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Alte Opern, neue Spiele in Graz

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„Martha“ ist nicht entschwunden; Flo-tows ein bißchen hausbacken-sentimentale Oper taucht immer wieder, allen andersartigen Prognosen zum Trotz, auf dem Programm der Opernhäuser auf. Handelt es sich dabei um eine Aufführung von der Qualität der letzten Grazer Inszenierung, so kann man getrost der „Unsterblichkeit“ der guten alten „Martha“ zustimmen. Der Grazer Oper, die heuer in einem Erfolgsjahr zu stehen scheint, gelingt mit jeder Premiere ein neuer Treffer. Der bekannte Fernsehregisseur Wolfgang Glück inszenierte „Martha“. Es ist seine erste Opernregie. Was dabei herauskam, ist wohl das Bezauberndste, was seit vielen Jahren auf dem Gebiet der Spieloper hier zu sehen war — ja, es würde sich geradezu lohnen, nach Graz zu fahren, um dieses Meisterstück eines Debütanten zu sehen! Den Fernsehpraktiker merkt man an der liebevollen Hingabe an das unscheinbarste szenische Detail: da ist auch die kleinste Geste noch innvoll, das letzte Winkelchen der Bühne noch mit Sorgfalt behandelt, so als ob eine unsichtbare Kamera im nächsten Augenblick einen Nebenschauplatz zur Großaufnahme herausholen könnte. Über der ganzen Handlung aber liegt eine leicht wehmütige Atmosphäre voll herzlichen Charmes. Das prachtvolle Bühnenbild Skalickis beschwört einen farbenglühenden barocken Herbst mit Anklängen an französische und englische Maler des 18. Jahrhunderts. Dazu kommt eine fast ideale Besetzung der wichtigsten Partien: William Blankenships schwermütiger, nobler Lyonel mit einem Tenor voll lyrischen Wohllauts, Eta Köhrers schlanker Sopran, Erika Schuberts dunkler Mezzo, Günther Adams fröhliche Buffo-laune und Alexander Fenyves' dezente Komik. Sauber und adrett musizierte das Orchester unter M. Kojetinsky.

Nicht jeder Regisseur versteht es, ein harmloses Libretto so geschickt mit Handlung anzureichern, wie dies Wolf-gang Glück gelang. Klaus Gmeiner erfand bei seiner Inszenierung der heimliehen Ehe“ Cimarosas im Schauspielhaus zwar „Gags“ in reicher Fülle, aber es war doch eine falsch verstandene Rokokotändelei, der das rechte Maß fehlte. Musikalisch geriet die bezaubernde Buffa ein wenig grob (Kojetinsky), um so mehr erfreuten dagegen das degagierte Singen und Spielen der Darsteller (Hanak, Goo-(fall, Fenyves, Helm).

Den am modernen Theater interessierten Besucher hat das Grazer Schauspiel seit längerem auf Hungerration gesetzt. Um so dankbarer vermerkt man die emsigen Bemühungen des Kellerstudios der „Spielvögel“, ihren Freunden ein unkonventionelles, originelles Programm zu bieten. Aus der Tätigkeit der unter Harald Kopp und Ingo Wampera auf einer winzigen Bühne agierenden Gruppe möge ein Abend mit Spezialitäten aus fünf Ländern hervorgehoben sein: den Anfang machte Lorcas Kurzspiel „Buster Keatons Spaziergang“', eine Radpartie ins Reich „absurder“ Poesie voll hübscher surrealer Zauberei; „Aria da capo“ von der Amerikanerin Edna St. Vincent Millay ist ein antikisierendes Symbolspiel vom Mißtrauen und der Entzweiung der Menschen, umrahmt von sinnentleertem Papageiengeschwätz zweier Commedia-Figuren, das beinahe wie die Kopie eines Ionesco-Dia-loges wirkt. Dabei handelt es sich aber keineswegs um einen Abklatsch moderner französischer Farcen, sondern eher um eine Vorwegnahme, denn das Stück wurde bereits 1927 geschrieben. Der Einakter „Eine Hundekälte“ von Arnos Kenan (Israel) ist ein Spiel für einen Mimen und mehrere Stimmen und hat die ausweglose Einkreisung des Individuums zum Thema. In dem Monodram ..Der Schulmeister“ des Engländers James Saunders werden Phrasenhaftigkeit und Selbstsicherheit des „homo sapiens“ in grimmiger Komik entlarvt. Die russische Kurzkomödie „Der Schlüssel“ von Awer-tschenko ist zwar witzig pointiert, fiel aber gehaltlich neben den übrigen Werken ziemlich ab. /

Endlich hat sich dann auch das Grazer Schauspiel der modernen Dramatik erinnert. Bedauerlicherweise fiel die Wahl auf eine Komödie, die eher als Nebenprodukt des zeitgenössischen Theaters bezeichnet werden muß. Dieter Waldmanns zum erstenmal in Österreich gezeigtes Spiel „Von Bergamo bis morgen früh“ geht von einem hübschen Einfall aus: Harlekin und Pierrot tauchen in unserer heutigen Business-Welt auf und hüllen Zug um Zug die Menschentypen von heute ein ins Kostüm der jeweiligen Com-media-Figur, die ihnen zusteht. Ein etwas kurzatmiger Vorwurf, der deshalb über Gebühr gestreckt und mit etwas vordergründigen Symbolismen und schwächlicher Zeitkritik garniert wird. . Obwohl das Stück nicht sonderlich überzeugend ist, wurde die Grazer Aufführung zu einem verdienten Publikumserfolg, da der Regisseur Hermann Treusch alle technischen, akustischen und optischen Mittel der Bühnenmaschinerie zu einem furiosen Faschingsspektakel steigerte und das Ensemble zu amüsanter mimischer Turbulenz animierte.

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