Alles, was klingt, anhören

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Ingo Metzmachers lesenswerte und informative Einführung in die Musik des 20. Jahrhunderts.

Ingo Metzmacher, weltweit gefragter Dirigent und Spezialist für neue Musik, stellte eine Hamburger Konzertreihe unter das Motto "Who is afraid of 20th Century Music?". Sein jüngst erschienenes Buch über die Musik des 20. Jahrhunderts bildet nun quasi das verbale Pendant dazu. Es will "Türen aufstoßen" und "Schlüssel verteilen". All jenen, die der Meinung sind, über Musik lasse sich mit Worten nur wenig ausrichten, hat Metzmacher das Gegenteil bewiesen. Das Schöne an dem Buch: dass man es, einmal begonnen, nicht aus der Hand legen möchte, auch wenn die Gliederung auszugsweise Lektüre ermöglicht; und dass man es aus der Hand legen möchte, um nachzuerleben, wovon gerade die Rede ist. Gut, dass viele der besprochenen Werke von Metzmacher auch auf cd-eingespielt wurden, wie etwa die acht Symphonien Karl Amadeus Hartmanns.

Zu seinem Gegenstand eröffnet der Autor einen sehr persönlichen Zugang. Hautnah erlebt man große Momente der jüngsten Musikgeschichte, wie etwa die Berliner Erstaufführung von Nonos "Prometeo". Sehr persönlich auch der Standpunkt. Immer wieder plädiert Metzmacher für zu wenig Beachtetes, Missverstandenes, Unterschätztes wie das Oeuvre von Varèse, Hartmann oder Stockhausen. "Modern zu sein heißt, natürlich zu sein, den Geist seiner eigenen Zeit zu interpretieren." Diese Haltung entsprach dem Entwicklungsdrang des jungen Pianisten, der die Beschäftigung mit neuer Musik als persönliche Befreiung, als Weg zu größerer Wahrhaftigkeit erlebte: "Ich war der künstlichen Welt der Interpretation entronnen".

Kapitel zu einzelnen Komponisten wechseln mit allgemeinen Überlegungen zu Stille, Farbe oder Zeit. Ohne chronologisch vorzugehen, führt der Autor von Mahler, Debussy, Schönberg, Strawinksy über Messiaen, Busoni, Ives bis zu Henze und Nono. Besonders fasziniert der Reichtum an gelungenen Musikbeschreibungen.

Im Vergleich zu Bernsteins Harvard-Vorlesungen, die problemorientierter, analytischer ans Werk gehen, wirkt Metzmachers Buch lockerer, leichter lesbar. Scheinbar mühelos gelingt es, sich auf Wesentliches zu konzentrieren: Vielstimmigkeit bei Mahler, Chromatik bei Ligeti, Metrum bei Debussy. Selbst komplexe Sachverhalte werden einfach dargestellt. Ansteckend die Begeisterung, die Entdeckungsfreude. Man erfährt von der "kostbarsten Musik" Debussys, oder "der lautesten Stelle, die ich kenne", bei Ives und dass derjenige, "der das Glück hat, einer Aufführung von Nonos Prometeo beizuwohnen, es niemals vergessen wird". Oder wie spannend es ist, im Sinne von Cage "alles, was klingt anzuhören", auch Alltagsgegenständen experimentierend Klänge zu entlocken.

Schlüssig auch die Auswahl an Quellentexten, wie etwa Busonis "Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst". Einziges Manko: das Fehlen genauer Angaben, sodass die Zitate nicht ohne längere Recherche im Kontext nachzulesen sind.

Gelungen dagegen das Glossar, das wichtige Fachtermini kurz erklärt. Informativ und anregend, zählt das Buch zweifellos zum besten derzeit am Musikbuchmarkt Gebotenen.

Keine Angst vor neuen Tönen

Eine Reise in die Welt der Musik

Von Ingo Metzmacher

Rowohlt Verlag, Berlin 2005

190 Seiten, geb., e 17,40

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