"Alkohol hat ihn enthemmt“

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Wie erleben Kinder die Alkoholkrankheit eines Elternteils? Eine Betroffene spricht über die Omnipräsenz des Bieres, über Charakteränderung, (falsche) Toleranz und nötige Prävention.

Der Vater von Nina G. (29) starb vor einem halben Jahr an den Folgen seiner Alkoholabhängigkeit. Heute engagiert sich die Kindergärtnerin beim Österreichischen Blauen Kreuz, einer Organisation für Alkoholkranke und ihre Angehörige. Im Gespräch mit der FURCHE erzählt sie von ihren Erfahrungen.

DIE FURCHE: Wie haben Sie die Alkoholkrankheit Ihres Vaters erlebt?

Nina G.: Es war für mich als Kind normal, dass der Papa trinkt, wobei ich ihn als Scheidungskind vor allem als Wochenendpapa erlebt habe. Bei unseren vielen Ausflügen war das Bier immer dabei, ich kenne es nicht anders. Später als Teenager gab es deswegen Konflikte zwischen uns. Irgendwann gab es den Wendepunkt, von "das ist normal“, zu "okay, Papa hat ein Problem“. Er war einmal zwei Jahre lang trocken, da habe ich ihn von einer ganz anderen Seite kennengelernt. Er war ruhiger und ich konnte mehr mit ihm reden. Das empfinde ich immer noch als Geschenk. Heute bin ich mit ihm im Reinen, aber das wäre mir ohne therapeutische Begleitung nicht gelungen.

DIE FURCHE: Hat er selbst die Einsicht gehabt, krank zu sein?

Nina: Im Laufe der Jahre immer mehr, vor allem in den letzten fünf Jahren seines Lebens. Früher hat er oft abgeblockt, wenn man ihn auf seinen Alkoholkonsum angesprochen hat. Er hat fast 40 Jahre lang getrunken, vor allem Bier und Wein. Ich habe ihm oft angeboten, ihn zum Blauen Kreuz zu begleiten, er wollte es aber alleine schaffen. Doch es ist ihm nicht mehr gelungen, seine Krankheit war schon zu weit fortgeschritten. Ich vermute, er hatte Alkoholdemenz. Er hat viel vergessen, war orientierungslos. Am Ende hat er nahezu aufgehört zu trinken. In dieser Phase ist er auch verstorben.

DIE FURCHE: Warum, glauben Sie, hat er getrunken?

Nina: Die Entstehung von Süchten hat viele Ursachen. Ein Faktor ist die genetische Disposition, die bei meinem Vater sicher gegeben war. Schon seine Eltern haben getrunken, auch ein Bruder von ihm trinkt. Mein Vater hat aber auch wenig Selbstverantwortung für sein Tun gelernt. Er hatte meiner Meinung nach eine zu innige Beziehung zu seiner Mutter, die ihm sehr viel an Verantwortung abgenommen hat. Selbstverantwortung, Selbstbewusstein und Frustrationstoleranz sind aber sehr suchtpräventiv. Alkohol war für ihn einfach ein geeignetes Mittel, um sich nicht mit der Realität konfrontieren zu müssen.

DIE FURCHE: Haben Ihre Mutter oder andere Verwandte zu viel zugelassen?

Nina: Ganz sicher. Was meine Mutter betrifft habe ich zu wenig Einblick darauf, was vor der Scheidung war. Aber mein Vater hatte ja noch 23 Jahre lang eine andere Partnerin, die sich zwei Jahre vor seinem Tod von ihm getrennt hat. Warum sie so lange in dieser Beziehung geblieben ist, liegt vermutlich auch daran, dass es ihrem Leben Sinn gegeben hat, sich um jemanden kümmern zu können. Sie hat gelitten, aber andererseits auch sehr lange nichts verändert. Wir drei Töchter haben jedenfalls unterschiedliche Formen entwickelt, mit seiner Alkoholkrankheit umzugehen: Die Älteste hat ihn gar nicht konfrontiert, sich stark abgegrenzt und gemeint, jeder hat seinen Rucksack zu tragen. Die Mittlere hat sogar ein Bier für ihn daheim gehabt, wenn er zu Besuch gekommen ist. Und ich habe ihn stark konfrontiert und bei Treffen verlangt, dass er dabei nicht trinken soll.

DIE FURCHE: Wie hat sich Ihr Vater verhalten, wenn er betrunken war?

Nina: Von seinem Wesen her war er ein schüchterner, ruhiger Mensch. Wenn er getrunken hat, ist er lauter geworden: Der Alkohol hat ihn enthemmt. Es war ein lautes Lachen, kein herzliches Lachen. Er ist sentimental geworden und hat sich teilweise selbst bemitleidet. Bei seiner Lebensgefährtin gab es auch Gewalt, das hätte es ohne Alkohol nicht gegeben.

DIE FURCHE: Empfinden Sie heute so etwas wie Wut auf den hiesigen, sehr legeren Umgang mit Alkohol?

Nina: Mit 20 Jahren hatte ich eine Phase, in der ich Alkohol stark abgelehnt habe. Heute trinke ich gerne Wein, aber selten und anlassbezogen. Ich verteufle den Alkohol nicht. Die Krankheit meines Vaters hat mich aber in meiner Umsicht mit Alkohol und generell mit Süchten geprägt. In Österreich ist Alkohol sehr leicht zugänglich, etwas zu trinken, wird regelrecht eingefordert. Mir ist es oft passiert, dass es nicht akzeptiert wurde, wenn ich nichts trinken wollte. Wenn es für jemanden ohnehin schon schwierig ist, abstinent zu bleiben, dann wird ihm das dadurch unendlich schwer gemacht. Ich habe die höchste Achtung vor Menschen, die es trotzdem schaffen.

DIE FURCHE: Was würden Sie sich im Sinne der Prävention wünschen?

Nina: An Schulen wird unter pubertierenden Teenagern schon viel Aufklärung betrieben, aber man müsste viel früher anfangen. Kinder und Jugendliche sollten von klein auf einen Rucksack voll Kompetenzen mitbekommen und lernen, auf sich aufzupassen, Nein zu sagen und mit allen Sinnen zu genießen. Denn eine Sucht ist schließlich kein Genuss mehr.

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