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Allerseelenfahrt

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Bassano! Ueber eine alte Holzbrücke ging es damals in den Ort. Sie wird schon in einem alten italienischen Soldatenlied genannt:

Sui ponte di Bassano Noi ei darėm la mano …

Und dann traten wir vor das Denkmal des Generals Gaetano Giardino, des italienischen Oberkommandierenden dieses Abschnittes im ersten Weltkrieg. Da steht er, ein Erzbild, aus erbeuteten österreichischen Kanonen gegossen, und sieht hinauf zum Monte Grappa, seinem Berg. Unter seinen Füßen wacht die Madonna des Monte Grappa, die eine österreichische Kugel am Arm verletzt hat. Das Holz der kleinen Skulptur ist an dieser Stelle zersplittert. Grell leuchten die Wände des Beinhauses auf dem' Gipfel des Berges in der Novembersonne, die strahlend ist wie die unsere im Sommer. 12.000 Italiener, General Giardino und seine Frau inmitten, und 14.000 Oesterreicher liegen darin begraben. Nicht von allen Toten hat man den ganzen Körper bestatten können; oft waren nur die Arme, die Beine oder der Rumpf gefunden worden.

Und';so' lenchtėn -'die Marmorwände der 'B'ein t häuser" überall in die Gegend dės ehemäligeri Kriegsįjžb'iiftšs. T)a1VESWt, ’ürfteFhalb dWaGipMf,‘ nach dem heute eine Autostraße führt, der Rundbau für die Toten des Pasubio, in Asiago erhebt sich ein weiter, kreuzförmiger Bau, der tausende Blutopfer in sich aufgenommen hat, und schließlich ist noch ein Beinhaus da. ein kleineres, aber es erschüttert die Seele am tiefsten: am Monte Cimone.

Am Allerseelentag vor zwanzig Jahren ist es gewesen, da brachen wir von Thiene, der kleinen Stadt in der Provinz Vicenza, wo zwischen 1916 und 1918 viele Oesterreicher gefangen gehalten wurden, bevor man sie ins Innere Italiens oder auf Inseln schickte, nach dem Berg auf, dem heiß umkämpften. Arsiero, zur Gänze zusammengeschossen und nach 1918 wieder neu aufgebaut, lag auf dem Weg. Die Kavernen am Monte Cencio waren noch unversehrt. In 33 Kehren windet sich die Straße nach Tonezza hinauf. Leichter Nebel war eingefallen.

Immer wieder an Kavernen vorbei, schritten wir aus. Da erzählte eine Frau, eine Oberösterreicherin, die einen Italiener zum Mann hatte, ein Erlebnis. Ihr Mann war im ersten Weltkrieg an dieser Front ihren Landsleuten gegenübergelegen. 1928 war sie mit ihm zum erstenmal ins bergige Kriegsgebiet heraufgestiegen. Da zogen sich noch an mancher Ecke die Drahtverhaue hin, in den Schützengräben, mühsam aus dem Gestein herausgehoben, lag menschliches Gebein verstreut. Auch eine Kaverne hatte sie betreten. Sie ging in sie hinein, auf eine Tür zu, als müsse sie es tun, als rufe sie jemand. Sie öffnete die Tür. Ein kaum zu fassendes Bild bot sich ihr: Das Gewehr in beiden Händen, stand ein österreichischer Soldat noch immer auf Wtffch ’?Älles' Wäfi'rte' nur'elnę ’Sekunde. Öer' Luftzug, den sie mit dem Oeffnen der Tur ver- nsžmJTū, ist unü.

ursächt hatte, vielleicht auch e ehe. Erschütterung. des Bodens durch ihre Schritte, ließ den postumen Mann im Nu zusammensinken. Wie eine Fata Morgana plötzlich sich auflöst, so fiel dieser Soldat zehn Jahre nach Kriegsende lautlos in sich zusammen, zerstob in nichts. Die Frau schrie auf und taumelte, ihr Mann, der nichts von diesem schrecklich-schönen Bilde gesehen hatte, fing sie in seinen Armen auf. Da lag sie, geschlossenen Auges, die Oesterreicherin in den Armen des Italieners, der hier auf Wacht gegen ihre Landsleute gestanden war. Sie konnte sich wieder nicht fassen, nachdem sie ihr furchtbares Erlebnis erzählt hatte. Ihre Seele erschrak von neuem. Hätte es nicht ihr Bruder, der vermißte, sein können, der hier als Toter wartete, bis sie kam?

