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Alter Wahn wird wieder jung

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„twe Prophetin, die wirklich wahrsagen kann, die halbe Welt bereist hat, ist zu finden von 2 bis 6 Uhr, nur wochentags . .

Zeitungsinserat

„Die Hälfte aller Deutschen liest heute wieder astrologische Voraussagen, etwa ein Viertel schenkt ihnen Vertrauen.” „Mehr als siebzig Zeitschriften (in Westdeutschland) bringen heute Wochenhoroskope.” Die statistische Erhebung eines Freiburger Instituts stellt für 1960 fest, daß 30 Prozent (!) fest an Sterndeutung glauben und weitere 20 Prozent einen Einfluß ler Sterne auf unser Leben für absolut möglich halten. Das bedeutet eine Verdoppelung der Horoskopgläubigkeit hinnen zwei Jahren . . . Das sind Zahlen, mit denen die Presse rechnet, und indem sie mitspielt, hilft sie die Sucht verbreiten.

Wenn wir von einem Horoskop- inwesen sprechen, so rührt das aus len Niederungen gegenwärtiger Astrologie her, von dort, wo diese im Gelände des billigen Jakobs marktschreierisch durch die Spalten der fresse zieht und Lebensgeheimnisse anpreist wie Krawatten zu einer halben Mark. Billigster Tand unter einem zinst großen Namen. Und gefährlicher Fand, weil als praktische Lebenshilfe verkauft, an unzählige, die vom neugierigen Befühlen allmählich zum Benutzen kommen. Im Zuge der neuzeitlichen Forschung mußte die Astrologie notwendig Sinn und Gewicht verlieren; loch nach den beiden Weltkriegen schlug das Pendel wieder zu ihren Cunsten aus — und zwar ebenso heftig, wie vorher ihr Ansehen gesunken ¡var. Mit der nüchternen Vernunft gesehen, kann sie nichts anderes mehr sein als Irrlehre oder Scharlatanerie. Doch Millionen nehmen sie an, Millionen richten sich täglich nach ihren Weisungen. Neben der „Fachliteratur” bewirkt dies hauptsächlich eine gewisse Presse.

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Es gibt die Horoskopspalten der Tages- und Wochenpresse sowie der Illustrierten; es gibt eine eigene, weit gestreute astrologische Wochenpresse; es gibt, neben Kalendern, einen bunten Strauß periodischer Fachschriften und Lehrbücher. Zwei große Konsumentengruppen also sind zu unterscheiden: die Zufallsleserschaft der Massen- und Straßenpresse, anderseits die Interessierten, die Anhänger, die „Gläubigen”. Die astrologische Wochenpresse versucht, vom Kiosk aus gleichzeitig die Neugier der Passanten wie das Interesse der zahlreichen Anhänger mit allen journalistischen Mitteln anzusprechen. Die Horoskopspalten der „normalen” Text- und Bildpresse hingegen antworten einem offenbar auflagewichtigen Bedürfnis des Herrn Jedermann, der in einer undefinierbaren Mischung aus Neugier und Unsicherheit „seinem” Horoskop sowohl Unterhaltung wie vor allem private Information abverlangt. Beides wird ihm geboten: die Horoskopie reicht vom Einzelschicksal bis zum Wettlauf, von allgemeineren wirtschaftlichen und politischen Zukunftprognosen bis zur privaten positiven oder negativen Chance; sie gibt vor, Charakteranalysen und Verhaltensregeln zu bieten; schließlich nimmt sie zu lebenswichtigen oder doch allgemein interessierenden Fragen wie Beruf Arbeitsplatz, Liebe, Ehe, Familie, Erziehung, Toto, Lotterie, Produktionsplänen, Geschäftsverkehr und Reiseabsichten Stellung, indem sie Erfolgstendenzen oder Gefahren, Überraschungen oder Spannungen ankündigt. Au; allen diesen Zielrichtungen ergibt siel eine thematisch unterschiedliche, insgesamt jedoch einheitliche und regelmäßige Massenbeeinflussung.

Je nach ihrem publizistischen Ran; gestaltet die Presse ihre Horoskop texte. Sie nimmt sie offiziell wichtij oder weniger wichtig, als wesentliche! Bestandteil oder als notwendig gedul detes Element. Dies äußert sich schoi in der Placierung, bei den seriöse! Blättern überwiegend im rückwärtige! Teil des redaktionellen Textes oder ga auf Inseratseiten. Ferner durch di mehr oder minder betonte Ausgestal tuns und Betitelung, die von reiße rischer Großaufmachung bis zu ver schämter Halbsachlichkeit reicher

Man nimmt auf den vermuteten Bildungsstand der Leserschaft überlegte Rücksicht; die Unterschiede der äußeren Darbietung sind ebenso erheblich wie die der Ausdrucksweise: einige Blätter servieren ihre horoskopischen Aussagen todernst als Mitteilungen von Nachrichtenwert; andere ziehen eine verblümte, leicht unernste, ironisch oder elegant verplauderte Form vor, um aufgeklärte Distanz anzudeuten. Interessant ist, daß der Großteil der unbeschönigt dirigierenden Weisungen in der Großstadtpresse herauskommt. Dies liegt nicht nur an der Tatsache, daß dort die Straßenblätter erscheinen, sondern offenbar überwiegt in der räumlich gehäuften Massengesellschaft der Sternenaberglaube bei weitem.

