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Aksdiiedsbrief an Reinriold Schneider

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An einem grauen, harten Vorfrühlingstag dieses Deines Sterbejahres standest Du mit uns in der Burg von Wiener Neustadt. Dein Leib gekrümmt, schmerzgerüttelt, Dein Auge aber umfing leuchtend diese arme, schöne Erde und alles, was auf ihr bestand und verging.

Nach Deinem irdischen Tode dürfen wir ein Wort auf Dich beziehen, das der im europäischen Katholizismus vielleicht einzig Dir vergleichbare Mann, Georges Bernanos, von sich schrieb, über seine eigene Asche hinweg: „Wenn ich gestorben bin, sagt dem süßen Königreich Erde, daß ich es mehr geliebt habe, als ich je auszusprechen wagte.“

Du warst der reinste Liebhaber der Erde, der irdischen Wirklichkeit, dieses Menschen da, zwischen Kain, Abel und den Atomwaffen' predigenden 'Christen von 1958: eben dies bereitete Dir selbst unsagbaren Schm'ert, den Zeit-genossen Erschrecken, den Freunden Erschütterung. Eben dies: Deine reine, keusche Liebe zu dem Menschen, der sich mit Lüge, Lärm, Blutschuld beschmutzt.

Nun werden sie beginnen, Dich einzusargen mit schönen Worten, Dich in die Unverbind-lichkeit der Dichtung und der schönen Form zu entrücken. Dich, der Du als erster und einziger, einzig Namhafter von allen gut und schön und klug und gescheit und fromm schreibenden Katholiken ausgebrochen bist aus dem elfenbeinernen Turm der Fernstenliebe, in dem es sich so wunderschön reden läßt, von Christentum und Abendland, verbindlich schweigen läßt von dem, was da mitten unter uns ist: der Mord, der Krieg, der Wahnsinn: der dämonische Gruppenegoismus von Christen, die es wagen, Christus auf den Lippen zu tragen, und Tod, Haß, Verachtung des Nächsten im Herzen.

Du bist in einem Augenblick von uns hin-' weggegangen, in dem wir Deiner bedürfen, mehr als je zuvor, seit dem Tage, an dem Du den Stockholmer Appell gegen die Atombombe unterschriebst. Du hinterläßt eine Herde von Christen, die vielfach nicht wissen, wie sie in das Tor des Friedens hineinschreiten sollen. Dies sei an Deinem Totenbett bekannt, in Ehrfurcht vor Dir und vor den obersten Hirten der Christenheit, deren Ruf zum Frieden immer wieder ertönt — und zuwenig gehört wird,

, pas sind da unangenehme Dinge, die ich da sage. Warum muß ich Dich, verehrter Freund, auf Deinem Totenlager mit so schwerer Bürde belasten?

Du lächelst: warum sollte in eben dieser Stunde nicht von dem gesprochen werden, was Dich einzig und allein in diesen letzten Jahren und diesen letzten Tagen Deines Lebens bewegt hat?

Es ist dem Freunde nicht erlaubt, einen anderen Abschied von Dir zu nehmen, als eben den Abschied zu empfangen, den Du selbst gegeben hast.

Deine Abschiedslesung bei dem Empfang, den

Dir der deutsche Botschafter in Wien gab, als Du von uns gingest, enthielt für den, der Dich vernahm, Dein Testament. Du lasest da drei kurze Stücke aus Deinen Aufzeichnungen in Wien. Das erste ein Bericht über Deine Teilnahme an einem österreichischen Staatsakt im Unterrichtsministerium, die Ehrung eines österreichischen Dichters betreffend; diese Skizze aber bereits eingerahmt von einem anderen: vorher oder nachher trafst Du, „zufällig“, wie Gott es gibt, Deinen Freund Hahn, der eben in Wien weilte und vom Atomtod sprach. Die zweite Skizze betraf unseren Besuch in Wiener Neustadt. Die dritte Deinen Besuch im Heeresmuseum: eine unvergleichliche Rühmung, ein Sich-Neigen vor der Größe der Toten, der Helden; eine Ehrung des großen Glanzes, der die Fahnen unserer alten Armee umwob, die für Kaiser und Reich auf allen Schlachtfeldern Europas blutete. Und, innigst verwoben mit dem Dank an ihre Größe, das andere: Du bist hindurchgeschritten durch die Ruhmeshalle, bis Du ins Freie tratest: in die Schwelle des Neuen, der Neuzeit, die eben beginnt und die andere Waffentaten gebieterisch vom Menschen verlangt. Waffentaten der Liebe, des Geistes, des gottmenschlichen Geistes, der sich rein und zärtlich in ergriffener Nüchternheit vor der Wirklichkeit beugt.

Vor der Wirklichkeit, die ganz undurchsichtig ist.

Das nämlich ist — und Du ließest im Gespräch keinen Zweifel darüber aufkommen — die zweite Botschaft Deines Abschieds, ernst, wie die erste: Deine dringende Bitte an die Christen Deutschlands und Europas, doch Denker und Täter des Friedens zu werden. Ist diese Deine Botschaft schon drückend genug für uns alle, so birgt Deine zweite Botschaft eine sprengende Kraft, die sich in den Geschlechtern, die nach uns kommen, offenbaren wird.

