6668326-1960_47_14.jpg
Digital In Arbeit

Am besten geht's dem Dichter

Werbung
Werbung
Werbung

Ein frohes Wort zur Freude vieler wird die Behauptung sein, den Dichtern ginge es am besten. Junge Leute vor der Berufswahl mögen nun meinen, ihr Wunsch, sich als Poet durchs Leben zu schlagen, wäre hoffnungsvoller und wäre leichter zu erfüllen, als es ihre fürsorglichen Eltern und Tanten beteuern. Anderen wieder, die im bürgerlichen Leben des Kaufmanns, des Beamten oder des Anwalts gelandet sind, möge es die nächtliche Ruhe verbessern. Eben noch hatten sie das nagende Schuldgefühl, zuwenig für die Kunst getan zu haben. Jetzt wird ihr Schlaf erquicklicher. Das Gewissen ist stiller geworden. Geht es den Dichtern so gut, so muß man nicht, um immerhin etwas zu ihrer

Unterstützung zu unternehmen, ein an sich langweiliges, aber — vielleicht eben deshalb — literarisch bedeutsames Theaterstück ansehen, statt im Rundfunk die Sportberichte anzuhören, die ungleich mehr Spannung und wohltuende Erregung vermitteln. Man muß schon gar nicht, vom künstlerischen Gewissen bedrängt, einen Band Lyrik kaufen. Man könnte den Band dann doch nur einem entfernten Bekannten schenken, auf dessen Zuneigung man weniger Wert legt als auf die eines nahen Freundes.

Nein, hüten wir uns vor solchen wohlgemeinten, aber unschönen Folgerungen aus einem Lobgesang auf das Dasein des Poeten.

Geht es den Dichtern so gut — wie wir hier hartnäckig behaupten —, nur weil sie, wenn sie dichten, der Erde entrückt sind und hoch über den Niederungen des Daseins schweben? Man wird verleitet, an Spitzwegs klassisches Bild zu denken, „Der arme Poet“. Ihm fehlt die Kohle, sich in seiner Dachkammer zu erwärmen. Aber er liegt auf modrigem Zeug beinahe so gut wie in einem Bett, er ist mit einer dicken alten Jacke bekleidet, die Zipfelmütze über dem Kopf, die Beine unter der einzigen warmen Decke. Das Dach ist löcherig. Aber er hat den Regenschirm aufgespannt. Und, vor allem, er besitzt eine Kielfeder, er besitzt Papier, er zählt genau die Versfüße, damit sein Poem untadelig werde. Er ist glücklich.

Und doch wird damit noch nicht erklärt, weshalb es gerade dem Dichter am besten geht. Denn auch die Künstler anderer musischer Bekenntnisse können der Erde entrückt sein und hoch über den besagten Niederungen des Daseins schweben, der Maler, nicht wahr, der Bildhauer, der Komponist, der Musiker und Sänger, der Schauspieler.

Gehen wir nun von dem Wirken dieser Künstler unterschiedlicher Art aus, um zuletzt wieder beim Dichter zu landen. Beginnen wir mit dem Maler. Er braucht ein Atelier mit viel Licht und viel Raum, er braucht Staffelei, Paletten, dicke, dünne, große, kleine Pinsel und vielerlei Farben, Leinwand diesen und jenen Um-fangs, Spannrahmen und manches sonstige Handwerkszeug. Er braucht noch mehr, noch mehr: Er muß mit seinen Schöpfungen an die Menschen herankommen, die seine Werke sehen wollen und die sie kaufen sollen. Hängen seine Bilder endlich in einer Ausstellung, so bleibt es fraglich, ob sich Käufer finden. Hat er damit Glück, so nimmt der Käufer das Bild unter den Arm oder er läßt es in einem Möbelwagen fortschaffen. Der Erfolg ist also zugleich das Ende. Der Maler verliert das Bild. Es mögen ihm Skizzen, Entwürfe und Photos bleiben. Sein Werk hat ihn verlassen.

