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AM ANFANG WAR DIE SANDBURG

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Friedrich Hundertwasser aus Wien heißt eigentlich Fritz Stowasser (sto = russisch hundert). 1949, als er einundzwanzig Jahre wurde, hat er sich diesen Namen ausgesucht. Ich habe Hundertwasser 1950 oder 1951 in Wien kennengelernt. Etwas wie ein privater Mythos umgab ihn schon damals. Er war längere Zeit in Marokko und Tunesien gewesen, und er hatte seine ersten Bilder von dort mitgebracht. Sie waren ganz anders als die Bilder, die damals gemalt wurden, die geometrischen Abstraktionen und expressiven Gesten. Er stellte sie in der Strohkoffer-Galerie des Art-Clubs aus, einem winzigen Künstlerkeller nahe der Kärntner Straße, der mit Stroh ausgeschlagen war und dessen Nischen als Ausstellungswände dienten. Für uns, die wir noch nicht so weit gereist waren, brachte er die ganze Märchenhaftigkeit des Mediterranen, die naive Poesie der arabischen Welt mit, die Unbefangenheit von Menschen, die ohne Radio, Auto und festen Ort leben können. Sein Europäer, der sich seinen Schnurbart hält (Hundertwasser beharrte eigensinnig darauf, Schnurbart mit einem r zu schreiben, wie Schnur) ist das Bildnis des weißen Mannes, gesehen mit den Augen eines Beduinen. Schon damals gab es Kontroversen um Hundertwasser, und Wien sprach über ihn; die Auseinandersetzung, ob sein Europäer — ein hochformatiges, schmales Bild — Kunst sei oder nicht — Pflanz, wie man in Wien sagt —, füllte die Spalten der Boulevardzeitungen. Als wir dieses Bild 1962 im österreichischen Pavillon der Venediger Biennale wiedersahen, erschien es uns schon klassisch.

Hundertwasser lächelte über die Auseinandersetzungen, die seine Person und seine Kunst hervorriefen, sie amüsierten ihn, aber er antwortete stets mit großem, kindhaftem Ernst auf alle an ihn gerichteten Fragen. Für uns, die wir nächtelang im Strohkoffer saßen und die neue Malerei und Literatur diskutierten, schien Hundertwasser damals der Welt Klees viel näher als der Klimts und des Jugendstils; ich glaube, er hat die Kunst Klimts und Schieies erst kurz darauf rezipiert. Hundertwasser hatte bereits etwas vom Wunder jener Tage der Tunesienreise Klees, Mackes und Moilliets im Frühjahr 1914 mitgebracht, jener Tage vor den Toren von Kairuan — wie sie sublimiert auf uns gekommen sind —, in denen Klee zur Farbe fand, in denen Macke^ und Moilliet ihre schönsten und zartesten Aquarelle schufen, der eine schon am Ende, der andere am Anfang seines Lebens. Zugleich schien er das Geheimnis der peintres naifs zu besitzen, der Maler, für die, wenn sie malen, immer Sonntag ist, der Maler von der Art des Zöllners Rousseau, die auf die unschuldigste Weise raffiniert ' sein können.

Hundertwasser war damals vollkommen allein, er kam in den Art-Club, aber er gehörte zu niemandem und schloß sich niemandem an, doch wurde er von allen respektiert. Er gehörte nicht zur Wiener Schule des phantastischen Realismus, die sich damals zusammenfand, und er hat meines Wissens auch nie mit ihr ausgestellt. Er hatte damals noch keinen Bart, er war kein Bohemien, war nicht salopp, und fiel doch auf. Er trug Schuhe, die er sich selbst aus weichem Rindleder zurechtgeschnitten und genäht hatte,die unförmig waren, wenn wir vom modischen Ideal der schönen Form ausgehen, aber sehr praktisch und warm, wie er versicherte. Er sprach alles offen aus, was er dachte. Hundertwasser wollte nie etwas anderes sein als er selbst, und er wollte in einer Welt leben, die so wie er war, die zu ihm paßte, ohne Normen, ohne Tabus, ohne gesellschaftliche Regeln, in allem auf die Spontaneität, die Improvisationsgabe, den schöpferischen Einfall des einzelnen vertrauend.

