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Allah statt Hodscha

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Tirana, Rinas Aeroport: Die ungarische Tupolew landet hart auf der kopfsteingepflasterten Rollbahn zwischen wild überwucherten Runkeranlagen. Durch eine Palmenallee in die Abfertigungsbaracke - ein Spießrutenlauf vorbei an auffällig unauffälligen Herren in Leder mit argwöhnischen Blicken. Die läge des kommunistischen Herrschers Enver Hodscha sind gar nicht so lange her, als alles Fremde suspekt und potentieller Spionage verdächtig war.

Damit mußte man wohl rechnen. Kaum jedoch mit der Flotte aus Mercedes und Alfa Bomeo vor der klapprigen Tür. Exklusive Benetton-Shops auf Tiranas Boulevards. Alleen von Satellitenschüsseln, die das Tutti-Frutti-lmage des Goldenen Westens prägen. „Zehn Dollars, gutes Zimmer", flüstert ein alter Mann verschwörerisch und wirft einen abschätzigen Blick auf das postmoderne Hotel Tirana, wo es um den achtfachen Betrag ebenfalls kein fließendes Wasser gibt. Bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 300 Schilling haben Vermieter von Privatquartieren keine schlechte Verdienstspanne.

Doch noch ist Albanien ein Land der Bauern. Der bröckelnde Charme der mediterranen Villen in Küstennähe ist zwar durchaus reizvoll, doch das wahre Albanien liegt in den Bergen, im Reich der Schafherden und Hirtenhunde, wo selbst der Kommunismus spurlos vorübergegangen zu sein scheint. Skiperise, das Land des Adlers, wird die Republik in der Landessprache genannt. Die freien Bauern sind seit der Landreform 1990 nicht mehr gezwungen, für die auf Kolchosen basierende Agrarindustrie zu produzieren. Die tristen Genossen-schaftsruinen prägen die steinigen Weiten des albanischen Balkans, stumme Zeugen einer glorreichen Epoche der wirtschaftlichen Autarkie. Und so ackern sie wieder wie früher, mit Ochs und Esel, oder stechen die steinigen Felder eigenhändig um - Zeit ist kein Maßstab in einem Land, das auf der Jagd nach der Zukunft gerade die Vergangenheit erreicht hat.

300.000 Minibunker, errichtet zur Zeit des Prager Frühlings, sind bleibende Relikte der ohne Unterlaß po stulierten Redrohung durch ausländische Invasoren, Reliquien des Größenwahns seiner Führer, die den Mantel des Mythos über den Ralkan-staat an der Adria breiteten und von der Außenwelt hermetisch abriegelten: Keine diplomatischen Beziehungen mit Titos Jugoslawien seit 1948, mit Chruschtschows UdSSB seit 1961, mit Mao Zedongs China seit 1976. Zwängsrasur an der Grenze, Ausfuhrverbot albanischen Schrifttums - eine Welt für sich.

Doch der große Führer Enver Hodscha ist tot. Die Monumentalstatuen sind längst TV-gerecht gestürzt, die politischen Parolen übermalt. Lediglich die überlebensgroßen „Enver"-Schriftzüge auf kahlen Hügeln künden nach wie vor weithin sichtbar die Realität einer Zeit, die so mancher gerne vergessen will. Die Rüsten systemgenehmer Poeten verrotten auf Halden, die Museen bleiben fast ausnahmslos geschlossen - Vergangenheitsbewältigung ist angesagt, vor allem die zeitgeschichtlichen Abteilungen bedürfen einer Generalrevision.

Viele wollen weg. Über 300.000 Albaner - 10 Prozent der Revölkerung -haben seit 1990 das Land verlassen, um als Gastarbeiter den Hauch der großen Welt zu erhaschen. Von denen, die hier geblieben sind, sind 70 Prozent arbeitslos und fristen mit monatlich etwa 150 Schilling staatlicher Unterstützung ihr Dasein. In Bars und Straßencafes wird bei türkischem Kaffee und dem unvermeidlichen Raki, einem zumeist selbstgebrannten Schnaps aus Traubenmaische, endlos politisiert. Über die Zeit, als alles noch seine Ordnung hatte und über das dekadente Ausland.

Die Jungen freilich haben längst andere Sorgen. Disco statt Datscha, Busineß statt Bunker - die Werte haben sich gewandelt. Mercedes-Limousinen, bevorzugt mit grüner Sonnenblende und Heckspoiler, scheinen die neuen Statussymbole einer Elite zu sein, die sich hinter dunklen Boss-Sonnenbrillen zu verbergen pflegt und den gänzlichen Zusammenbruch der Wirtschaft bislang erfolgreich verhindert.

Markttag in Korea, im politisch brisanten Dreiländereck zu Mazedonien und Griechenland. Straßenschuster, die um die Wette hämmern. Kebab-buden, Pferdehändler, Teppichknüp-fer, dazu bunt gekleidete Roma, die etwas Farbe in das Einheitsgrau bringen. Die Gerüche und Geräusche des Orients versetzen zurück in vorkommunistische Epochen, lassen die fünfhundert Jahre türkischer Herrschaft bis zum Beginn des ersten Weltkrie-ges erahnen. Was sind dagegen schon 45 Jahre der Abschottung und der dirigistischen Planwirtschaft, die sich erst 1992 endgültig totgelaufen haben?

Die Moscheen im ehemals einzigen atheistischen Staat der Welt jedenfalls sprießen wieder. Graue, gesichtslose Monster aus Fertigbeton, mit hypermodernen Lautsprecheranlagen auf den Minaretten, finanziert von arabischen Dunkelmännern. Leise, fast unmerklich schwappt der orthodoxe Islam über nach Südosteuropa. Die Menschen sind hungrig nach neuen Visionen und vor allem nach gesellschaftlicher Orientierung. 70 Prozent der Bevölkerung sind Moslems, 20 Prozent albanisch orthodox, und 10 Prozent Katholiken.

Doch noch gilt das Gesetz der Blutrache und nicht das islamische Recht. Der hochprozentige Raki wird weiterhin getrunken und verschwommene Schwarz-Weiß-Pornohefte erfreuen sich größter Beliebtheit. Noch ist Hodscha nicht aus allen Köpfen draußen und Allah drinnen.

Der Autor ist

Lehrer undfreier Publizist

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