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Am siebenten Tage aber...

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Eine der stärksten seelischen, geistigen und körperlichen Kraftreserven des Menschen, besonders des Christen: die Ruhe und die Heiligung des Sonntags, droht vom geräuschvollen Betrieb des neuzeitlichen Sonn- und Feiertags, besonders den Auswüchsen des Vergnügungs-, Reise- und Sportbetriebs, verzehrt zu werden. Allenthalben setzt aber auch schon die Gegenwirkung ein. Im In- und Ausland erheben Priester und Aerzte, ja Sportler selbst ihre warnende Stimme. Vor uns liegt der tapfere Lcitaufsatz der Züricher Zeitung „Sport“ vom 16. September 1955, der, wenn auch noch nicht direkt für ein englisches sportfreics „Weekend“, so doch für eine weitgehende Verständigung zwischen Sport und Kirche über die Möglichkeiten von Gottesdiensten innerhalb oder neben dem sonntagvormittägigen Sport- und Turnbetrieb eintritt. Die Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände in Oesterreich unterstellt ihre ganze diesjährige Herbsttagung diesem Thema, und das Kulturreferat der Turn- und Sportunion wird sich Anfang November gleichfalls mit dem Fragenkomplex befassen. Aus dieser Sicht gewinnen die nachstehenden drei Beiträge: des Priesters, des Arztes und des Sportsmannes hohe aktuelle Bedeutung. . „Die Furche“

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Eine der stärksten seelischen, geistigen und körperlichen Kraftreserven des Menschen, besonders des Christen: die Ruhe und die Heiligung des Sonntags, droht vom geräuschvollen Betrieb des neuzeitlichen Sonn- und Feiertags, besonders den Auswüchsen des Vergnügungs-, Reise- und Sportbetriebs, verzehrt zu werden. Allenthalben setzt aber auch schon die Gegenwirkung ein. Im In- und Ausland erheben Priester und Aerzte, ja Sportler selbst ihre warnende Stimme. Vor uns liegt der tapfere Lcitaufsatz der Züricher Zeitung „Sport“ vom 16. September 1955, der, wenn auch noch nicht direkt für ein englisches sportfreics „Weekend“, so doch für eine weitgehende Verständigung zwischen Sport und Kirche über die Möglichkeiten von Gottesdiensten innerhalb oder neben dem sonntagvormittägigen Sport- und Turnbetrieb eintritt. Die Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände in Oesterreich unterstellt ihre ganze diesjährige Herbsttagung diesem Thema, und das Kulturreferat der Turn- und Sportunion wird sich Anfang November gleichfalls mit dem Fragenkomplex befassen. Aus dieser Sicht gewinnen die nachstehenden drei Beiträge: des Priesters, des Arztes und des Sportsmannes hohe aktuelle Bedeutung. . „Die Furche“

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Der Priester spricht:

Vor Jahrzehnten ist vom begnadeten Pater Abel SJ. der Ruf zur Sonntagsheiligung als immer wiederholtes Programm ausgesprochen worden. Er wurde von den Katholiken vielfach als Minimalforderung aufgefaßt, etwa in dem Sinn: „Ich gehe am Sonntag in die Messe, also bin ich ein guter Christ.“ Der Ruf nach Sonntagsheiligung wurde von den Wiener Oberhirten wieder aufgegriffen, als sie ihn im April dieses Jahres beim ersten Forum für das Laienapostolat den kirchlichen und katholischen Organisationen gegenüber als Auftrag und Aufgabe aussprachen. Er dürfte heute keineswegs mehr' als ein Minimalprogramm verstanden werden. Die Entwertung des Sonntags in unserem Gesellschaftsleben ist in den letzten Jahrzehnten rasant weitergeschritteti. Der Sonntag hat weithin keinerlei religiöse Sinnerfüllung mehr. Die Statistik sagt, daß in Wien kaum ein Fünftel der Katholiken den Sonntagsgottesdienst besucht. Die anderen vier Fünftel empfinden es kaum als Lücke, als Versäumnis oder gar als Schuld. Das bedeutet natürlich für jeden Katholiken, daß hier ein gewaltiges Feld für die apostolische

Aktivität liegt, sei es für die Einflußnahme von Mensch zu Mensch, sei es für die Aktivität in die Gesellschaft hinein, um wieder Raum für den Sonntag zu schaffen.

