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Erinnerungen der österreichischen "Jahrhundertarchitektin" Margarete Schütte-Lihotzky.

Niemand würde jemals eine Frau ein Haus bauen lassen." Das war die Reaktion ihrer Familie und ihres ersten und wichtigsten Lehrers Oskar Strnad an der Kunstgewerbeschule, der heutigen Universität für angewandte Kunst, auf Margarete Lihotzkys Wunsch, Architektin zu werden. Doch die 1897 geborene Studentin setzte sich durch und wurde Österreichs erste Architektin, ein Entschluss, den sie auch in ihren Erinnerungen, die sie Anfang der achtziger Jahren begonnen hatte und die sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 beschäftigten, bekräftigt: "Hätte ich nochmals zu wählen, ich würde wieder Architekt werden."

Nach den veröffentlichten "Erinnerungen aus dem Widerstand 1938-1945" umfassen diese Aufzeichnungen Margarete Schütte-Lihotzkys, die von Karin Zogmayer aus dem Nachlass herausgegeben wurden, ihre Studienzeit und die zwanziger Jahre, in denen sie ihre Auffassung von Architektur als bauliche Umsetzung sozialer Anliegen entwickelt und gemeinsam mit anderen Mitstreitern in Wien und Frankfurt realisiert. Schade, dass mit dem Aufbruch nach Moskau 1930 diese Betrachtungen enden, nur mehr Skizzen - so die Herausgeberin -, seien über die Jahre danach erhalten.

Lihotzky ist dreiundzwanzig Jahre jung, als sie sich 1920 gemeinsam mit dem Gartenarchitekten Alois Berger an einem Wettbewerb für eine große Kleingarten- und Siedlungsanlage im Wienerwald beteiligt und der Entwurf den Preis gewinnt. Als einzige unter den Teilnehmern projektiert sie alle Bauten mit normierten Baubestandteilen - "keiner der Juroren hatte ausgerechnet der Frau die rationalste Lösung zugetraut".

In den folgenden Jahren ist die Architektin eingebunden in eine Gruppe führender Persönlichkeiten, darunter Josef Frank und Adolf Loos, die sich in der Aufbruchszeit des städtischen Wohnbaus zunächst in der Siedlungsbewegung und später beim Bau der großen Wohnanlagen engagieren. Sie entwerfen, bauen, halten Vorträge, schreiben Artikel und entwickeln Haus- und Wohnungstypen.

Margarete Lihotzky fand Kontakt zur Arbeiterbewegung und begann sich theoretisch mit dem Marxismus zu beschäftigen, die Verbindung von beruflicher und politischer Arbeit prägte ihr weiteres Leben. Nach einer sechzehnmonatigen Arbeitspause durch eine Tuberkuloseerkrankung - an der auch die Eltern starben -, bot sich für die Architektin genau diese Möglichkeit. Ernst May, den sie in Wien kennen gelernt hatte, wurde Stadtrat für Bauwesen in Frankfurt und holte sie als Mitarbeiterin in sein Team. Margarete Lihotzky, die 1927 ihren Kollegen Wilhelm Schütte heiratete, entwickelte aufgrund von Überlegungen über die rationelle Haushaltsführung, die Berufstätigkeit der Frau und die geringe Wohnfläche die "Frankfurter Küche", die sie berühmt machen sollte. Über 10.000 Einbauküchen wurden nach ihrem Modell in Frankfurter Wohnungen eingebaut. "Aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich habe bis zur Schaffung der Frankfurter Küche nie einen Haushalt geführt, nie gekocht und keinerlei Erfahrung im Kochen gehabt. Rückblickend auf mein Leben muß ich feststellen, daß ich mich in beruflichen Belangen für einen systematischen Menschen halte und daß ich naturgemäß jede mir gestellte Projektaufgabe immer in systematischer Weise begonnen habe."

Schlüsse für die Gegenwart

Schütte-Lihotzky beschreibt den damaligen Fortschritt im kommunalen Wohnbau, ohne ihn zu romantisieren oder gar als Modell für die Gegenwart zu propagieren. Sie reflektiert die historischen Umstände, kritisiert im Rückblick so manche idealistische Vorstellung und betont die Zeitbezogenheit von Architektur: "Nichts ist statisch, alles ist dynamisch."

Die Erinnerung an die Vergangenheit kann kein Selbstzweck sein und so resümiert sie: "Mir scheint das nur sinnvoll, wenn man daraus Schlüsse für die Gegenwart ziehen kann." Genau das macht Margarete Schütte-Lihotzkys Erinnerungen, ergänzt durch Fotos und Abbildungen, zu einer spannenden Lektüre.

Der Bau von Flachdächern zählte zum umkämpften Frankfurter Experiment. "Das Wohnen auf dem flachen Dach, zum Dachgarten ausgebaut, ist für viele Menschen in der Großstadt das ideale Wohnen." Die Architektin selbst lebte in Frankfurt und später in Wien in einer Wohnung mit Dachgarten und empfiehlt "dies zur Nachahmung".

Warum ich Architektin wurde

Von Margarete Schütte-Lihotzky

Hg. v. Karin Zogmayer

Residenz Verlag, Salzburg 2004

240 Seiten, geb., e 22,90

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