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Alte Theaterzettel erzählen

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Jeder Theaterzettel liefert einen Beitrag zur Theatergeschichte. Wo der Zettel fehlt, sieht sich die Theaterforschung ihrer wichtigsten und verläßlichsten Informationsquelle beraubt und gerät aufs trockene. Durch die entwickelte Methodik moderner Theaterforschung, welche die Erhaltung des Zettels jeder einzelnen Vorstellung an verschiedenen Stellen — in Bibliotheken vor allem — fünffach oder zehnfach für alle Zukunft sichert, ist diese Gefahr freilich schon seit geraumer Zeit gebannt. Aber je weiter wir zurückgehen in die Vergangenheit, desto häufigere und breitere Lücken ergeben sich in unserer Kenntnis von den Spielplänen und Darstellern des damaligen Theaters, und die Forschung sieht sich immer wieder vor unlösbare Aufgaben gestellt.

Besonders erschwert ist soldierart die Erforschung des Alt-Wiener Vorstadttheaters in seiner ersten Frühzeit, des Theaters jener unterschiedlichen Wandertruppen, denen im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts das Wiener Theaterwesen weitgehend überantwortet war, denn an „stehenden“ Bühnen gab es damals außer dem Nationaltheater bloß die Theater in der Leopoldstadt, in der Josefstadt und auf der Wieden. Daß gerade von den Wandertruppen auf den Vorstadtbühnen nur ganz karge Zettelbestände erhalten sind, wird von Blümnil und Gugitz, den verdienstvollen Forschern auf diesem '— wie auf manchem anderen — Gebiet lebhaft genug beklagt, doch ist es ihrem unermüdlichen Eifer gelungen, audi aus jener Zeit immerhin manches theatergeschichtlich und kulturhistorisch interessante

Detail zutage zu fördern, das bisweilen auch des unfreiwilligen Humors nicht entbehrt. Das trifft insbesondere auf die häufig bombastischen und kuriosen Anpreisungen zu, mit denen der damalige Theaterzettel oder „Komödienzettel“ das Publikum anzulocken trachtete.

Da läßt der regsame und ewig ruhelose Schauspieldirektor Johann Matthias Mennin-ger (übrigens der gleiche Mann, der den Badnern zu ihrem ersten, wenngleich zunächst bloß in einem alten Stadl untergebrachten Theater verhalf und dafür zum Ehrenbürger von Baden ernannt wurde) gelegentlich eines Grazer Gastspieles seiner Truppe für eine Festvorstellung zu Ehren der Kaiserin Maria Theresia (1768) auf den Komödienzettel drucken: „Das in dem Tempel der Glückseligkeit gefeyerte Fest glücklicher Unterthanen- Die Bühne stellt einen wohlbeleichteten, der Glückseligkeit geweihten Tempel vor, in welchem die Abbildung unserer aller gnädigsten Monardiinn zu sehen ist. Die Glückseligkeit unterwirft sich ihr. Der Deutsche, der Ungar, der Soldat, und der Staatsmann knien mit geneigten Haupt vor ihr, und der Vorhang wird unter Trompeten und Pauken-Schall eröffnet. Nach diesen folget ein besonders gut geratenes, von einem k. k. Hauptmann verfertigtes Trauerspiel in Versen und fünf Abhandlungen vorgestellt; betitelt: Trojan und Aurel, oder: Wettstreit zwischen Liebe und Gerechtigkeit. Wenn es die Zeit zuläst, wird den Beschluss der Casperle mit einem lustigen Nachspiel machen.“