Noch schwerer ist das Los des Bildhauers. Für den Maler sind Leinwand, allenfalls Holzplatten oder Papier, das Medium, das seine Schöpfungen sichtbar macht. Der Bildhauer aber braucht nebst Harmlosem, Wachs, Ton und Gips, das Gewaltige: Stein, Marmor, Erz, Bronze. Woher nehmen? Wohin befördern? Wer kauft es? Gewiß, man kann auch ein Werk der Plastik im Lichtbild wiedergeben, ja es läßt sich in kunstgewerblicher Arbeit vervielfältigen. Das sind armselige Behelfe. Welche Skulptur wird, etwa als Briefbeschwerer, vervielfältigt? Der Schöpfer des Werkes muß entweder anerkannt sein wie sein Ahnherr Michelangelo — und von solchen Arrivierten oder längst Verewigten wollen wir gar nicht reden — oder er muß genug oberflächliche Gewandtheit besitzen, um das anzufertigen, was Fabrikation, Handel und Durchschnittsgeschmack verlangen. Damit sinkt der Geniale schon zum braven Kunsthandwerker herab.

Ach, und der Komponist! Wohl gibt es Orchesterleiter, die zwischendurch einmal ein Stück von Meier oder Müller aufführen. Aber Hand aufs Herz, sagen Sie selbst, Herr Meier und Herr Müller, wieviel Jahre haben Sie warten müssen, bis Ihr Werk endlich einmal gespielt wird? Gehen wir doch gelegentlich spazieren, liebe Freunde, und lesen wir unterwegs die Ankündigungen der Konzerte: Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert, Brahms, Bruckner und Richard Strauß, Hindemith, Krenek, Strawinsky. Aus. Hie und da im Rundfunk ein Lied oder gar eine Sinfonie von — ach, man versteht den Namen kaum, man vergißt ihn sogleich.

Und die ausübenden Musiker, von den Dirigenten ganz zu schweigen, ist der eine sehr begabt, so wird er ans große Stadtorchester verpflichtet, ist er es weniger, so muß er froh sein, wenn er im kleinen Stadtorchester mitwirken kann. Auf den ehrgeizigen Traum vom Konzertpianisten, vom Geigenvirtuosen, folgt die Stelle im Orchester, wenn es gut geht, mit Anrecht auf Pension.

Der Sänger und der Schauspieler schließlich müssen, nebst dem Können, Glück haben, um erstens überhaupt unterzukommen und um, zweitens, über Chor und Episode aufzusteigen.

Und nun wieder der Dichter, allgemeiner gesagt, der Schriftsteller: Braucht er ein Atelier mit Leinwand, einen Steinkoloß für Hammer und Zahneisen, braucht er ein Orchester mit Bombardon und Baßgeige, braucht er Direktoren und Souffleusen?

Spitzwegs „armer Poet“ begnügt sich mit Kielfeder, Papier und Regenschirm. Auch der Dichter von heute braucht nur Kugelschreiber und Papier und statt des Regenschirmes bestenfalls eine Schreibmaschine. Vielleicht gestattet ihm der Kaufmann von nebenan am Abend auf der Maschine zu tippen.

Jedem Künstler bedeutet es die Erfüllung seines Schaffens, Widerhall zu finden. Sein Werk muß gelesen oder betrachtet, gehört oder gekauft werden, mit Händeklatschen bedankt.

Die schweren Wege zu diesem Ziel, das erwünscht, selbstverständlich, notwendig ist, haben wir hier flüchtig gezeichnet. Unsere Betrachtung hat nichts zu tun mit Michelangelo oder Beethoven, nichts mit Goethe oder Gerhart Hauptmann. Die Namen der Dichter, die im Kreise unserer Zeitgenossen Nachfolger dieser beiden Letztgenannten sind, verschweigen wir geflissentlich.

Unter den Künstlern, deren Gruppen und Arten eben aufgezählt worden sind, findet keiner soviel Wege in die Freiheit des ersehnten Widerhalls wie der Dichter.

Jede Tageszeitung bringt Novellen und Gedichte. Wie viele Zeitschriften stehen dem Dichter offen, wie viele von ihnen sind zu erheblichem Teile oder ganz und gar der Literatur gewidmet. Wie viele Romane, darunter auch manche von sehr hohem Range, erscheinen tagaus, tagein in den Blättern! Und fragt doch die entsetzten Fachleute, die durch die Buchmessen und Buchausstellungen wandern, wie viele Bücher jahraus, jahrein erscheinen, Romane, Erzählungen, Gedichtbände, Sammelbände epischer und lyrischer Art, Reiseberichte, „Sachbücher“, nicht gerechnet die Kochbücher und die Anleitungen, Autofahrer ohne Panne zu werden.

