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Altösterreichs Schicksals!ahr

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DIE BADENISCHEN SPRACHVERORDNUNGEN VON 1897. Von Berthold Sutter. Band I. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger. 310 Seiten. Preis 120 S.

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DIE BADENISCHEN SPRACHVERORDNUNGEN VON 1897. Von Berthold Sutter. Band I. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger. 310 Seiten. Preis 120 S.

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Das Jahr 1897 war Altösterreichs Schicksalsjahr. Rückschauend erkennen wir, daß damals zum erstenmal die Überwältigung seines Staatsgedankens durch das Sonderbewußtsein der in diesem Vielvölkerreich lebenden Nationalitäten sichtbar wurde. Dem von Franz Joseph I. gebilligten und durch einen Mann des kaiserlichen Vertrauens unternommenen Versuch eines Ausgleichs zwischen den beiden Hauptantagonisten der im Reichsrat veruneinigten Königreiche und Länder ist durch die Unvernunft aller Beteiligten wie durch die am Zerfall der Habsburgermonarchie interessierte Bosheit formell Unbeteiligter, die aber auf ihren Anteil an einer künftigen Beute lauerten,, ein klägliches Ende bereitet worden. Der junge Grazer Historiker Berthold Sutter hat dieses entscheidende Geschehen in einer hervorragenden Monographie geschildert, von der eben der erste Band erschienen ist; ein zweiter, abschließender soll noch heuer folgen. Das Werk fußt auf gründlicher Kenntnis der in deutscher, und auf guter der in tschechischer Sprache veröffentlichten Quellen — Memoiren, Parlamentssitzungsberichte, Zeitungen — und Darstellungen. Die wichtigen polnischen Werke zu seinem Thema hat er leider nicht berücksichtigt.

Der heutigen Generation ist jene Zeit vor knapp zwei Menschenaltern schier unverständlich Das Ausmaß, zu dem Konflikte gediehen um die Parallelklassen des Gymnasiums in Cilly; um das Wörtchen „zde", mit dem sich die tschechischen Reservisten bei der Kontrolle meldeten; um den Nachtwächter von Leitomischi; die Pultdeckelkonzerte in einem Parlament, wo ein Volksvertreter, der zudem Hochschulprofessor war, stolz seinen Dolch zeigte, mit dem er nationale Gegner in Schach halten wollte und wo ein anderer Abgeordneter aus hocharistokratischem Hause dem präsidierenden Stan- desgenossen einen Nachttopf aufs Haupt drücken wollte: das alles klingt wie grotesk übertreibende Szenen aus einem Kasperltheater für große, schlimme Kinder. Das Traurige daran war, ist nur, daß diese Tragikomödie Wahrheit gewesen ist, und daß die schlimmen Kinder ihr sicheres Heim in langwierigem, grausamem Vernichtungsspiel zerstört haben.

Wie das alles in jenem Jahre 1897 gewesen ist, lese man bei Sutter nach. Dem Helden, Ministerpräsident Graf Kazimierz Badeni, steht der Autor, obzwar unverhohlen . dem Standpunkt der deutschen Gegner dieses „Mannes mit der eisernen Faust“ zuneigend, voller Sympathie gegenüber. Er teilt im Grunde die Ansicht Andreas Poschs und anderer Beurteiler aus unseren Tagen, Badeni habe ehrlich darnach gestrebt, Deutsche und Tschechen durch eine Dauerlösung zu befriedigen und damit die innere Lage Österreichs zu stabilisieren. Er sei aber von etwas leicht

fertiger, liebenswürdiger Art gewesen, der das außergalizische Terrain nicht genügend kannte und den seine bösen Geister, zwei hohe Beamte jüdischer Abkunft, auf falsche Wege gedrängt hätten. Schließlich sei Badeni, hin und her schwankend, dazu gekommen, die Sprachverordnungen für Böhmen vom 5. April 1897 zu erlassen, ohne sich über sie auch mit den Politikern der Deutsch-Österreicher geeinigt zu haben, einzig nach vorheriger Verständigung mit den Tschechen und mit anderen Partnern einer neuen, die freiheitlichen Deutschen nicht einbegreifenden Majorität.