Ich kenne niemanden, der von unserer Zeit, von all den Medien der Massenbeeinflussung, von all den normierten Idealen und Idolen so wenig geformt worden ist wie er (oder ihnen so naiv gegenüberstand, als wären sie eine zweite Natur: Ich liebe Frauen wie Marilyn Monroe und sehe gerne Gary Cooper und Wildwestfilme.). Er schwärmte nicht von schnellen Autos, er träumte von zukünftigen Bildern. (Heute fährt er sein Auto — einen alten Citroen — langsam, vorsichtig, laienhaft, als ginge er mit einem Fabelwesen um. Das Blech hat er mit grün-grau-violett schimmernden Farben übermalt.) Ich war der erste in der Schule, der richtig perspektivisch zeichnen konnte, und der erste, der damit aufhörte, weil ich nicht mehr so zeichnen wollte, erzählte er. Er war sehr bescheiden, doch wußte er mit großer Sicherheit, daß er einmal Erfolg haben und berühmt sein würde. Wir sprachen über viele Dinge, auch ob jemand nicht auf einem Quadratmeter Erde genügend Weizen anbauen könnte, um ein Jahr davon zu leben... Seine Gedanken kreisten stets um das Ideal der Genügsamkeit, der Autarkie der Person, der vollkommenen Unabhängigkeit des einzelnen von seinen Mitmenschen. Von hier aus ist auch das Verschimmelungsmanifest zu verstehen, das er im Sommer 1958 auf einer Tagung in der altehrwürdigen Abtei Seckau verlesen hat, und mit dem er den Rationalismus unserer Architektur angriff.

Architektur kommt beinahe auf allen seinen Bildern vor, auch der Dampfer ist eine Burg, und wenn keine schützenden Häuser darauf sind, dann sind wenigstens Zäune da. Der einzelne schließt sich ab und ein vor der Welt, die ihn verletzten könnte.

Hundertwasser malt, weil man ihn nicht bauen läßt. Jedes seiner Bilder ist ein Haus, das er sich schafft, ein Haus für die Seele, mit dem Labyrinth der spiraloiden Linien, seinen ungleich gerissenen und geschnittenen Rändern, seinen kleinen grünen oder roten Fenstern. Er arbeitet langsam, hat viele Hemmungen beim Malen zu überwinden.

Ich male wie die Ameise, die Nadeln zu ihrem Bau zusammenträgt, Linie auf Linie, oder so wie der Schnee fällt, Flocke für Flocke, so kommt eines zum anderen, so kann nichts mißlingen. Mir ist es ganz unbegreiflich, wie jemand so rasch malen kann wie ein Mathieu oder ein Sonderborg oder ein Appel. Ich muß jede kleinste Linie verantworten “ können.

Hundertwasser führt sehr genau Katalog über seine Arbeiten >— er hat jetzt das 590. Werk numeriert —, und die ersten Nummern in diesem Katalog sind frühen Gebilden aus seiner Kindheit vorbehalten. Ganz am Anfang steht eine Sandburg, die er auf einem Spielplatz gebaut hat, ein Dampfer aus Sand. An ihn denkt er, wenn er eines seiner Labyrinthe oder seiner phönizischen Schiffe malt. Ich versuche, ihn mir so genau wie nur möglich vorzustellen, um ihn wieder neu zu schaffen. Aber ich habe ihn nie wieder ganz erreicht, seine Reinheit.