Vergleicht doch damit, bitte, die Aussichten des Malers, des Bildhauers und anderer Sklaven der Musen!

Meint ihr, das wäre allzuviel Frohes für den Poeten? Es wäre allzu optimistisch? Nein und nochmals nein.

Wer in Sprachlehre und Rechtschreibung nicht über die Anfangsgründe hinausgelangt ist, wer „Triebe“ auf „Liebe“ reimen muß, der mag schreiben und reimen, was er will, zu seiner tiefen und — bitte! — nur heimlichen Freude. Es gibt heute auch Leute, die Bieruntersätze, fälschlich Bierdeckel genannt, mit Vergnügen sammeln. Wer wollte ihnen das verargen?

Ein Dichter wendet nun ein: „Wenn ich nicht der Gesellschaft X (der Partei Y) angehöre...“ Eine Dichterin meint: „Wenn ich nicht dem Verleger Z schöne Augen mache...“ Aber, aber, ist das nur ein Einwand der Poeten? Haben sich nicht ihre malenden, bildhauenden, singenden Kunstgenossen über dasselbe oder über noch mehr zu beklagen? Ein böses Spiel ist es, das im Wettstreit der Musen null zu null ausgeht. Für unsere Betrachtung kommt es daher nicht in Frage.

Dem Schriftsteller und seinem hohen Bruder, dem Dichter, sind ungleich mehr Türen zur Welt geöffnet als all ihren musischen Vettern. Das ist klar.

Und zuletzt noch eins, durchaus nicht das Unwichtigste: Wer spricht oder singt oder ein Musikinstrument spielt, dem gibt und nimmt der Augenblick das Geschaffene. Der Erfolg liegt in dem Atemzuge des Hörenden und endet mit diesem Atemzuge. Das Tonband ändert daran nichts Entscheidendes. Dem Erfolge der bildenden Künstler gesellt sich, wie erwähnt, das herrische Muß des Verlustes ihrer Werke. Ja, Erfolg und Verlust sind buchstäblich eins.

Ganz anders bei der Schöpfung des Dichters, des Schriftstellers. Zeitung und Zeitschrift verschwinden wohl mit dem Erscheinen der nächsten Ausgabe. Sie verschwinden aber nicht ganz, nur aus dem Blickfeld desjenigen, auf dessen Tisch oder Nachtkästchen die Zeitung einen Tag lang liegt, die Zeitschrift eine Woche oder einen Monat lang. Der Verfasser bleibt im Besitze des Gedruckten. Die Bibliothek gar bewahrt die Nummern, in Jahrgängen gebunden, für ewige Zeiten auf, ewig vom Standpunkt des Menschenlebens.

Das Buch bleibt, es bleibt durchaus. Es steht in der Bücherei desjenigen, der es als erster beim Buchhändler oder als nächster beim Antiquar gekauft hat. Bleibt bei ihm, auch wenn der Verleger die Reste der Auflage „verramscht“, weit unter dem ursprünglichen Preise verschleudert. Das Buch bleibt schließlich in den Bibliotheken, nicht etwa namenlos, nein, unter dem nun „ewig“ gewordenen Namen des Verfassers.

Also: Jeder andere Künstler verliert seine Schöpfung mit dem Tage, mit dem Augenblick des Erfolges. Bei dem Werke des Dichters ist es auf herrlichste Weise umgekehrt. Mit dem Erfolg, vor allem mit dem Erscheinen seines Buches, mit diesem Tage bekommt er erst wahrhaftig sein Werk. Erfolg ist nicht, wie bei den anderen, Verlust. Erfolg ist hier Habe, ist Besitz.

Gewiß, wir mußten den Stoff vereinfachen, um ihn fest in die Hand zu bekommen. Es ist eine aphoristische Verkürzung. Da und dort zeigen sich vielleicht Risse oder Löcher, die mit massigen Einwänden angebohrt und vertieft werden könnten. Systeme und Paragraphen haben ihre Ausnahmen. Aber das Grundsätzliche ist in Ordnung, denke ich. Es spricht eine Wahrheit aus: Am besten geht's dem Dichter.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung