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Alles eine Frage der Wertigkeit

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Die Welt des Sammeins ist vor allem eine der Leidenschaft, nicht des einsetzbaren Kapital: „Sammeln nur mit viel Geld würde keinen Spaß machen.”

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Die Welt des Sammeins ist vor allem eine der Leidenschaft, nicht des einsetzbaren Kapital: „Sammeln nur mit viel Geld würde keinen Spaß machen.”

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Und ich habe das alles weggeworfen!” Die Besucherin der Wiener „Sammler-Börse” stöbert in alten Kinoprogrammen und sieht dabei gar nicht glücklich aus. Als Kind bewahrte sie jedes Programm auf. Bei der dritten Ubersiedlung landete die Sammlung im Altpapier - hier und jetzt wäre sie bares Geld wert.

Alte Programme, Filmposter, Aushangfotos, Bilder mit Künstler-Autogrammen, Comics, Schallplatten - das alles wird hier angeboten, und alles stammt aus Sammler-Besitz. „Fast schon wie ein Vereinslokal” sei sein Laden in Wien, erzählt der Händler. Immer dieselben Leute gehen dort ein und aus, kaufen und • verkaufen. Ein Insider-Tip eben.

Ein paar

Schritte weiter Tausende alter Ansichtskarten, säuberlich geordnet. Jemand hat auf einer Karte sein Geburtshaus entdeckt und zahlt dafür 200 Schilling, ohne mit der Wimper zu zucken. Beim Sammler-Club hätte er die gleiche Karte vielleicht billiger haben können, entsprechende Geduld vorausgesetzt. Aber, so Vereinsobmann Kurt Harl: „Wer sich nur auf eine bestimmte Straße oder einen Bezirk beschränkt, hat wenig Auswahl und muß oft tief in die Tasche greifen.” Die Bandbreite: „Von einem Schilling bis zu 20.000.” Sein Tip für Ansichtskarten-Sammler: Das Interessengebiet erweitern, das verbreitert das Angebot.

Andere Sammelthemen erfordern dagegen Selbstbeschränkung:

Elisabeth Hoffmann, Historikerin und Marine-Sammlerin, hat sich auf die österreichische Marine vor 1866 spezialisiert. Denn „nach der Schlacht von Lissa wurde die Marine zu populär”. Und, so Hoffmann, „man sollte das Sammelgebiet immer der Brieftasche anpassen”.

Unter Marine-Sammlern herrscht beinharte Konkurrenz, oder, wie es Hoffmann ausdrückt, „ein hehrer Wettbewerb”. Erworben werden die Sammelobjekte -Bücher, Gemälde, Darstellungen von Uniformen und vieles mehr - auf Auktionen oder bei Händlern im In- und Ausland.

Platzprobleme? Die halten sich bei Themen wie „Osterreichische Marine vor 1866” in Grenzen. Wohl auch bei jenem Sammler, der jetzt gerade in Wiener Antiqariaten seine Spezialbibliothek zum Thema Bechenschieber zu vervollständigen versucht. -

Schwieriger wird es für diejenigen, die Gedrucktes wegen seiner Schönheit sammeln. „Wenn sich die Bücher auf dem Fußboden stapeln, muß man beginnen, sich von manchem wieder zu trennen”, so Peter Leisching, Präsident der Wiener Bibliophilen-Gesellschaft. Der Gesellschaft, im

Jahr 1912 „aus einer Kaffeehaus-Runde entstanden”, geht es um die Buchkultur, um das schöne, kunstvoll gestaltete Buch. Jedes Jahr werden für die Mitglieder Bücher herausgebracht: moderne Autoren in zeitgemäßer graphischer Gestaltung oder Nachdrucke besonders schöner alter Bücher.

Davon abgesehen wird getauscht, in Antiquariaten oder auf dem Flohmarkt gestöbert. Auch junge Leute sammeln mit Begeisterung. Das typische Merkmal des Sammler-Nachwuchses: Ohne Zögern werden vielbändige Werke gekauft. Noch ist viel freier Platz auf dem Bücherregal...

Zahlungskräftigen Gemälde-Sammlern ist für ihre Schätze nichts zu teuer - bis zum Zubau zum Haus, eigens für die Bilder. Das private Museum ist vollklimatisiert; ein Luxus, den man sich für den eigenen Wohnbereich nicht leistet. Eine billigere Variante: aus den Zimmern alle Kästen entfernen, damit die Wände frei sind für die Kunstschätze. Was man sonst noch zum Leben braucht, landet'irgendwo in Nebenräumen. Alles eine Frage der Wertigkeit.

Wieviel eine Sache Sammlern „wert” ist, bestimmt sich durch Angebot und Nachfrage.

Für jenen 90 Jahre alten Teddybären, den ein russischer Großherzog seiner Enkelin schenkte, zahlte ein Börsenmakler in London 12.000 Pfund. Sechs Teddy-Versteigerungen pro Jahr gibt es bei Christie's in London, das Geschäft blüht. „Da sind starke Emotionen im Spiel”, sagt Spielzeug-Expertin Leyla Maniera.