Jeden einzelnen anhalten, sich seine Welt, seine innere und seine Umwelt, selbst zu schaffen, jeden einzelnen zu schöpferischem Denken und schöpferischem Handeln gerade im Alltäglichen zu erziehen, das wollte Hundertwasser auch in Hamburg, wo er 1959 ein Semester lang Dozent an der Hochschule für bildende Künste war. Er sprach von schöpferischer Verschimmelung und vom Verbrechen der geraden Linie, aber wer ihn verstand, der wußte, daß er meinte: wir sollen nie aufhören, Kinder zu bleiben. Wir sollen immer in den großen Gärten der Kindheit, spielen. Wir sollen alles aus uns selbst schaffen lernen, ohne uns an die falschen Leitbilder unserer Gesellschaft zu verlieren. Hundertwasser resignierte, weil ihm der akademische Senat das Ziehen der unendlichen Linie untersagte und, wie er es empfinden mußte, seine Lehrtätigkeit unterband. Er resignierte, aber er blieb er selbst. Er hatte wieder einmal, ohne es zu wollen, Skandal erregt, Aufsehen. Wirbel. Dabei gibt es keinen sanftmütigeren, leiseren Menschen als ihn. Wo geschrien wird, da wird er seine Stimme dämpfen, aber genauer artikulieren.

Aber er scheut es nicht, Ärgernis zu sein und Anstoß zu erregen. Nie wird er verschweigen, wenn er irgendwo Mißerfolg gehabt hat und sich gedemütigt fühlt. Er ist es zufrieden, daß er einen gewissen Widerstand findet und sich nicht sogleich durchsetzen kann.

Man soll es den anderen nicht zu leicht machen, einen zu lieben, sagt er, denn dann hält die Liebe nicht so lange vor, dann geht sie nicht ins Innerste. Man soll versuchen, seinen Erfolg hinauszuzögern, ihn aufzuhalten — umso dauerhafter wird er sein, wenn er sich schließlich einstellt. Viele wollen durch Schlauheit Erfolg haben, durch Schwindel, durch Bluff, indem sie gefällig sind und glänzen und täuschen. Aber dadurch läßt sich nichts erreichen, das für ewig ist. Ich mache es den Menschen lieber etwas schwer, zu mir zu finden. Ich nehme es lieber in Kauf, sie zuerst zu schockieren, und warte, bis meine Zeit kommt.

Hundertwasser hat sich in den ersten Jahren durchgehungert, in Wien und in Paris, er wollte sich nicht anpassen, er wollte nicht so werden wie die anderen, und seine großen Augen blickten oft sehr traurig, wenn seine ärmliche Erscheinung keinen Eindruck auf die Mädchen machte, die er verehrte. Jede Enttäuschung trieb ihn an, besser zu malen. Ich wollte ihnen allen zeigen, was ein einzelner Mensch in dieser Welt vollbringen kann, ganz auf sich allein gestellt.

Jetzt hat er ein kleines Landhaus in der Normandie, La Picaudiere, St. Jean de la Foret, und eine große Atelierwohnung auf der Isola Giudecca in Venedig, das er als einzigen Ort Italiens liebt. Er reist gern, er war lange auf den griechischen Inseln und in Japan, und seine Kunst fand in Ostasien viele Freunde, wie Jahre zuvor die von Sam Francis. Auch seine Frau ist Japanerin, Yuuko Ikewada.

Man hat Hundertwasser den Maler des reinen Herzens genannt. Er ist als Maler der Außenseiter, der er als Mensch ist. Ein Außenseiter, der sich wünscht, daß alle Menschen Außenseiter wären, und daß es keine Norm gäbe, die einem befiehlt, so oder so zu sein, und alles andere für anomal erklärt. Ganz hat er es nie verstanden, daß die anderen ihn nicht so sein lassen wollen wie er ist.

O eine Bilder sind teuer geworden, teurer als die Poliakoffs, <3 und da er lange an einem malt, ist es sehr schwer, eines zu bekommen. Jeder, der heute ein Bild von ihm kauft, muß eine Erklärung unterschreiben, in der er sich unter anderem verpflichtet, das Bild zu Ausstellungen auszuleihen, es stets gut zu behandeln und zu bewahren. Das ist doch nichts Außergewöhnliches, sagt er. Jeder, der sich einen Mercedes kauft, muß auch viele Papiere unterschreiben. Jeder, der ein Bild kauft, kauft ein Stück von mir selbst. Und von seinen Kindern bekommt man doch auch gern Nachricht und weiß, wie es ihnen geht.

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