Das Beinhaus am Monte Cimone ist kleiner als alle übrigen, das habe ich schon gesagt. Immer zu Allerseelen steigt der Priester auf die Höhe. Gipfel kann man sie eigentlich nicht mehr nennen. Seit der Sprengung bildet sie eine seichte Mulde, in der das Beinhaus steht. Damals war es noch so, daß man auf dem Weg menschliche Beine fand. Man nahm sie mit und legte sie auf die Platte, die den Grabschacht verschließt. Hier gibt es keine Nischen, in denen die Toten ruhen, keine Tafel verheißt, wer hier seine letzte Ruhe gefunden hat. Der Priester aber hob an jenem Allerseelentag die Platte auf und ließ das am Weg aufgelesene Gebein in die Tiefe fallen, und über dem Grabschacht zelebrierte er die Messe für alle, Oesterreicher und Italiener, deren junges und blühendes Leben der Kampf um den Berg gefordert hatte..

An dem Allerseelentag, da wir auf den Monte Cimone gestiegen waren, teilte sich dann der Nebel. Welch eine wunderbare Aussicht nach allen Seiten! Heber dem Val d’Astico die Sieben Gemeinden, die Sette Comuni Asiago, Castelletto, Rotzo, Albaredo, Mezza Selva, Roana und Foza, von Mai 1916 bis November 1918 immer wieder Kriegsschauplatz, völlig zerschossen und dann neu aufgebaut. Die Berge — Campo-Molon, Toraro, Monte Spitz, Pasubio. Die Voralpen. Die Venetianische Tiefebene, die abends am farbenfreudigsten ist, wenn die Sonne untergeht. Und noch ein paar Kriegsberge, der Ceneio und der Pau.

Eine Woche später waren wir mit einem Italiener auf dem Weg zum Beinhaus des Pasubio. Es war ein sehr kalter Tag, es hatte immerfort geregnet, und als wir auf die Höhe des Beinhauses kamen, mußten wir durch leichten Pulverschnee gehen. Auch hier liegt ein italienischer General, ich habe seinen Namen nicht aufgezeichnet, inmitten seiner Soldaten begraben. Er starb erst nach dem Krieg, aber in seinem Testament stand als sein letzter Wille aufgeschrieben, daß er im Beinhaus des Pasubio begraben sein wollte. Und man erfüllte ihm seinen Wunsch. Ein Riesenkranz, noch von Allerseelen her, lehnte an seiner Namenstafel, die so einfach ist wie jene der toten Soldaten rund um ihn. Im Tode sind sie alle gleich. Man fühlt es unter dieser Kuppel.

Der Italiener, der mit uns war, sagte bald da legen. ypd Und . ajnijßt£. ich ap.feinen anderen Bruder Rudolf, denken, der- noch, lebt und der am Pasubio seine schrecklichste Kriegszeit zugebracht hatte. Auf diesem Berg hatten ihn die Italiener auch gefangengenommen, aber er war ihnen zuletzt entwischt. Sie hatten ihm nachgeschossen, doch er, der tollkühne Bergsteiger, war ihnen entkommen, und gegen Morgen tauchte er vor dem österreichischen Wachtposten auf, der seinen Augen nicht traute. Er war in die Not des Hungers und in die tödliche Gefahr zurückgekehrt, sie bedeuteten ihm weniger als etwa eine Gefangenschaft in einem elenden Lager.

Das war ein Nachallerseelen im italienischen Kriegsgebiet von 1915 bis 1918, und es ist wie die Erinnerung an das Beinhaus am Monte Cimone als eine Stunde in meinem Leben geblieben, die sich nicht verflüchtigt hat und in manch einer schlaflosen Nacht auffaucht aus dem Meer der Vergessenheit. Und dann marschiert General Giardino durch die Finsternis. um mich, am Arm trägt er die kleine Madonna des Monte Grappa, ihr ewiges Licht im Glasherz leuchtet ihm, und sie lächelt selig.

Auf den Grappa aber kam ich nie. Das schneeweiße Beinhaus da oben, das sich, so oft ich von meinem Zimmer in Thiene hinaufsah, scharf von dem azurnen Himmel abhob, war mir zum Symbol der Unsterblichkeit aller Toten in ihren Marmorhäusern geworden. Am Morgen, wenn ich die Holzläden vor den Fenstern öffnete, strahlten Beinhaus und Himmel wie um die Wette, und das war mir ein lieber, stiller Gruß der Gefallenen. Ich hatte keinen von ihnen gekannt, nein, aber waren sie nicht alle namenlos, auch die mit ihren Namenstafeln vor der Nische, die ihren zerschundenen Körper barg?

Sie hatten keine Gesichter mehr, aber da war es wie Gesang vom Berg her. Alles war unwirklich, und alles wurde versöhnlich.

Aber nie wieder habe ich die italienischen Beinhäuser in den Grenzbergen von einst besucht, und auch die Heldenglocke von Rovereto habe ich nur über den Rundfunk tönen hören. Das war fünf oder sechs Jahre nach meinem Besuch am Monte Cimone.

Seither? Mahnen uns nicht von neuem Tote, die Gefallenen des zweiten Weltkrieges und seine anderen Opfer, daß wir Lebenden unsere Zeit nützen sollen, Gutes zu tun? Tun wir es?

An jedem Allerseelehtag, an dem wir zu den Gräbern gehen, können wir uns Antwort holen.

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