Auch für Teddys, die keiner Großherzogs-Enkelin gehört haben, können Höchstpreise erzielt werden, „wenn sich bei einer Auktion zwei Leute in denselben Bären verlieben”. Die Chancen dafür sind umso größer, je trauriger der Teddy dreinschaut. Geschichte ist aber immer wertsteigernd - selbst Imitationen „berühmter” Bären werden teuer gehandelt.

„Stücke aus historischem Besitz werden immer wertvoller”, bestätigt Georg Ludwigstorff, Doro-theums-Experte für Kaiserhaus-Objekte. Devotionalien-Sammler gab es schon immer: „Nach Napoleons Tod wurden Napoleonica gesammelt wie heute Autogramme von Pop-Idolen”, so Ludwigstorff. Aber auch für den Silber-Sammler oder Porzellan-Sammler sind Stücke aus fürstlichem Haushalt besonders viel wert. Das Angebot ist begrenzt: Die wertvollsten Stücke wandern meist ins Museum. Aber auch das, was private Sammler erwerben, wird erst von den Erben wieder in Umlauf gebracht. Wer die Kaiserhaus-Sammler sind? Das weiß nicht einmal der Experte: „Sie wollen anonym bleiben und zeigen ihre Sammlung niemandem”, so Ludwigstorff.

Historischen Globen hat sich die Internationale Coro-nelli-Gesellschaft verschrieben. „Mehr der Forschung als dem Sammeln”, so

Präsident Rudolf Schmidt. „Das reicht von philosophischen Betrachtungen aus der Antike, wie die Erde aussehen könnte, bis hin zur modernen Drucktechnik.” Aber der Globus „technisch beeinflußtes Kulturdenkmal” ist auch Sammlerobjekt. Christie's in London versteigert zweimal jährlich bis zu 80 historische Erd- und Himmelsgloben, die meisten aus dem Zeitraum vom 17. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Was in keiner Sammlung fehlen darf: die einschlägige Spezialli-teratur, historische Werke ebenso wie Publikationen jüngster Forschungsergebnisse.

Der besondere Aspekt bei Sammelobjekten aus dem technischen Bereich: Das Ding soll auch funktionieren. „Auftreiben - restaurieren - wieder auf die Straße bringen”, so beschreibt der passionierte Motorrad-Sammler Friedrich Ehn den mühsamen Vorgang, für den „ich gerne scheinbare Lebensqualität aufgebe, um echte Sammler-Befriedigung zu finden”.

Anfangs gab es Ärger mit den Nachbarn wegen des Gartens voller alter Motorräder, jetzt präsentiert Ehn stolz im eigenen Motorradmuseum „ 100 Jahre Motorradgeschichte”; hochoffiziell, mit der Gemeinde Eggenburg als Partner.

Ehn freut sich, daß er Trendsetter war: „Gesammelt wird jetzt schon in jedem Dorf.” Das Suchen nach wirtschaftlich vertretbaren technischen

Lösungen sei kreativitätsfördernd und persönlichkeitsbildend. „Sammeln nur mit viel Geld würde keinen Spaß machen.”

Technik-Sammler beschäftigen eine eigene Industrie für Nachbauteile; alte Handwerke, für die sonst kein Bedarf mehr wäre, werden wieder lebendig. Sogar ein neuer Beruf - „Techniker als Ve-teranen-Restaurator” könnte bald geschaffen werden, hofft Ehn.

Auch für die 500 Mitglieder des Oidtimerau-tomobilclubs wäre das ein Segen. Daß jemand, wie Obmann Jackob Barnea, 200 alte Autos besitzt, ist die Ausnahme. Aber auch wer sich mit einem chromblitzen-d”en Sammlerstück zufriedengibt, ist ständig auf der Suche: nach Ersatzteilen, um das wertvolle Fahrzeug verkehrstauglich zu halten, und nach einschlägiger Fachliteratur, um selbst auf dem laufenden zu sein. Sammler- und Jagdleidenschaft mögen verwandt sein; wenn Lebendes zum Sammlerobjekt wird, entstehen aber Interessenkonflikte. Nicht nur die private Schmetterlingssammlung hat keinen guten Buf mehr; auch lebende Tiere aus Sammlerleidenschaft zu halten, läßt sich mit Tier- und Artenschutz selten vereinbaren. Schließlich ist es meist das Exotische, das Seltene, das den Sammler lockt.

Auch Pflanzen werden gesammelt, für sie gilt ebenfalls der Artenschutz. „Eine undifferenzierte Sichtweise” beklagt Orchideen-Spezialist Kurt Beif. Das Sammeln von Pflanzen bedeutet nicht immer eine Ausbeutung der Natur. Orchideenfreunde holen ihre Pflanzen nicht aus dem südamerikanischen Regenwald, sondern von Züchtern in Deutschland oder Belgien. Oder sie vermehren sie selbst.

Bei den Treffen der Orchideen-Gesellschaft wird bewundert, getauscht, versteigert - wie in anderen Sammlerclubs auch. Daß man sogar für jede selbstgezüchtete Pflanze bestimmter Arten ein Zeugnis beantragen muß, das zum Besitz berechtigt, „ist einfach nicht administe-rierbar”, so Reif.

So blüht manches unerlaubt in heimischen Wintergärten. Und dient im geheimen der Erhaltung seltener Arten.

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