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Aktion und Lethargie

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Es gibt Stücke, die Unvereinbares vereinen. Dazu gehört ein sehr berühmtes, einst viel bewundertes, das derzeit im Burgtheater aufgeführt wird: Shakespeares „Kaufmann von Venedig.“ Märchenartige, komödienhafte, aggressiv realistische, satirische Einzelheiten legieren sich da nicht. Es läßt sich überdies gegen die Werbung um Porzia durch Wahl eines der drei Kästchen mancherlei einwenden, das Motiv der von Bassanio und Gra-ziano verschenkten Ringe, die sie von ihren Frauen erhielten, wirkt etwas dürftig, Jessicas Diebstahl behandelt Shakespeare allzu lustspielhaft, nach der berühmten Gerichtssaalszene verträgt das Stück nicht mehr die Auflösung ins Heitere.

Den Kern bilden zweifellos die Begebnisse um Shylock. Sie allein gehen uns näher an, und zwar gerade nach all den ungeheuren Verbrechen an Juden im letzten Krieg. Freiherr von Berger hat sich noch als Theaterdirektor in Hamburg, bevor er das Burgtheater leitete, ausführlich mit dieser Figur auseinandergesetzt. Er erklärte, daß ein ursprünglich gut angelegter Mensch wie Shylock schließlich wie eine Bestie handeln muß, weil man ihn immer behandelt hat wie eine Bestie, „darin zucke der Nerv des Mitleids“. Zweifellos fühlen wir Mitleid, wenn wir hören, wie tief dieser Mensch verletzt wurde, wodurch sich sein Bedürfnis nach Rache ergibt, und doch befremdet uns die Vehemenz dieses Rachestrebens. Mitleid und Ablehnung mischen sich. So lange die Gefahr besteht, daß Shylock von einem Teil des Publikums als der Jude und nicht als ein Jude aufgefaßt wird, sollte man das Stück nicht spielen.

Leider verstärkte Adolf Rott als Regisseur widersprüchige Züge, die Lanzelot-Szene gerät possenhaft,

was sich um Porzia begibt, wird besonders anfangs Operette. Die grandiose Leistung von Ernst Deutsch bringt den Gewinn des Abends. Durch ihn wird ein erschütterndes Menschenschicksal manifest, erschütternd bis ins nicht mehr Nachfühlbare der Gestalt. Annemarie Düringer als klug-reizvolle Porzia, Michael Heitau als verliebter Bassanio, Heinz Ehrenfreund als beschwingter Lorenzo, Alexander Trojan als temperamentvoller Gra-ziano heben sich unter den Darstellern besonders heraus. Erich Auer ist ein etwas zu würdevoller Antonio, Paolo Loew bleibt als Jessica farblos. Einige der Bühnenbilder von Wolfram Skalicki geraten wirkungsvoll, in allen Szenen verwendet er die „Koch-Platte“.

Zustandsschilderungen sind undramatisch. Das zeigt sich in den Stük-ken von Tschechow. Den Menschen, die er darstellt, fehlt Energie, Initiative, sie dämmern dahin. Drama ist ein Widereinander, ist Kampf, dieser Gutsherrenschichte aus dem Rußland der Jahrhundertwende fehlt die Kraft dazu. Im Schauspiel „Onkel Wanja“, das derzeit im Theater in der Josefstadt aufgeführt wird, legt Wanja zweimal die Pistole auf seinen drohnenhaften Schwager an, einen in seinen Leistungen arg überschätzten Universitätsprofessor, doch trift er ihn nicht. Aufzuckende Ohnmacht, das ist alles an Aktion.

Stanislawski sagte, Tschechow suche „seine Wahrhaftigkeit in den intimsten Stimmungen, in tief im Innern verborgenen Winkeln der Seele“. Das stimmt, dieses Intimste strömt überreich aus ihnen, es erfüllt so recht eigentlich die Szene. In diesem Stück ist es das leidvolle Wissen um die eigene Schwäche, das sowohl Wanja, wie den ihm befreundeten Arzt Astrow, Tschechows Lieblings-

gestalt, beherrscht. Sie sehen sich als Verlorene an, ihre Lage beurteilen sie als hoffnungslos, das Gefühl der Scham erfaßt sie. Wenn am Schluß die Drohne Professor und seine junge Frau, die alle mit ihrem Müßiggang angesteckt haben, den Gutshof verlassen, dann beginnen Wanja und seine Nichte Sonja wieder freudlos zu arbeiten und hoffen darauf, einst im Jenseits auszuruhen. Die Poesie dieses Lethargischen ist so stark, daß sie auch in uns so gänzlich anders gearteten Menschen „Seelenwtakel“ findet, in der sie anzuklingen vermag. Aber vielleicht trifft dies nicht mehr auf die junge Generation zu.

Das elegische Dahinvegetieren dieser Menschen weiß Heinrich Schnitzler als Regisseur eindrucksvoll zur Geltung zu bringen. Hans Holt als Wanja und Leopold Rudolf als Astrow zeichnen unterschiedlich die beiden verwandten Naturen. Erik Frey macht des Professors würdegetarntes Parasitentum glaubhaft. Marion Dealer als dessen junge Frau und besonders Sabine Sinjen als unscheinbare Sonia bieten dek-kende Leistungen. Gottfried Neumann-Spallart schuf die milieugerechten und stimmungsvollen Bühnenbilder.

Im Volkstheater wird ein Lustspiel „Medecin malgre eile“ dargeboten, das Hans Weigel unter dem Titel „Ich habe dich — mehr brauch' ich nicht“ flott übersetzt hat. Über die Autorin Marie-Louise Villiers ist hierorts nichts bekannt. Ein vielbeschäftigter Arzt „verordnet“ seiner Frau, einer hübschen, eifersüchtigen Gans, die ihm reichlich lästig fällt, seinen Freund, einen Beau, als Kavalier für einsame Nachmittage. Als die Situation zwischen beiden brenzlig wird, verfällt er spät auf eine wirksamere Therapie: Kindersegen. Das reichlich untergewichtige Stück mit plätschernden Dialogen und mancherlei bescheidener Witzigkeit vermag ein anspruchsloses Publikum bei guter Laune zu erhalten, um so mehr als es unter Erich Margos kundiger Regie von Traute Wassler und Harry Fuß als Ehepaar, von Louis Soldan als Freund, von Helmi Mareich, Oskar Willner und Lizzi Steiner in weiteren Rollen unbeschwert gespielt Wird.

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