In der anspruchsvollen Tageszeitung können die Horoskope in relativ bescheidener Aufmachung erscheinen; sie werden kaum anders gelesen als die Börsenkurse. Bombastische Darstellung hingegen, typographisch und zeichnerisch wie in der stilistischen Eigenart, zielt auf den nur neugierigen und unterhaltungsbedürftigen Leser, der diese Spalte zu seinem Amüsement überfliegt und — vielleicht — von ihr doch beeindruckt wird. Dies ist die Technik der Straßenblätter und, teils auf etwas angehobener Ebene, auch der Illustrierten. Vernehmlich spricht die Empfindlichkeit des Organs in bezug auf seinen Ruf mit. Horoskopgläubige dürfen nicht enttäuscht, Gegner nicht gereizt werden; dementsprechend sowohl Formgebung und Placierung der Spalte wie der Ton, der entweder auf Orientierung oder auf Spielerei gelegt wird. Es ist eine Sache der Leserpsychologie; die Zeitung richtet sich darnach, ob die Horoskope von der jeweiligen Mehrheit zustimmend, ernsthaft-kritisch und skeptisch oder lächelnd, spöttisch und widerwillig aufgenommen werden.

, Was die Wochenhoroskope betrifft: ‘ Würde die Kenntnis des Geburtsmonats 1 genügen, um Charakter und Schicksal nach Tierkreistypen zu enträtseln, so wären Berufsastrologen überflüssig. Deshalb betrachten diese die Wochenhoroskope als Schmutzkonkurrenz, und der Astrologenverband verpflichtete 1.949 seine Mitglieder, solche Horoskope nicht mehr zu liefern. Anderseits nehmen klügere Illustrierte gerne astrologische Koryphäen in Dienst, soweit es nicht um billige Zukunftsprognosen geht. Ein Beispiel bietet ein Blatt, das glaubte, für die Charaktertypenlehre Interesse vermuten zu können, und 1959 eine Serie ansetzte, in der bekannte Astrologen die zwölf Charakterbilder des Tierkreises aufblätterten. Dann stellte man vierfach gestufte Fragen nach Zustimmung oder Ablehnung. Überraschend war sowohl die Zahl der Antworten — bis zu 500 je Artikel — wie das starke Überwie-

gen der Zustimmung (wobei freilich die Suggestion von Testfragen nicht übersehen werden darf). Die Auswertung ergab ferner, daß vor allem Nicht-Horoskopgläubige sich positiv äußerten, während Anhänger sich halbwegs kritisch verhielten.

„Vorwiegend heiter”

Erfahrungsgemäß erwartet jeder Leser vorwiegend günstige Voraussagen: für seinen Alltag in Beruf und Familie, für die Verbindungen und Geschäfte des laufenden Monats, für seine Totozahlen wie für die wirtschaftswichtige Politik. Einen Grundstock der Aussagen bilden demgemäß Binsenwahrheiten und gute Ratschläge, die mit den Sternen herzlich wenig zu tun haben, obwohl sie als deren Weisung vorgebracht werden. Das sind vorsichtig formulierte, unverbindliche Zusprüche, deren vager prognostischer Gehalt sich nicht überprüfen läßt. Verhängnisvoll können Ratschläge von Warnungscharakter werden, etwa wenn empfohlen wird, einen wichtigen Plan aufzugeben. Daß’ manche Ratschläge zudem Widersprüche in sich bergen oder direkt unsinnig sind, tritt schon bei halbwegs aufmerksamer Lektüre zutage.

Nach Möglichkeit hüten sich die Horoskope, ausgesprochen Ungünstiges zu verkünden. Doch da auch die schlechte Aussage vorhanden sein muß, streut man sie überlegt zwischen das viele Günstige und mildert sie gerne durch zeitliche Begrenzung auf wenige Stunden. Die schlechte Zukunftsaussage muß im Hintergrund bleiben; sie darf nicht beunruhigen. Ähnlich steht es beim sogenannten Lebens- und Charakterhoroskop, das auch durchweg positiv gehalten wird; vorsichtshalber hängt man hier unscheinbar gehaltene Einschränkungen an, des Sinnes, daß auch die Sterne nichts ausrichten können, wenn der Mensch .nichts dazu tut.

Wenn es sich schon um objektiv erarbeitete Aussagen handeln soll, so müßten”theoretisch alle zur selben Zeit und in gleicher Richtung gestellten Horoskope gleichen Inhalts sein, mit geringen Abweichungen höchstens, je nachdem das Horoskop etwa berufliche Chancen oder Pläne, Reisen und anderes beurteilt. Doch schon beim Vergleich einer Reihe von Voraussagen für den Ablauf eines bestimmten Tages müßte der Leser eigentlich davor Stutzen, daß die Unterschiede niehti nur in den Abstufungen liegen, sondern teilweise in direkten, jä extremen Gegensätzlichkeiten von „gutem” und „schlechtem” Stern.

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