einmal noch, zum letzten Male wohl, einen menschlichen Gruß zu empfangen auf ihrer Wanderung in das große lächelnde Absdiiednehmen von allem Allzuweltlichen.

Ich aber begann, bezaubert von dieser seltsamen Blüte edelweiblichen Geistes, mit Eifer zur verwandten Seele zu sprechen, viel wärmer, persönlicher, männlicher, als mir erlaubt war. Es war nicht reiner Geist mehr, was ich ihr bot, und es war auch im Geiste nicht völlig rein. Ich madito mich vor allem einer in diesem Falle schwer verzeihlichen Entgleisung schuldig: ich sprach zu viel von mir selbst! Ich ließ Agneten empfinden, ihr Schicksal rühre verwandte menschliche Tiefen in mir auf, ich igab ihr nicht das erlösende Verständnis der Allmcnschlichkeit allein, wie es des Beichthörcrs Pflicht gewesen wäre, ich sprach zu sehr vom Schlage meines eigenen Herzen zu ihr, wenn es auch vorerst nur in Mitleid geschah.

Es rührte sich, indessen ich ihr derart sdirieb, eine Stimme in mir, die riet mir, von diesem gefährlichen Spiele abzulassen. Denn — ich muß mich hier aufs neue beschuldigen — ich zweifelte nicht an der Macht meines Wortes über diese mir so tief verwandte Natur!

Verstehen Sie nun, wie ich es meine? Ich möchte es die ,Schmach des Mannes' nennen, was ich hier, wenn auch zunächst noch unbewußt, zu begehen im Begriffe war. Wir

Strebenden aus Adams Stamme, seit Jahrtausenden an das Vorrecht der geistigen Thronbesteigung gewöhnt, wir sehen doch in Eva gemeinhin die Verführerin, die aus irdischer Tiefe die Frucht vom Baume der Erkenntnis zu uns heraufreicht. Wir wähnen und behaupten dann, sie zöge uns zu sich herab.

Wenn aber Eva, des Lichtes Sucherin gleich uns, aus seltener Kraft heraus sich zum Geiste befreit, geziemt es uns, den Pächtern des Geistes, das irdisch Unzulängliche aufs neue in ihr wachzurufen?

Wer dies begeht, begeht das einzige, was im Leben eines nach Vergeistigung Strebenden wahrhaft unverzeihlich bleibt: ich meine die Sünde im Geiste.

Ich greife aber hier den Geschehnissen allzusehr voraus. Ich hätte kürzer sagen können: es war zunädist nur eine dunkel unbewußte Ahnung in mir, daß ich in meinem ersten Briefe an Agnete nidit ganz auf dem richtigen Wege sei.

Und die Art ihrer Antwort schien mir das auch zu bestätigen.

Es dauerte lange, viel zu lange, ehe ihre Antwort auf mein Schreiben eintraf.

Sie dankte mir darin für mein überraschend gütiges und liebes Verständnis', wie sie es nannte, sie zeigte sich in hohem Maße erfreut über meine warme Teilnahme an ihrem Schicksal, sie schrieb auch sonst noch vieles über ihr Sinnen und stilles Wandern in den brüderlichen Bergen, was mir ihr inneres Dasein und seine rührende Größe noch näher brachte, aber ich glaubte doch eine leise Scheu und Bedrückung zwischen den Zeilen wahrzunehmen, als könnte oder wollte sie die leuchtende Brücke aus ihrer einsamen Welt nicht abermals mit jener Kraft des rückhaltlosen Bekenntnisses zu mir herüberschlagen wie in ihrem ersten Briefe.

(Fortsetzung folgt)

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