Aber zunächst muß der bischöfliche Auftrag vor allem verstanden weiden als ein Anruf an den wachen Katholiken selbst. Es wäre unheilvoll, wenn er von ihm mit dem Hinweis als inaktuell abgetan würde, daß er ohnehin seiner Gottesdienstpflicht nachkomme. Wer heute den Sonntag nur unter dem Aspekt einer äußeren Pflichterfüllung sehen wollte, ginge jammervoll an dem vorüber, was in den letzten Jahrzehnten in der Kirche neu wach geworden ist, an dem Wissen, daß Christentum nicht mit minimaler Pflichterfüllung gleichgesetzt werden kann, sondern ein ungeahnt reiches Leben in Christus ist, der in uns und durch uns die Welt durchheiligen will.

Den inneren Sinn des Sonntags können wir begreifen in der Bezeichnung der Kirche: dies dominica — Tag des Herrn. Damit ist das Bekenntnis ausgesprochen, daß Gott der Herr ist, dessen Kreatur und .Eigentum wir sind, dem unser ganzes Dasein und alles, was es erfüllt, zu Recht gehört. Daß nicht der Mensch selbst, sein eigenes Ich, Mittelpunkt, Sinn und Ziel des Lebens ist, sondern Gott. Und daß das Leben seinen eigentlichen Sinn darin hat, zur Ehre und Verherrlichung Gottes gelebt zu werden. So gehört und dient alles Ihm, der Werktag und der Sonntag, die Arbeit und das Gebet. Von Anbeginn war dem Menschen die Ordnung gesetzt: Sechs Tage sollst du Gott verherrlichen durch deine Arbeit, am siebenten Tage sollst du Ihn verherrlichen durch deine Ruhe, deine Andacht, dein Dasein für Ihn, durch das „vacare deo“. Der Christ freilich denkt, wenn er „Tag des Herrn“ sagt, vor allem an Ihn, durch den die Herrschaft Gottes wieder zu uns gekommen ist, den „solus dominus Jesus Christus“. Wir tragen Seinen Namen, weil wir Sein eigen sind, in einem neuen, tieferen, umfassenderen Sinn als durch unsere Kreatürlichkeit. An einem Sonntag hat Er das Werk der Versöhnung in Seiner Auferstehung vollendet, in der Taufe ist die Auferstehung für uns Wirklichkeit geworden. Seither tragen wir unauslöschlich für Ewigkeiten das Zeichen in der Seele, daß wir Sein sind, daß alles Ihm gehört, was wir sind und tun. In Ihm allein findet unser Leben, Werktag und Sonntag, seinen letzten Sinn als Verherrlichung des Vaters.

In einer Zeit, in der christliche Lebensordnung durchweg vorherrschte und ein anderer Arbeitsrhythmus es leichter machte, mag es tatsächlich gewesen sein, daß der Christ Werktag und Sonntag in gleicher Gültigkeit und Absichtlichkeit für Gott lebte. Die fortschreitende Entwicklung hat den Werktag profan gemacht. Er dient im Bewußtsein der Menschen nicht mehr Gott, sondern nur dem Menschen selbst. Und in der Woche, deren sechs Tage dem Menschen gehören, steht isoliert der Tag, der Gott gehört. Heute sind wir an dem Punkt, wo auch der Sonntag nicht mehr Gott gehört, sondern dem Menschen. Aus dem Sonntag wird mehr und mehr das Wochenende. Vielleicht liegt der innere Grund darin, daß selbst der Werktag nicht mehr dem Menschen gehört, sondern dem Werk, der Arbeit. Der Mensch ist Sklave der Arbeit geworden, er beherrscht sie nicht mehr, er wird beherrscht, gehetzt, getrieben. Das Wochenende entläßt ihn aus dieser Fron, nun kommt der Tag, der ihm gehört. Gott gehört nichts mehr, weder der Werktag noch der Sonntag. Und fast müssen wir schon fragen: gehört das Wochenende noch dem Menschen, ist er nicht auch da getrieben, gejagt, vom Vergnügen, vom Motor usw.? Wo der Mensch sich der Herrschaft Gottes entzieht, die frei macht, verfällt er der Knechtschaft.

