Als der Kult in Kunst umschlug

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Hans Beltings äußerst reizvolle Blicke in die Kulturgeschichte: in die Renaissance, die große Wendezeit.

Zwei prachtvolle Loggien ließ sich Federico di Montefeltro von Lucio Laurana in seinem Palast in Urbino errichten - nicht etwa auf die stattliche Piazza gerichtet, sondern sozusagen auf der Hinterseite, mit Blick auf die bewaldete Natur. Man kann in diesem eigenwilligen Projekt den Traum eines Renaissancefürsten erkennen, sich täglich seine Idealstadt zu imaginieren, weit entfernt von der Enge einer kleinen Bergstadt.

Der Blick in die Weite ist überdies eine schöne Metapher für die Renaissance, in der man in die unbekannte Welt vorstieß, zu abenteuerlichen Entdeckungsfahrten aufbrach. Nicht mehr im Ritter, sondern im Seefahrer sieht Peter Sloterdijk den Helden an der Schwelle zur Neuzeit.

Der Blick emanzipierte sich aus der dienenden Funktion im Mittelalter, wo das Auge noch das Auge Gottes war: "Bei Alberti ist das geflügelte Auge das Wappentier eines Subjekts, das im Blick souverän werden will."

Wiederbelebte Antike?

Das alles freilich - so versicherten uns die Intellektuellen des 15. Jahrhunderts - sei nicht neu, sondern einer wiederbelebten Antike zu verdanken, mit der man den ausgemergelten Formalismus der Scholastik vertreiben konnte. Bereitwillig hat seitdem die kulturgeschichtliche Rezeption diese Projektion aufgenommen.

Schon lange bemüht sich der Kunsthistoriker Hans Belting um eine differenzierte Korrektur dieses Klischees. Dabei setzt er an zwei Hebeln an: Einmal stilisiert er die Renaissance zur großen Wendezeit der europäischen Ideengeschichte, in der Kult in Kunst umschlug und das Subjekt zu sich selbst fand. Zum zweiten verweist er auf die Abhängigkeiten der Renaissance von anderen Quellen als nur den antiken.

Islamischer Anteil

Natürlich wissen anspruchsvollere Europäer um das Gewicht des islamischen Anteils an der europäischen Kulturgeschichte. Nicht nur die Schriften des Aristoteles haben wir aus dem Arabischen übersetzt, auch der Stand der Naturwissenschaften, namentlich der Medizin und Mathematik um die erste Jahrtausendwende war dank der arabischen Wissenschaftler hoch.

In der Astronomie war man - auch in den Benediktinerklöstern, wo die Übersetzungsarbeit geleistet wurde - längst darüber informiert, was Galileo Galilei noch 600 Jahre später zum Verhängnis wurde. Dass auch die Renaissance die Quellen des Orients zu schätzen wusste, hat sich ebenfalls herumgesprochen.

Aber Belting reichert unser Wissen nicht nur erheblich an, sondern seine Methode eines gegenseitigen Blicks der Kulturen aufeinander ist kulturgeschichtlich außerordentlich reizvoll und leistet in Zeiten eines durch religiöse Extremisten belasteten Verhältnisses auch unschätzbare politische Aufklärung. Beltings Geschichte kreist um den 965 in Basra geborenen al-Hasan Ibn al-Haitham (gest. 1040), den die Lateiner Alhazen nannten. Sein Kitab al-Manazir (Buch der Sehtheorie) wurde ein wissenschaftlicher Bestseller. Er brachte die antike Optik auf den neuesten Stand. Sie sollte erst im 17. Jahrhundert durch Newton überholt werden.

Dass Alhazens Theorie eine reine Sehtheorie blieb, lag an seiner bilderfeindlichen Kultur. Der Westen mit der üppigen Bild-Kultur verwandelte die Vorlage in eine Bildtheorie. Für Belting ist das entscheidend. Neben dem kulturellen Hintergrund benötigten die Renaissance-Künstler für die Konstruktion der Perspektive ein mathematisches Rüstzeug, das der Antike noch nicht zur Verfügung gestanden hatte. Ghiberts Hinweis auf die Wiedergewinnung der Perspektive aus antiker Vorlage entsprach nach Belting daher einem Wunschdenken. Das perspektivische Bild der Renaissance sei eine symbolische Form, welche die Wende zur Neuzeit markiert. Der Westen verschob die Aufmerksamkeit "vom täuschbaren, passiven Auge auf einen aktiven Blick, der sich nicht täuschen ließ, sondern seine Wahrnehmung durch Messung kontrollierte".

Verletzung des Regelwerks

Diese anhand der Kunstgeschichte überzeugende These geht freilich ideengeschichtlich nicht ganz so glatt auf. Mag auch der Blick gemessen am Mittelalter souverän geworden und von der Vision der Welteroberung getragen gewesen sein, zu einer kritisch-prüfenden Introspektion der Fähigkeit der Vernunft im Sinne Kants ist das bestenfalls ein erster, zugegeben mächtiger Schritt.

Indes, die für die Konstruktion der Perspektive grundlegende Rolle der Mathematik verweist auf eine andere Ambivalenz der Renaissance. Die sterile Absolutheit der reinen Geometrie widerspricht zwangsläufig dem sinnlich-emotionalen Menschsein. Streng genommen hebt die Perspektive dort, wo sie mit Zirkel und Lineal nach mathematischen Regeln den Menschenraum konstruiert, die Befreiung des Menschen wieder auf. Aller Wenderhetorik Beltings zum Trotz bleibt das Lob der Reinheit der Geometrie und "ihrer Dienerin, der Perspektive" als "lilienweiß, unbefleckt von Irrtum" (Dante) in einen religiösen, damit vorästhetischen Diskursrahmen eingebunden.

Erst in der bewussten Verletzung des strengen Regelwerks hat die Moderne die Einlösung der Souveränität des Subjekts gesehen. In diesem Punkt, also gerade aus einem kulturellen Selbstverständnis, sind - allen strukturellen Unterschieden zum Trotz - die Dreidimensionalität im Athen des 4. Jahrhunderts vor Christus und die Zentralperspektive der Renaissance als Zeichen einer aufgeklärten Moderne denn doch durchaus vergleichbar.

FLORENZ UND BAGDAD

Eine westöstliche Geschichte des Blicks

Von Hans Belting

Verlag C. H. Beck, München 2008

319 S., geb., € 30,80

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