Wir haben schon bemerkt, daß die auf den Ministerratsprotokollen gründende Darstellung Sutters (S. 141 bis 228), die den Kern des Buches bildet, vortrefflich ist. Allein sie erheischt dennoch einige Korrekturen. Zunächst entwirft der Autor, vornehmlich auf Bresnitz von Sydačoff, Patzelt, Penižek, Kolmer, dann auf Memoiren deutschsprachiger österreichischer Staatsmänner sich berufend, von Badeni ein Porträt, das der ungewöhnlichen Persönlichkeit Badenis in vielem nicht entspricht. Die mangelnde Beachtung polnischer Zeugnisse macht sich hier sehr störend spürbar. Badeni, nur in Galizien zu Hause, ohne Fühlung mit Wien? Dazu der polnische Sozialist Daszynski, ein erbitterter Feind des Ministerpräsidenten: „(Pamiętniki 1,98) Ein Despot, kümmerte er sich um kein Gesetz und er verwaltete das Land — Galizien, als Statthalter — wie seinen Gutsbesitz, nur erheblich schlechter. Er verstand auch nicht eine wichtigere, Galizien betreffende Angelegenheit. Er amtete im Interesse Wiens und des Adels. Ein in seine Macht verliebter Dilettant, nahm er drohende Posen an und beging Fehler auf Fehler.“

Badenis Charakterbild schwankt eben in der Geschichte, weil es von der Parteien Ungunst bis zur Unkenntlichkeit verwirrt wunde. Es seien wenigstens die ärgsten Verzerrungen berichtigt. Gleich, was die Herkunft anlangt. Sutter schreibt gläubig die Legenden von der hohen Abkunft des Mannesstamms der Badeni nach, die von schmeichlerischen Federn, dem gerade in diesem Punkte sehr empfindlichen und empfänglichen Badeni zur Freude, bei dessen Machtübernahme verbreitet wurden. Die Badeni sind keineswegs italienischen Ursprungs, noch ist ihr Ahne als Feldoberst mit Königin Bona Sforza nach Polen gekommen; der Ururgroßvater des Grafen Kazimierz war Bürger von Lemberg, aus rumänischer Kaufmannsfamilie. Dessen Sohn brachte, als Kabinettsdirektor Stanislaw August Poniatowskis, das Geschlecht hoch und heiratete eine Magnatentochter (Stadnicka). Doch erst der Vater des Mannes mit der eisernen Faust wurde endgültig, dank seiner Heirat mit der sehr reichen Gräfin Mier, in den engen Kreis der Aristokratie eingelassen, nicht ohne daß deren altvornehme Mit

glieder über ihn als über einen Homo novus die Nase rümpften. Immerhin rollte in Kazimierz Badenis Adern, durch die Mutter, das Blut der Sapieha und, weiter zurück, das anderer fürstlicher Häuser. Da er höchst begütert und ebenso ehrgeizig wie von Familiensinn erfüllt war, gehörte die Integration in die echte Höchstaristokratie zu den beherrschenden Lebenszielen Badenis. Die Heirat seiner Tochter Wanda mit dem Chef der erlauchten Familie Kra- sifiski bedeutete für ihn vielleicht mehr, als sämtliche staatlichen Würden und Erfolge.

Zweite dominierende Eigenschaft war die makellose Treue zum Polentum. Doch gerade aus ihr erklärt sich auch Badenis drittes Charakteristikum: seine absolute Loyalität gegenüber dem Kaiser und der Dynastie, sein gesamtösterreichischer Patriotismus. Der Graf sah nämlich das Wohl des polnischen Volkes unzertrennbar mit dem Hause Habsburg-Lothringen und mit Österreich verknüpft. Eine Denkweise, wie sie in den geflügelt gewordenen Worten Franz Josephs an eine polnische Deputation und in einem Satz einer Adresse des galizischen Landtags niedergelegt ist — „My rozumiemy się“ (wir verstehen einander) und „Przy Tobie stoimy, Najjašnieiszy Panie, i stač chemy" (zu Dir stehen wir, Allerdurchlauchtigster Herr, und wollen wir stehen) —, dieser „Austropolonismus“ ist später ebenso verschrien worden, wie er von Vergessen bedeckt wurde. Daß Badeni aber kein buckelnder Schranze, kein willenloser Diener seines Herrn war, davon haben wir einen schönen Beweis in einer Anekdote, die Bogdanowicz berichtet (II, 168). Badenis Nachfolger, Baron Gautsch, ent