Nicht weniger heiter liest sich auch der Zettel, mit dem Menninger am 19. Februar 1770 in der Leopoldstadt einen neuen „Doctor Faust“ ankündigt. Es heißt da: „Das fast zur Wahrheit angenommene alte Märchen von dem berühmten Doctor Faust Ist der Grund zu diesen Neuen Triumpf! Triumpf dem sinnreichen Author! Triumpf der Cassa! Der Casperle wird durch Scherze, Singen und Tanzen seinen Gönner vergnügen. Der Hanswurst wird sich in dem Caraktere eines alten Pedanten vermumen, und das ganze Stück wird mit einem mas-quirten Ball lustig beschlossen.“ — Am 19. April 1780 beglückte Jtfenninger die Badener in dem für ihn erbauten neuen Theater mit einer Erstaufführung, die der Zettel also ankündigt: „Die bestraften Räuber Andrassek und Jurassek, ein aus einer wahren Geschichte entlehntes Schauspiel in 3 Aufzügen, wobey Casperle einen gekränkten Müller und verstellten türkischen Prinzen Huzibuzi vorstellet.“

Nicht ohne schmunzelndes Behagen wird man auch den Komödienzettel lesen, mit welchem der bekannte Schauspieldirektor Georg Wilhelm am 25. September 1783 im Theater „Zum weißen Fasan“ am Neustift (heutige Neustiftgasse) eine Erstaufführung anzeigt:

„Der bayerische Hiesel, oder die bestraffte Wildschützenbanda. Schauspiel in vier Aufzügen mit Kasperl, einem flüchtigen Deserteur, gezwungenen Wildschützen und beängstigten Gefängniss-Wärther. Verehrungswertes Publikum! Wenn jemals ein Stück zur Augenweide und Ergötzung des Gemüts ein Grosses beigetragen, so wird das heutige Schauspiel allen anderen den Vorzug streitig machen; es ist voll Handlung, Wahrheit und Unterhaltung, lustig und rührend zugleich. Da die Begebenheit des bayrisch Hiesels schon zu seinen Lebzeiten das ganze Reich und alle auswärtige Staaten aufmerksam machte, so schmeicheln wir uns, daß die Vorstellung desselben umso interessanter sein werde. Dieses Schauspiel ist ganz aus der wahren Geschidite geleitet, und bloss für das Auge und Herz unseres teuersten Gönners ehrfurchtsvoll geweihet worden. Wir brauchen keine weitere Anempfehlung als einen zahlreidien Zuspruch.“

Die Anschlagzettel des_ „F a s a n - T h e a-ters am Neustift“ trugen den ständigen Vermerk:

„Die Einfahrt für die Wägen ist von der Seite des Neubau, von wo aus ein gut be-leuditeter, bedeckter Gang, welcher für alle Anfälle der Witterung sdiützt, bis zum Eingang des Schauspielhauses führet.“

Eines der sonderbarsten Originale im Theaterleben Alt-Wiens sdieint die Direktorin Barbara Fuhrmann gewesen zu sein, die, nachdem sie ihr Theater „Zum Wasen“ (in der Gegend der heutigen Dreihufeisengasse) glücklich zugrunde geriditet hatte, ihr Unwesen im Kärntnertortheater fröhlich weitertrieb. Aus dieser Zeit (1784) stammt ein Theaterzettel, auf dem zu lesen stand: „Hainz vom Stein der Wilde oder: Die Fehden der alten Deutschen, ein neues vaterländisches Ritterspiel in fünf Aufzügen, wobey Herr Damen, ein rühmlich bekannter Schauspieler, die Rolle des Ritters Siegfried als Gastrolle spielen, Hainz aber den Mädchenraub auf einem lebendigen Pferde vorstellen wird. Zu diesem Stück getraut sich die Unternehmerin jedermann umso zuversichtlidier einzuladen, als selbiges ganz besonders ausgearbeitet ist, es auch sonst niemand in der Gestalt, in der es hier erscheinen wird, besitzt...“ — Ein andermal kündigt der Zettel an: „Prinz Emerich von Franken oder: Die Eiche der Verschwörung. Ein neues großes Ritterspiel in vier Handlungen, mit Ritteraufzügen, Kämpfen, Verkleidungen und ehegeglaubten Geisterszenen von Meissner. Da dieses Stück das einzige in seiner Art, auch sonst in Niemandes Händen ist, so schmeichelt sich die Unternehmerin, damit Ehre einzulegen; lange schon war es der Wunsch aller Theaterliebhaber, ein mit Johann von Sdiwaben ganz gleiches Subject auf der Buhne zu sehen. Es wird in diesem Stück sdirecklich viel Spektakel vorkommen! Auch ist ein Pferd dabey!“ — Auf Pferde hielt die „Fuhrmannin“ (wie sie sich unterfertigte) überhaupt große Stücke und lieh sich für ihre Bühne ständig alte, abgezehrte Fiakergäule aus. In einem ihrer Stücke („Der große Jahrmarkt in Ablaminopolitanien“) mußte der Darsteller des bayerischen Hiesel gleich auf vier solchen Schindmären Reiterkunststücke ausführen.

