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Als Österreicher in Paris

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Die politische wie wirtschaftliche Führungsschicht Frankreichs ist außergewöhnlich pressefreundlieh, was dem österreichischen Korrespondenten in Paris zuerst auffällt. Ein einziger Anruf genügt, und am selben Tag, höchstens 48 Stunden später, steht der gewünschte Gesprächspartner zur Verfügung. Niemals verleugnet er sich hinter Terminen oder sucht sonstige Ausreden. Die im deutschsprachigen Raum beliebte Methode, durch Sekretärinnen Barrieren zu errichten, konnte ich in Paris kaum feststellen.

Es berührt auch angenehm, daß den Journalisten bereitwillig eine Füäle von schwer zugänglichen Dokumenten, wie Sitzungsprotokollen neuesten Datums, zur Verfügung gestellt werden. Oft benötigt man Tage dazu, um diese Unterlagen zu studieren. Die Dauer der Unterredungen beläuft sich auf eineinhalb bis zwei Stunden. In dieser Zeit werden nur wichtige und sehr dringende Telefonanrufe durchgeschaltet. Die Unterredung gewinnt an Tiefe und Aussagekraft, und keiner dieser gehetzten Manager verflucht die Zeit, die er an einen „Schnüffler“ vergeudet. In einem ernsthaften Gespräch werden dagegen die jeweiligen Standpunkte herausgearbeitet.

„Die Fronten aufweichen!“

Frankreich sucht mit größtem Nachdruck neue soziale und wirtschaftliche Strukturen Der streikende Arbeiter bei Berliet und Dassaut sowie der mächtige Präsident einer verstaatlichten Großbank sind sich in einem Punkt vollständig einig: das traditionelle Frankreich des schönen Lebens, der Gastronomie, des frohen und frivolen Tändeins ist endgültig vorbei. Überall tauchen soziale Probleme auf, die man leidenschaftlich diskutiert. Es handelt sich dabei um einen Zug, der die französische Industrie, aber auch die Landwirtschaft in eine echte Bewegung versetzt. „Der Betrieb des Papas, der Bauernhof der Vorfahren, sie sind vorbei.“ Wie oft hörte ich diese ernstgemeinten Aussprüche. Radikale Lösungen der gesellschaftlichen Beziehungen werden vorgeführt. Die katholische Kirche Frankreichs hat diese Zeichen der Zeit verstanden und steht in der vordersten Front solcher Auseinandersetzungen.

Von allen Seiten wird betont, daß der Dialog notwendig ist. „Wir müssen sprechen, die Fronten aufweichen, die sozialen Spannungen lösen“, hört man immer wieder. Unternehmer wie Gewerkschaftsbosse sind sich einig, daß langwierige Verhandlungen und umfangreiche Aussprachen die wirtschaftlich-sozialen Grenzen der Nation bestimmen.

Der General

Die jungen Unternehmer, die ambitionierten Mitglieder der ausgezeichnet organisierten Jung-bauernzentralen sind von einer Art missionarischem Eifer erfaßt, der an Stelle der bequemen Unbeweglichkeit den energischen Willen zur Erneuerung setzt.

Ja, und dann erscheint „er“. Unweigerlich kommt jedes Gespräch auf ihn zurück: „Der General“. Man braucht seinen Namen gar nicht zu nennen. Man liebt ihn oder man verurteilt ihn. Er fordert zu einer Stellungnahme heraus. Sein gewaltiger Schatten liegt über der Nation. Die französische Intelligenz lehnt ihn fast zur Gänze ab. Die Gewerkschaften haben ihm den Krieg erklärt. Die Unternehmer kritisieren seine Wirtschaftspolitik. Aber jeder Franzose gibt schließlich offen zu, daß es sich um eine historische Erscheinung handelt, die wenige Vorgänger in der nationalen Geschichte hat. Die Gesprächspartner werden meistens verlegen, wenn sie nach geschichtlichen Parallelen suchen, um den Ausländern die Stellung de Gaulles zu erklären. Vielleicht ein Kardinal Richelieu, aber schon nicht mehr ein Clemenceau. Alle Herren kritisieren dagegen die zu enge Vorstellung des Generals von einem Nationalstaat.