schuldigte sich beim ehemaligen Regierungschef gewissermaßen, daß er dessen Erbe mit beinahe ganz entgegengesetztem Programm akzeptiert hatte: „Ich bin ein Diener der Krone, und tue, was diese mir befiehlt.“ Darauf Badeni: „Und ich war ein Ratgeber der Krone, und tat, was mir meine Überzeugung gebot.“

Bei der im wesentlichen unanfechtbaren, ausgezeichneten Schilderung der Vorgeschichte und der unmittelbaren Folgen der Sprachenverordnungen vom 5. April 1897 sind zwei Momente nicht oder nur ungenügend beachtet worden: daß Badeni, abgesehen von der Opposition der national überhitzten Parteien — es hat nur an einem Haare gehangen, daß an Stelle der Deutschen die Tschechen zu seinen Gegnern geworden wären — und außer den Ungarn, auf deren Rolle Sutter sehr einleuchtenden Nachdruck legt, in den Hofkreisen zähe, heimtückische und aus kleinlichen Gründen ihn verabscheuende Feinde besaß, die ihm die Gunst des Kaisers neideten; sodann, daß sich wider den Ministerpräsidenten nicht nur ein nationaler, sondern auch ein weltanschaulichsozialer Block stellte. Die Sozialisten aller Völkerschaften der Monarchie traten einmütig Badeni entgegen. (Darüber hätte wiederum Daszynski den klarsten Aufschluß geboten.) Anderseits wollte es ein Treppenwitz der Geschichte, daß der ja im Grunde, wie sein bedeutender konservativ-liberaler Gesinnungsgenosse Bobr- zyfiski, „antiklerikale“ Ministerpräsident zuletzt als Haupt einer „klerikalen“ Koalition kämpfte und zur Strecke gebracht wurde; wobei als weitere Paradoxe die Zugehörigkeit der freidenkerischen Jungtschechen zu ebendieser

Koalition und die nach erheblichem Schwanken geschehene Einordnung der Christlichsozialen in eine Allianz mit den „Los-von-Rom“-Leuten des alldeutschen Lagers und mit den Sozialisten aller Nationalitäten notiert sei.

Wir brechen ab. Das stoffreiche, wertvolle Buch Sutters hat nicht zuletzt darum eine weit über dessen eigentlichen Gegenstand hinausreichende Bedeutung, weil es zur Auseinandersetzung mit einem erregenden Gestern anregt, das bis heute seine Gegenwärtigkeit im Heute nicht eingebüßt hat. Nur zwei grundsätzliche Vorbehalte muß ich anmelden, doch sie sind keine Kritik, die Sachliches betrifft, und sie führen auf ein Terrain, auf dem man nicht streiten kann (oder sollte): auf das der weltanschaulich-politischen Überzeugungen. Sutter steht, obzwar guter Österreicher, eher auf einem deutschnationalen Standpunkt; wer das nicht tut, der muß dem Autor bei vielen Urteilen widersprechen. Ferner halte ich jede Erörterung über die Fehler, die Badeni begangen hat oder die ihm zu Unrecht angekreidet wurden, für unwesentlich gegenüber einer traurigen Grundwahrheit: auch der klügste, gewandteste, beste Staatsmann hätte in dem hoffnungslos nationalistisch verseuchten Habsburgerreich die Tatsache nicht aus der Welt schaffen können, die der geistreiche Minister Unger einmal im Ministerrat dem zur Verständigung und zur Einigkeit — „Viribus unitis!“ — mahnenden Franz Joseph entgegenhielt: „Aber, Majestät, wie sollen wir füreinander e i n stehen, wenn wir einander nicht ausstehen können?“

Universitätsprofessor

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