Ein Zettel des Theaters auf der Landstraße (hinter der Rochuskirche) meldet: „Die sdiöne Esterle oder: Die Judenhoch-zeit von Prag, komisdies Ballett mit einem ganz neuen Judentempel und transparenter Illumination vom Ballettmeister Huber.“ Ein andermal (29. Mai 1792) wird der Ankündigung der Neuheit „Erdbeben in Messina“ die Versicherung beigefügt: * \

„Es ist weder Mühe noch Aufwand gesparet worden, um durch Täuschung der Erdstöße, Einstürzung der Gefängnisse, Türme und Paläste im vierten, und dem gräßlichen • Scheitern eines Schiffes im fünften Akt die Vernichtung dieser einst so schönen Stadt, die anno 1783 den 5. Februar ein Schutthaufen geworden, denen edlen Bewohnern Wiens sehenswert darzustellen.“

Bei der Ankündigung der Premiere von „Die Eroberung von Jerusale m“ beteuert die Direktorin Elise Kettner: „Dieses ganz auf historische Wahrheit gegründete Sdiauspiel würdig darzustellen, hab' ich keine Kosten gespart, um sowohl dem Auge durch die, neuen Theaterverzierungen des fränkischen Lagers und der Tore samt den Mauern von Jerusalem, als auch dem Ohr durch die Musik beim Sarazenischen Einzüge sattsame Nahrung zu geben.“ Ihr Meisterstück in der verlockenden Anpreisung legte aber die wackere Kettner am 10. Juli 1792 ab, als sie auf den Komödienzettel, weldier die Aufführung der „Maria Stuart“ ankündigte (nicht jener von Schiller, sondern der eines gewissen Spieß), drucken ließ:

„Um dieses vortreffliche Stück noch interessanter zu machen, geht die Enthauptung der Königin von Schottland öffentlich auf dem Theater vor.“

Die Kettner folgte dabei offenbar dem Beispiel ihres verstorbenen Gatten, welcher bei der „Agnes Bernauer“ angekündigt hatte: „Madame Kühne als Agnes Bernauer wird öffentlich vor den Augen der Zuseher von der Brücke ins Wasser gestürzt.“ Dieses mit ständigen Schwierigkeiten verzweifelt kämpfende Theater suchte sich eben auf jede nur mögliche Weise zu behaupten. Auf dem Zettel vom 27, Juni 1790 stand der flehentliche Notruf zu lesen: „Schüchtern wagen es Unterzeichnete, einen hohen Adel und verehrungswürdiges Publikum um gnädlge Unterstützung und gütigen Zuspruch Eu bitten; weit entfernt, mehr zu versprechen, afe wir zu leisten im Stande wären, sagen wir also nicht mehr, als daß wir sowohl in Balletten, als in dem ohnehin berühmten Lustspiel unsre ganzen Kräfte tufbieten werden, um sich der Gnade und des Beyfalls eines hohen Adels und verehrungswürdigen Publikums immer würdiger zu machen. Sollten wir so glücklich seyn, eines zahlreichen' Zuspruchs gewürdigt zu werden, so wird der Dank unauslöschlich seyn von der ganzen Gesellschaft.“

Aber auch solche Rettungsversuche nützten der tapferen Frau nichts mehr. Das Landstraßer Theater wurde nach bloß dreieinhalbjährigem Bestände in ein Zinshaus umgewandelt. Der Komödienzettel der letzten, Vorstellung vom 17. Oktober 1793 ist erhalten.

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