England und Deutschland

Frankreich ist derzeit ungewöhnlich europafreundlich eingestellt, und die Einheit Europas wird als eine Notwendigkeit in der Gegenwart bezeichnet. Auch von Gegnern des Generals wird eingesehen, daß der Einfluß der USA in Europa in vernünftigen Grenzen zu halten ist Der oft kleinliche Antiamerikanismus des Regimes wird jedoch verurteilt.

In einem speziellen Punkt interpretiert der Staatschef die öffentliche Meinung des Landes sehr richtig: Frankreich ist von einem tiefen Mißtrauen gegen England erfaßt. So verwunderlich es klingt, das französische Volk denkt weniger an 1914 bis 1918 oder an den Wider-

Standswillen Englands 1940, sondern eher an die verbrannte Jeanne d'Arc, den Hundertjährigen Krieg und Faschoda. „Das trojanische Pferd in der EWG, das perfide Albion, die Engländer wollen nur zerstören, was wir seit zehn Jahren aufgebaut haben“, lauten einige Kostproben. Hier steigen aus den Tiefen jahrhundertealter Erlebnisse sehr lebendige Ressentiments auf.

Ganz anders lautet das Urteil über Deutschland. Frankreich wünscht aus dem Zweckbündnis der fünfziger Jahre eine echte und überzeugte Annäherung an das deutsche Volk zu gewinnen. „Wir ergänzen uns und sind der Motor des künftigen Europa. Die Zeit der Bürgerkriege ist endgültig vorbei.“ Leider zerschlug das Team Erhard-Schröder sehr viel Porzellan. Die Regierung Kiesinger-Brandt gewann dagegen sehr schnell Vertrauen. Von den übrigen deutschen Politikern erkennt man Franz Joseph Strauß politisches Genie und zukünftige Größe zu. Dieser Persönlichkeit ist es gelungen, bei jedem politisch interessierten Franzosen ein gewisses Image zu erzeugen. Mit echter Sorge werden die Erfolge der NDP zur Kenntnis genommen. „Kommen die Nazis wieder?“ lautet fast immer eine Frage. Das Trauma der Besatzung sollte nicht unterschätzt werden. Es bedarf also der Zeit und sehr vielen Geschicks, um die Freundschaft mit Deutschland zu festigen.

Nach den gewonnenen Eindrücken wird Frankreich allles unternehmen, um die EWG-Gemeinschaft zu stärken. Es wird aber mit halbem Ohr und eher unwillig die Beitrittswünsche übriger Staaten registrieren. Erst nach der Konsolidierung der Sechsergemeinschaft in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht dürfen die übrigen europäischen

Nationen die Stufen zu diesem „Heiligtum“ überschreiten.

Oft wird in den höchsten Tönen von unserem Land gesprochen. In der Vorstellung der französischen Gesprächspartner taucht vorerst die herkömmliche Symphonie auf: Mozart, Strauß, die Sachertorte, die Lipizzaner und das Skifahren in Tirol.

Verwunderlich ist, wie wenig die Führungsspitze Frankreichs unsere eigentlichen politischen Probleme kennt. Von jüngeren historischen

Persönlichkeiten tauchen lediglich Seipel, Dollfuß und Raab als Begriffe auf — hier sei natürlich nicht von Literatur und Kunst gesprochen. Von den lebendigen Zeitgenossen erfreut sich eigentlich nur Kardinal König einer echten Kenntnis seines Wirkens. Seine Ostkontakte wurden auch dem Durchschnittsfranzosen ein Begriff. Schließlich wird auch die österreichische Rechtsprechung erwähnt, die mit so vortrefflichem Eifer Henker und Kriegsverbrecher freispricht.

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