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Am 24. März 1900 starb einer der letzten großen „Ring- straßler™, der Allroundmäzem Nikolaus Dumba, im Alter von 70 Jahren und hinteriieß nicht weniger als 250.000 Gulden an wohltätigen Legaten. Sein Tod erzeugte eine kaum aus- füllbare Lücke im kulturellen Leben Wiens. Denn Nikolaus Dumba, dessen Vater von Mazedonien nach Wien gekommen war, war nicht nur ein bedeutender Industrieller und Wirtschaftler, Geheimer Rat und Herrenhausmitgiied, sondern eine geradezu entscheidende Autorität in allen Fragen der Kunst. Er war es auf Grund seiner Persönlichkeit und nicht durch eine amtliche Bestallung. Selbst künstlerisch veranlagt — er war ein vorzüglicher Musiker und Sänger —, gehörte seine ganze Liebe der Kunst. Nikolaus Dumba lebte mit der Zeit und hob Künstlergeneration auf Künstlergeneration aus der Taufe. Er war kein Förderer und Sammler im alten Sinn, sondern immer ein tätiger Vor- und Mitkämpfer. Sein Palais am Parkring bewies es. Vor allem dessen drei Haupträume: Arbeits-, Speise- und Musikzimmer. Alle drei wurden nicht von Architekten, sondern von Malern entworfen und ausgestaltet; das Arbeitszimmer war ein Werk Hans Makarts. Den Auftrag hierzu erteilte Dumba folgendermaßen: „Gehen Sie auf meine Kosten nach Venedig und tun Sie dort nichts als schauen; und dann machen Sie mir ein ganzes Zimmer.” So entstand eine der interessantesten Hausecken von Wien, das Arbeitszimmer im Palais Dumba an der Ecke des Parkringes und der Zedlitzgasse, zu dem am Abend, wenn es beleuchtet war, jeder Vorübergehende entzückt hinaufblickte. Noch als alter Herr bewahrte sich Dumba seine Empfänglichkeit für alle echte Kunst und gab den jungen, noch stark angezweifelten Talenten große Aufträge. Kurz vor seinem Tod gestalteten Franz Matsch den Speisesaal und Gustav Klimt 1898/99 den Musiksalon im Palais Dumba.

Eines der dort angebrachten Bilder zeigte Franz Schubert mm Klavier, umgeben von andächtigen Zuhörern. Dazu schreibt Hermann Bahr: „Ich kenne kein modernes Bild, das auf mich so rein und groß gewirkt hat, nach meiner Empfindung das schönste Bild, das jemals ein Österreicher gemalt hat. Klimt spricht aus, was wir mit unseren elenden Worten nicht sagen können, aber wir können nicht leben, wenn es uns nicht gezeigt wird, deshalb ist den Menschen die Kunst gegeben … Diese Stille, diese Milde, dieser Glanz auf einer bürgerlichen Bescheidenheit — das ist unser österreichisches Wien. Da haben wir unser österreichisches Gefühl: daß der Mensch, wie klein er sein mag, doch eine Flamme in sich hat, die in keinem Sturm des Lebens je verlischt… Das läßt mich dieser Schubert mit den singenden Mädchen, die etwas Bürgerliches und fast Religiöses haben, in einer unaussprechlichen — ich möchte sagen: fröhlichen Melancholie empfinden … Schönheit läßt sich nicht beweisen, mit dem Verstände werden wir ja der Kunst nicht ruachkommen: erzählen wir, was sie uns geschenkt hat, und lasset uns dankbar sein.”

Noch war Nikolaus Dumba, in dessen Auftrag dieses Bild entstanden war, nicht zu Grabe getragen, als gegen Klimt am 25. März 1900 der offizielle Sturmlauf begann. Gustav Klimt hatte den Auftrag erhalten, für die Aula der Wiener Universität drei große Deckengemälde zu entwerfen. Vom 8. März bis zum 1. Mai 1900 war das erste der drei Bilder, die „Philosophie”, in der Sezession ausgestellt. Der Andrang des Publikums war ungeheuer. 34.000 Besucher waren gekommen. Ein solches Interesse an einem Kunstwerk war seit der Makart-Zeit in Wien nicht mehr erlebt worden. Aufgestachelt wurde es durch einen Wolkenbruch der Entrüstung unter den Universitätsprofessoren, von denen zum Beispiel einer erklärte: „Ich kenne Klimt nicht und ich kenne auch sein Bild nicht. Aber ich habe einen solchen Haß gegen die moderne Kunst, daß ich ihr entgegentrete, wo ich nur kann.” Diese Äußerung erhärtet wieder einmal das Wort des Kunstgelehrten Lichtwark: „Der bloßen Intelligenz steht vom weiten Reich der Kunst oft nur eine enge Vorhalle offen.” , Ein Theologieprofessor meinte: „Eher lege ich meine Professur zurück, als daß ich zugebe, daß nackte Frauenzimmer in der Universität aufgehängt werden.” „Wir kämpfen nicht gegen die nackte und freie Kunst, sondern gegen die häßliche Kunst”, meinte ein anderer. Das Präsidium der „Sezession” protestierte beim Unterrichtsminister, Dr. Ritter von Hartei, und ließ demonstrativ einen Lorbeerkranz zu Füßen des Bildes niederlegen. In einem neuerlichen, von 87 Professoren unterschriebenen Protest gegen Klimts „Philosophie” hieß es: „Das Bild wird für spätere Betrachter als ein Zeugnis für das gärende Streben im Wiener Kunstschaffen der Jahrhundertwende sein Interesse behalten, aber an der Decke der Aula möchten wir ein solches Bild nicht sehen.” Aus diesem Bildersturm wurde schließlich noch ein Politikum gemacht; hatte doch gerade damals in Deutschland die berüchtigte „Lex Heinze” die Darstellung des Nackten als unsittlich erklärt. Auf der Weltausstellung des Jahres 1900 in Paris erhielt das Gemälde den „Grand Prix”.

Einer von den Kampfgenossen Klimts, der knorrige und humorvolle Alfred Roller, ließ im Heft 22 des „Ver-Sacrum”- Jahrganges 1900 verlauten: „Für unser Wien hat die Ausstellung noch eine besondere, geradezu epochale Bedeutung: Die Rezession kommt den Leuten nicht mehr sezessionistisch vor, das heißt, die Moderne hiat in Wien aufgehört, Mode zu sein, der gelangweilte Pöbel der verschiedenen Gesellschaftsschichten hat andere Spielzeuge gefunden. Und das ist ein großes, wohltuendes Glück für uns. Wird das fortan ein Vergnügen sein, wenn wir, unbehelligt von dem gleich verletzenden Lob und Tadel der Allzuvielen, mit unseren ernsten Freunden allein gelassen, unserer Arbeitsfreude werden freie Zügel geben können! Die Sezession ist in Wien keine Hetz mehr — um so besser für ihren Ernst.”

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