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AGNETE

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6. Fortsetzung

Ich blieb nun, nadidem die beiden mir entschwunden waren, noch eine Weile an meinem Tisdie sitzen und überdachte, was nun ferner zu geschehen habe. Da keine Nötigung für mich bestand, vor Abend in der Stadt zu sein, beschloß ich, den Nadi-mittag auf der Höhe zu verbringen. Es war eine dunkle Botschaft in mir, als könne es mir beschieden sein, Agnete noch heute ungestört zu sehen und zu sprechen.

Sie kennen vielleicht den berühmten Weg durch den Eckenwald zur Arzler Alpe? Den ging ich ein Stück hinauf, bis ich zu einer Bank kam, von der sich mir eine wunderbar weite Aussicht über das Inntal erschloß. Ich sog die wehmütige Schönheit des ernsten, stillen Landes wie in einem leisen Fieber in mich auf. Es gibt Augenblicke, Sie werden das wohl aus eigener Erfahrung wissen, da man dem Pulssdilag einer Landschaft nahe wie dem eigenen Herzschlag zu sein glaubt. So eine Stunde der letzten hellsten Offenbarung war mir jetzt beschieden. Von der Wärme des Sommertages war hier oben nicht viel zu verspüren; eine große, reine Kühle wehte von den Bergen herab. Es waren seltsam feine, verklärte Vogelstimmen im nahen Walde wach geworden, aus der Höhe grüßte leises Herdengeläut. Die Berge standen zu unerhört besonnter Klarheit aufgerichtet. Ganz oben, im zartesten Blau der Felsenkippung, thronte Frau Hitt, die Versteinte, es war hier alles Symbol und selige Sage, das Märchen Tirol, es sprach zu mir in jener Stunde so aufgeschlossen wie noch nie.

Dodi ist es immerhin möglich, daß mein erregtes Herz allein dies alles in so empfindsamen Farben aufleuchten ließ. Ich erkannte mit Verwunderung, ja mit wachsender Sorge, daß die Nähe Agnetens mich wesentlich anders sein ließ als bisher. Ich fühlte mich in manchem Sinne widerstandslos geworden, es hatte sich ein Rauschgefühl meiner Seele bemächtigt, dem ich mich seltsam gefügig hingab. Wie der Schwimmer auf bewegter See um der Köstlichkeit des Sturmes wegen seinem Schicksal nachzuhangen vergißt, ließ auch ich mein Herz auf den Wogen eines mir noch fremden, aber deshalb um so verheißungsvolleren Schicksals treiben. Und mir war in dieser einsamen Stunde mit entscheidender Gewißheit klar geworden, daß ich Agnete liebe und nicht mehr von ihr lassen könne!

Und plötzlich begann mich, wie ich so saß, eine merkwürdige Unruhe zu erfüllen; ich beschloß, den Waldweg hinabzugehen, •m sicheren Gefühl, Agnete da irgendwo in Jer Einsamkeit zu begegnen. Ich konnte den Glauben nicht los werden, sie werde mir nun auf dem Waldpfad entgegenkommen, wie das Schicksal es uns bestimmt hatte, das mir allein für alles Kommende verantwortlich schien.

Und so deutlich fühlte ich das, daß ich immer enttäuschter wurde, je länger ich abwärts ging, daß mir die liebe, ersehnte Gestalt aus dem Zwielicht des Waldes noch immer nicht enttauchen wollte.

Als ich aber bei der untersten Biegung des Weges, dort, wo der Wald bereits in den Hotelpark übergeht, die letzte kleine Lichtung betrat, sah ich Agnete wirklich auf einer der dort aufgestellten Bänke sitzen, ein mitisgrünes Seidentuch um die Sdiultern, in lässiger Verträumtheit zurückgelehnt, und diese plötzliche Erfüllung meines geheimen Wunsches ließ mich, Sie werden das begreifen, einen Augenblick wie festgewurzelt vor ihr stehenbleiben und sie sdiweigend ansehen.

Und sie, die meine nahenden Schritte wohl gehört hatte, erschrak keineswegs über den plötzlich auftauchenden Menschen und seine seltsame Art. Ihre Augen begegneten mir eine Weile groß und fragend, dann zog eine leise Röte über ihr Gesidit, und sie sagte, das Haupt leicht zum Gruße neigend, mit wehmütig stillem Lächeln: ,So sind Sie also doch nach Innsbruck gekommen, Herr Degenhart?'

