"Also, dass du dich das traust!"

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Angefangen hat es mit Recycling in der Schule. Heute sitzt Christiane Brunner für die Grünen im Parlament, ist bei Klimagipfeln | mit dabei - und muss mit Frustrationen leben lernen. Ein SINN:BILD über das Bohren harter Bretter namens Politik.

Das mit den Weihnachtsgeschenken ist diesmal eine besondere Herausforderung - und schuld daran ist nicht nur der Last-Minute-Einkaufstermin am 23. Dezember. Dieses Mal kommt für Christiane Brunner ihr selbst auferlegtes Kunststoff-Tabu erschwerend dazu. "PVC ade. 30 Tage ohne Plastik" nennt sich das Experiment, zu dem sich die 34-Jährige selbst verpflichtet hat. Pünktlich am Heiligen Abend, wenn sich endlich die stille Nacht über die pulsierenden Einkaufsstraßen legt, wird ihr Selbstversuch enden.

Leicht war er nicht - zumindest nicht in herkömmlichen Geschäften. "Vor ein paar Wochen war ich unterwegs, doch im Tankstellen-Shop hätte ich mir entweder Weißwein kaufen können oder gar nichts", erzählt Brunner in ihrem hellen Büro in der Wiener Löwelstraße. Mehr Erfolg hatte sie in Bio-Läden, auf Bauernmärkten oder zuletzt in einem Asia-Laden, wo sie als Vegetarierin endlich Tofu fand, das offen verkauft wird und in einem mitgebrachten Gefäß transportiert werden kann.

Und der Sinn der ganzen Aktion? Glaubt sie wirklich, dass ein Leben ohne Plastik möglich ist? "So naiv bin ich nicht", sagt die energische, junge Frau. "Aber man sollte sich bewusst machen, welche Rolle Plastik in unserem Leben spielt." Nur an das Umweltbewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten zu appellieren, wie es zuletzt der zuständige Minister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) getan habe, sei jedenfalls zu wenig. "Als Umweltminister muss man den Rahmen so verändern, dass die Leute nicht mehr nur aus Plastikflaschen wählen können", sagt Brunner. "Dieses Verändern von Rahmenbedingungen - das ist Politik."

"Es ist einfach unerträglich"

Zumindest sie selbst hat den Anspruch, die Welt etwas besser zu machen. Seit zwei Jahren ist Christiane Brunner Grüne Nationalratsabgeordnete - und in ihrem Parlamentsklub für die grünen Herz- und Magenthemen Umwelt-, Energie- und Anti-Atompolitik sowie Tierschutz zuständig. Zusätzlich ist sie Vorsitzende des Umweltausschusses, wo sie zuletzt das Abfallwirtschaftsgesetz verhandelt hat - und vor Ärger beinahe an die Decke ging: "Es ist einfach unerträglich, wie ambitionslos manche Abgeordnete und vor allem der Herr Minister da drinnen sitzen", bloggte sie nach der Sitzung.

Dass das scheinbar spröde Thema Abfall für sie durchaus emotionsgeladen ist, hat nicht nur mit dem Film "Plastic Planet" zu tun, der sie sehr bewegt hat - sondern vor allem mit ihrer eigenen Geschichte. 1976 im burgenländischen Güssing geboren und in Mogersdorf nahe der ungarischen Grenze aufgewachsen, beschäftigt sich Brunner schon in ihrer Schulzeit mit den Themen Müllvermeidung und Recycling. Sie studiert Umweltsystemwissenschaften in Graz, widmet ihre Diplomarbeit dem (damals neuen) Begriff "Nachhaltigkeit" - und wird 2002 Projektkoordinatorin im Europäischen Zentrum für erneuerbare Energie in Güssing. "Das war eine neue Erfahrung", erinnert sich die Politikerin amüsiert. "Früher ist man als Burgenländerin irgendwo hingefahren und hat sich gedacht: Oh, da funktioniert alles, aber bei uns daheim geht es eh nicht. Doch plötzlich sind Menschen aus aller Welt zu uns gekommen und haben unsere Energiekonzepte bestaunt."

Es ist die Zeit, als sich die junge Frau erstmals politisch engagiert: Drei Jahre lang ist sie als unabhängige Kandidatin auf einem ÖVP-Ticket im Gemeinderat von Mogersdorf aktiv - bis sie ihre erste Bürgerinitiative gegen die Schnellstraße S7 durch das Lafnitztal gründet und "sehr schnell" bei den Grünen landet.

Die Reaktionen auf ihr parteipolitisches Outing sind durchwachsen. Einerseits gibt es anerkennende Worte für ihr Engagement, andererseits auch Verwunderung: "Also, dass du dich das traust!" wird ein Satz, den sie in ländlichen Gegenden öfter hört. Und manchmal spürt sie auch, wie sie angreifbar wird: "Ich habe selbst erfahren dass damals Leute bei meinem Chef in Güssing vorgesprochen haben, dass ich dort nicht weiterarbeiten soll", erinnert sich Brunner. Zum Glück sei der Boss loyal gewesen.

2005, bei der burgenländischen Landtagswahl, erlebt die Jungpolitikerin dann, was Wahlkämpfen heißt: In ihrer Freizeit geht sie Klinken putzen, verteilt Folder und erklärt grüne Positionen. "Am Anfang war das eine Überwindung", erzählt die 34-Jährige. "Aber mein Vorteil war, dass ich das schon bei meiner Bürgerinitiative gemacht habe - und nicht erst, um die Leute zu bitten: Wählt mich doch!" Das Projekt Landtag geht trotzdem schief. Brunner wird Grüne Bezirkssprecherin in Jennersdorf, gründet ihre zweite Bürgerinitiative gegen die geplante Müllverbrennungsanlage in Heiligenkreuz und geht in den Jennersdorfer Gemeinderat.

Bis zu jenem Tag, als man ihr ein Angebot macht, das sie nicht ablehnen kann: bei der Nationalratswahl 2008 auf Platz 5 der Grünen Bundesliste zu kandidieren. Ab da ist klar, dass sie Berufspolitikerin wird.

Was das im Alltag bedeutet? Beständig harte Bretter zu bohren - und sich in Frustrationstoleranz zu üben. "Meine erste Ausschusssitzung, bei der mein Antrag unabhängig von den Argumenten einfach weggewischt worden ist, war mein erster Frust", gesteht die Parlamentarierin. Mindestens so groß war er beim Klimagipfel in Cancún, wo sie miterleben musste, wie die Einigung auf das Weiterdiskutieren bereits als Erfolg verkauft wurde - und ein rhetorischer Ausrutscher des österreichischen Umweltministers die Schlagzeilen bekam.

Wie man sich angesichts dessen seinen Idealismus behält? "Indem ich mir selber nicht vorwerfen will, nichts getan zu haben", sagt die energische, junge Frau. So sei auch ihr Selbstversuch "PVC ade" einzuordnen, den - hoffentlich - am 24. ein paar plastikfreie Präsente unterm Christbaum krönen.

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