Du warst der Ueberzeugung, und diese Deine Ueberzeugung ist in den naturwissenschaftlichen Studien Deiner letzten Jahre verdichtet worden, daß unsere Christenheit mit ihrem Bedenken der Wirklichkeit am Ende ist. Daß es so nicht weitergeht, außer zu Tod, Mord, Selbstmord, Lüge, Selbstentfremdung. Du ersahst auch in den schönsten Werken unserer Theologie die Dichtung, die Verdichtung sehr menschlicher Einbildungen, die der größeren Wirklichkeit, dem größeren Gott, dem größeren Menschen einfach nicht gerecht werden.

Da standest Du, in Wien, im Naturhistorischen Museum, vor den Giganten der Vorzeit; vor Kreatur, Geschöpfen, die vor vielen Jahrmillionen über unsere Erde schritten. Zeuge riesiger Katastrophen, riesiger Wachstumsprozesse.

, Die Saurier, diese größten Lebewesen dieser unseref Erde', Wtirti&f-dW'Dit als das 'Zeichen erkannt: Aii WäV 'andere Zeitheüef sahst Du immer wieder das unaussprechliche Leid, das im Menschen, im kleinen und kleinsten Menschen, west. Im Kinde. Im kleinen Kinde. Im Menschenkinde.

Zwischen diesen beiden Zeugen einer sich jeder, auch christlichen Systemsprache entziehenden Wirklichkeit tat sich Dir ein Tor auf, in dessen Schwelle Du bebend tratest: der Weltenraum. /

Nichts ist vielleicht erschreckender an und in unserer heutigen Christenheit, als das Unvermögen der Christen, vor der sich nun auftuenden größeren Wirklichkeit zu erschrecken. Wir pflegen vor allen möglichen eingebildeten und drall, dick und rülpsend vor uns stehenden Feinden und Gegnern zu erschrecken und uns höchstens zu ängstigen. Wir erschrecken nur vor dem einen nicht, was not tut: vor den Feuern der Wirklichkeit, in die der Mensch, ein winziges Wesen, geworfen ist. Was vermag der Mensch zu sein, schlicht, was ist er wirklich im Prozeß der Wirklichkeit, in dem Milliarden Wesen entstehen und vergehen, Sonnensterne, wahre Uebersonnen, in wenigen Tagen mehr Energie strahlen, ins Nichts versenden, als unsere gute, alte Erdensonne in tausenden Jahren?

Wie kann der Mensch leben, sich verstehen, inmitten dieses alle Maße, alle Mitte zermalmenden gigantischen Vernichtungsprozesses?

Im Angesicht dieser Frage bist Du verstummt. In einem Schweigen, das hart und rein ist.

Auf dieses Dein Verstummen hin eine „Antwort“ heute schon versuchen zu wollen, hieße die Größe Deiner Not, Deiner Seelennot, Deiner Not um den Menschen entwürdigen. Hieße diese brennende Not einer heute unlösbaren Frage herabziehen in die Niedrigkeit unserer Rede und Schreibe, unserer christlichen und nichtchristlichen Eintagswelt, die so tagtäglich aller Welt Fragen in Tagungen und Beschlüssen „löst“.

Dennoch darf an Deinem Totenbett auf eine Erscheinung hingewiesen werden, die der ungeheuren Sorge Deiner letzten Jahre und Tage nahestand, vielleicht, neben Georges Bernanos, Dein größter und nahester Bruder im Geiste und in der Wahrheit, Pierre Teilhard de Chardin. Ihr drei seid in den letzten Jahren Eures Lebens eingegangen in eine innerste Einsamkeit: verlassen, preisgegeben im geliebten eigenen Volk,in der Kirche, in der Christenheit. Der große Paläontologe Teilhard de Chardin, Mitentdecker des Homo pekinensis, in allen Wüsten und “Weiten dieser Erde wohl erfahren, die er mit Dir und Bernanos geliebt hat, wie wenige mit solcher Intensität des Geistes, wird vielleicht einmal, in kommenden Geschlechtern, als neuer Kopemikus und Galilei der Christenheit erkannt, anerkannt werden.

Dieser große ]esuit hat es gewagt, die ganze Menschheit und den ganzen Christus mitten hineinzustellen in den riesigen Wachstumsprozeß des Kosmos, der Schöpfung. Der Schöpfung, die in riesenhaften Prozessen der Wandlung und Verwandlung einem größeren Menschen, einem größeren Gott zuwächst.

Wenn es irgendeinen Theologen der Christenheit gibt, der sich mit der großen Sorge und innersten Not Deines verströmenden Lebens zuinnerst begegnet, brüderlich, liebend, dann ist es dieser große Franzose, der da, Dir zuvor, am Ostersonntag vor drei Jahren, am 10. April 1955, in New York starb.

Darf der Christ es als Zufall ansprechen, daß der Herr der Geschichte auf Euch beide innerhalb von drei Jahren Seine überaus schwere und überaus gütige Hand gelegt hat: an einem Ostersonntag, am Tag des Auferstandenen, dessen Boten Ihr seid: Zeugen, daß die Auferstehung größer ist, als wir, erschreckend, zu ahnen wagen?

Vor dieser Gnade, dieser Begnadung, neigen wir Gebliebenen uns. Und gedenken Deiner, Reinhold Schneider, in Schmerz. Denn es ist keiner da, der Dich zu ersetzen vermag, Du reinste Stimme des christlichen Gewissens in Deutschland. Es ist keiner da, der wie Du das Volk zu hüten, zu warnen vermag: vor der Lüge, vor dem Lärm des Selbstbetruges, vor der Selbsttäuschung mit den „besten Mitteln“; mit dem Wort der schönen Rede und schönen Predigt.

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