Ich verbeugte mich wortlos und wartete. Idi wollte in einem mich jäh überkommenden Schuldgefühl die Entscheidung über den Augenblick ihr allein überlassen.

,Ich sehe, meine Absicht, Sie eine Zeitlang ohne Nachricht zu lassen, ist also jämmerlich mißglückt', fuhr sie lächelnd fort, in einer heiter bestimmten, unendlich damenhaften Art. ,Wir müssen also mit den Tatsächlichkeiten rechnen? Ich heiße Sie in Innsbruck willkommen.'

Damit reidite sie mir die Hand, die ich küßte, förmlicher, als meiner Erregung entsprach. Und dann fand ich auch den Mittelton zwischen dem, was ich sagen wollte, und dem, was ich durfte:

.Mich hatte Ihr Schweigen aufs tiefste besorgt gemadit, Agnete.'

Sie erhob sich, etwas mühsam, wie mir schien, und stand nun aufgerichtet neben mir. Ihr kluges schönes Gesicht, das noch den dunklen Schmelz der Dolomitensonne trug, war mir plötzlich in bezwingender Offenheit zugewandt. Bei aller Sanftheit ihres Blickes lag etwas Starkes, Gebietendes in ihm, es betraf mich darin wie eme schweigend tiefe Mahnung: Hüte didi, es geht hier um Menschüdikeit! Aber nodi etwas anderes, mir ungleidi Willkommeneres glaubte ich aus den Tiefen dieser beredten, goldbraunen Augen zu lesen, etwas rückhaltlos Bekennendes, mich zutiefst Betreffendes, das sprach mit entschiedener Unbedingtheit, stolz und frei zu mir: Du bist mir lieb!

Sogleich stand aber auch die bittende Mahnung darin: Es darf nidit sein, daß du darüber sprichst!

Und ich gehorchte.

,Es wird wohl am besten sein, Sie begleiten midi jetzt ins Hotel, im Falle Sie noch Zeit dazu haben', begann sie hierauf, gesellchaftlich ablenkend. ,Ich will Sie mit meinem Gatten bekannt machen. Ich hatte ihm seinerzeit von Ihnen geschrieben. Er wird sich freuen, Sie kennenzulernen.'

Ich aber fühlte: jetzt ist sie untergetaucht in die andere, ihr farblose Welt, in das Gefängnis ihrer Seele, wie gut verstehe ich das! Ich gehe mit ihr, ich werde ihr folgen! Ihr Mund mag spredien, was immer er will. Das Licht ihrer Augen bleibt mir nicht versagt!

Sie bat mich, ihr den Arm zu reichen, und da merkte ich erst, wie sehr sie bei einem müden, verzögerten Schritt dieser Stütze bedurfte. Und da vermied idi es, sie nach ihrem Befinden zu fragen.

Der Sektionsrat erwartete sie bereits auf der Hotelterrasse. Er sdiien wohl einigermaßen verwundert über die fremde Begleitung, in der sie da kam. Als ich ihm vorgestellt wurde, verriet er mit keiner Miene, ob ich ihm willkommen sei oder nicht.

Und als ich ihm die Hand zum Gruße bot, hatte ich plötzlich das Gefühl einer merkwürdig schmerzenden Erniedrigung diesem Manne gegenüber, das mich auch in der Folge nicht mehr verließ. Wer jemals einem Gatten gegenüber in ähnlicher Lage war, wird mich verstehen. Man leistet solcherart, es ist das nicht gut in Worte zu fassen, eine unfreiwillige Abzahlung auf unerlaubtes Glück.

,Wir warten jeden Augenblick noch auf einen anderen lieben Besudi', wandte sich Agnete nunmehr zu mir. ,Mein Bruder kommt aus Wien. Er will den Großglock-ner besteigen auf einem neuen, recht gefähr-lidicn Wege. Alljährlich nützt er seinen kurzen Urlaub, er ist Ingenieur bei den Siemens-Werken, zu irgendeinem recht verrückten touristischen Wagnis aus. Anders tut er es nicht. Mein Bruder ist einer Seele mit mir in seiner Liebe zu den Bergen. Ich bin nur immer sehr besorgt um ihn, denn seine Lust in der Bezwingung neuer gefährlicher Steige verführt ihn immer mehr ins Überkühne.*

(Fortsetzung folgt)

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