Diese Besinnung gilt nicht nur für den modernen Heiden, sie gilt weithin auch für den Christen. Bringt er noch bewußt das Werk seines Alltags Gott dar? Auch er ist gehetzt, gejagt und vermag fast nicht mehr sein Werk einem höheren Sinn unterzuordnen. Auch für ihn wird der Sonntag so leicht zum Wochenende, an dem noch, vielleicht sehr unorganisch und isoliert, pflichtgemäß der Besuch der Sonntagsmesse steht. Die Rettung kann nur von einem bewußt als „Tag des Herrn“ gelebten Sonntag kommen, sonst wird auch den Christen die teuflische Hast des Lebens in den Strudel der Sinnlosigkeit reißen.

Als Höhepunkt der Sonntagsfeier erlebt der Christ in der Messe Leiden, Tod und Auferstehung des Herrn. Das Opfer Christi wird hier unser Opfer. Wer zum Opfer schreitet, kann nicht mit leeren Händen kommen. Die schäbige Münze, die wir in den Rachen des Klingelbeutels werfen, kann uns vom wirklichen Opfer nicht loskaufen. Die Opfergabe, die wir zur Verherrlichung Gottes bringen, ist das Leben dieser Woche, das Werk unseres Alltags, die Arbeit mit ihrer Not und Härte, mit Erfolg und Mißerfolg, und alles, was sonst unseren Alltag in der Familie und anderen Bereichen ausgefüllt hat. Nun liegt es auf dem Opferteller in der Hand des Priesters: „Suscipe, sanete pater!“ Und dann wird in unserer Opfergabe Christus selber gegenwärtig; nun hebt Er sie empor zum Antlitz des Vaters in Seinen durchbohrten und verklärten Händen: „Suscipe, sanete pater!“ So findet unser Leben, der Alltag unserer gedankenlos durchhasteten Woche seine innerste Erfüllung und durch Christus und mit Christus und in Christus wird auch aus unserem Leben Gott dem allmächtigen Vater alle Ehre und Verherrlichung. — Aus diesem Opfer erwächst die reiche Frucht: in Christus, den wir empfangen, nehmen wir neu, tiefer noch, wirklicher noch die Fülle Gottes in uns auf und hinein in den Alltag der kommenden Woche. Und wir werden die Arbeit und die Umgebung, in der wir stehen werden, durchheizen. Im Gottesdienst des Sonntags fließt unser ganzes Leben zusammen und findet Sinn und gültigen Wert.

Aber auch hier geht es für den Christen nicht bloß um sein eigenes Leben, sondern um seine Verantwortung für die Welt. Er steht nie für sich allein beim Altar, nur in seinem Namen, nur um sein eigenes Leben zu Gott zu tragen. Wie der Herr am Kreuz für alle, die es nicht taten und nicht konnten, das Opfer zur Ehre des Vaters darbringt und so den Sinn und Bestand der Welt sichert, so steht der Christ beim Opfer für seine Zeit, für die Menschen um ihn, die Kameraden und Kollegen seines Alltags; bringt Gott die Ehre, die die anderen versagen; gleicht aus, sühnt, schafft dem sinnlosen Leben Sinn, rettet und durchheiligt die Welt. Von den Christen, die am Altar bewußt mit Christus opfern, hängt der Bestand der Welt ab. Hier geschieht das entscheidende Werk des Aposto-lates.

Es ist zweifellos für den Christen heute nicht leicht, diesen sein Leben rettenden Akt des sonntäglichen Gottesdienstes bewußt und konzentriert zu tun. Auch er ist von Unrast und

Gedankenlosigkeit überschattet. Es wird nur möglich sein, wenn der Sonntag doch wieder ein Tag der Sammlung und der Besinnlichkeit wird. Eine durchtanzte oder durchbummelte Samstagnacht wird es von vornherein unmöglich machen. Und wenn das, was auf den Gottesdienst folgt, alle Sammlung in Gott wieder zunichte macht, wird wenig Kraft in den Alltag mitgehen. Das verlangt ohne Zweifel ein gewaltiges Sich-gegen-den-Strom-Stemmen. Wer es nicht wagt, wird in den Sog hineingezogen und geht unter.

Ein Minimalprogramm? Wahrhaftig nicht. Der Ruf zur Sonntagsheiligung nur ein Aufruf an die Lauen und Fernstehenden? Oder nicht doch zu allererst an den gläubigen Christen selbst, der sich in dieser Welt als Christ behaupten und seiner Verantwortung gerecht werden will?

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