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Ornela Vorpsis fulminantes Romandebüt über Kindheit und Jugend in der Hoxha-Diktatur. Von Cornelius Hell

Vom realen Albanien hat kaum jemand eine Ahnung, bestenfalls kennt man das mythische Land der Bücher von Ismael Kadare. Die 1968 in Tirana geborene Ornela Vorpsi wollte in ihrem Debüt-Roman die nackte Realität zeigen: das Albanien ihrer Kindheit unter der Diktatur Enver Hoxhas. Auf Albanisch zu schreiben, hätte zu weh getan und alte Wunden aufgerissen. Italienisch, die Sprache des ersten Auslands, brachte die Befreiung. "Vielleicht komme ich demnächst in die albanische Sprache zurück, aber jetzt brauche ich diese Distanz", sagt Vorpsi im Furche-Gespräch.

Distanz zur Muttersprache

Dabei hat die Malerin, Videokünstlerin und Fotografin nie davon geträumt, Schriftstellerin zu werden. Doch dann drängte die Vergangenheit - eigene Erlebnisse und reale Fakten - danach, aufgeschrieben zu werden. Daraus wurde eine Dekonstruktion Albaniens: der falschen Mythen, der Robustheit, mit der man scheinbar ewig lebt, und der Idyllisierung von außen. Doch Das ewige Leben der Albaner ist nicht nur interessant, weil uns sein Stoff fremd ist, sondern vor allem, weil dieser Roman großartig erzählt: lakonisch verknappt, genau kalkuliert und mit mitleidlosem Blick in die Psyche eines heranwachsenden Mädchens, das unter dem Zerbrechen der Familie, dem abwesenden Vater und den Kapriolen der Mutter leidet und sich in der Lektüre seine eigene Welt aufbaut. Wobei in Hoxhas Albanien sogar die Grimmschen Märchen verboten waren.

Ein schönes Mädchen und Tochter eines politischen Gefangenen zu sein - damals war das ein doppelter Fluch. Und auf Ornela Vorpsi trifft beides zu. Im Roman beschreibt sie einen Besuch im Gefängnis des Vaters und die Schikanen der Lehrerin, die ihr den Kommunismus mit einem glühenden Lineal in die Haut brennen will. Und sie erzählt, warum Schönheit eine Ursünde ist. Es gibt nämlich ein Thema, das alle Herzen höher schlagen lässt, das ein und alles der Albaner, das Gebildete und Ungebildete interessiert: das Herumhuren. So lautete das Stereotyp: "Ein hübsches Mädchen ist eine Hure, ein häßliches - die Ärmste! - ist keine."

Gefährlich war alles in diesem Land: alte italienische Ansichtskarten in die Schule mitzubringen, denn darauf waren Engel zu sehen; oder das Spielen im Garten der Großmutter, denn da zogen die Kinder aus einer alten Amphore weiße, raue Gegenstände heraus - die Knochen ihres Onkels; er war mit 17 Jahren auf Befehl der Partei erschossen worden und durfte daher nicht begraben werden. Ein Cousin hatte den Leichnam gestohlen und zu Großmutter gebracht; sie bewahrte die Knochen ihres Sohnes heimlich in der Amphore auf und trauerte ihr Leben lang um ihn. "In den achtziger Jahren fanden die Großmutter und ihre Tränen die letzte Ruhe. Ihrem Wunsch folgend, legten wir die Knochen des Onkels in einem kleinen unauffälligen Säckchen zu ihr in den Sarg, wie ein Viatikum. Nach wie vor heimlich. Endlich konnten Mutter und Sohn in Frieden ruhen und Mutter Partei vergessen."

Die ideologischen Phrasen der Partei und der Glaube an einen Wunderderwisch, Frauen, die an einer Abtreibung sterben, ins Wasser gehen, weil sie schwanger sind, oder sich mit dem Elektrokabel erhängen: eine grausame Archaik liegt über dem Albanien dieses Romans. Wobei Selbstmorde selten sind, denn: "Die wenigsten denken an Selbstmord in diesem Land, das beim Kampf ums Überleben völlig vergißt, daß der Tod eine Erlösung sein kann."

Die Erlösung erhofft man sich am Ende vom "gelobten Land", von Italien. Aber dort lauert die Enttäuschung, das reale Leben stimmt mit den Fernsehbildern nicht überein. "Sie wollen nichts mehr wissen vom gelobten Land. Sie haben begriffen, daß sie dort sterblich sind, aber sterben wollen sie nicht", lauten die letzten Sätze des Romans.

Stimme der Verurteilten

"Die Menschen, die verurteilt waren, hatten keine Stimme in diesem Land, und ich gehöre zu dieser Sorte von Menschen", sagt Ornela Vorpsi. Und gleichzeitig weiß sie: "Albanien hat mich zu der gemacht, die ich bin, und ich kann mir nicht vorstellen, jemand anderer zu sein." Die herben Mirkoszenen ihres außergewöhnlichen Prosa-Debüts, das im Juli auf der ORF-Bestenliste stand, fangen auf knappstem Raum die Fragmente eines Lebens ein, das in seiner Fremdheit und Unvorstellbarkeit doch nie zur Exotik verkommt. Und hinter dem scharfen Blick auf die Lebensmechanismen des Alltags blitzen sprachlich ebenso glaubwürdig gelegentlich Lichtfunken von Träumen und einer Ahnung von Nähe auf.

Das ewige Leben der Albaner

Roman von Ornela Vorpsi.

Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007, 140, S., geb., € 15,40

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