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Am Sonntag regnet es immer?

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Nach Kardinal WySchinski und Wladislaw Go- mulka ist der 24jährige Marek HIasko heute wahrscheinlich jener Pole, dessen Name im Westen am bekanntesten ist. Wie war es zu dieser Publicity des jungen Literaten gekommen? Fünf Jahre zählte der kleine Marek, als Hitler sein Okkupationsregime über das „Generalgouvernement Polen” errichtete, zwölf Jahre war er alt geworden, als mit den russischen Panzern die Volksdemokratie in die vom Krieg verwüstete polnische Hauptstadt Einzug ‘hielt. Hier wuchs er zum Mann heran, hier saß er hinter dem Lenkrad eines der wackeligen Taxis, die durch Warschau gondeln, hier versuchte er sich als Kellner und in manchen anderen Brotberufen und hier begann er zu schreiben. Wobei — warum es verschweigen! — die Schnapsflasche nicht selten neben dem Notizenheft als trügerischer Kamerad stand.

Der l,Oktoberfrühling” 1956 war für HIasko und seine Generation in Polen die große Zeit. Arbeiten wurden aus der Schublade hervorgeholt oder unter dem Eindruck der historischen Stunde rasch zu Papier gebracht. Sie ließen die noch in der Aera des „sozialistischen Realismus” abgelegten Stilübungen früherer Jahre rasch vergessen. Ein neues „Wunder an der Weichsel” wurde offenbar: der Geist war in Polen ebenso ungebrochen wie der Wille zur Freiheit.

Unter den jungen Literaten machte bald Marek HIasko von sich reden. Einerseits fiel die Härte seiner an der Sprache der „Verlorenen Generation” nach dem ersten Weltkrieg geschulten Aussage bald auf, die Knappheit der Diktion, der heiße, leidenschaftliche Atem; auf der anderen Seite sorgte der junge Literat dafürt daß man sich „oben” mit ihm beschäftigte. Minister und Parteisekretäre selbst demokratischer Länder haben es nicht gerne, wenn man ihnen recht eindeutige Zitate schriftlich gibt, ln der polnischen Volksdemokratie zeigte man denselben Mangel an Humor. Dennoch durfte sich HIasko nicht einflußloser Gönner erfreuen. Sie statteten den „zornigen jungen Mann” mit einem Paß aus und ließen ihn zu einem Studienurlaub in den Westen ziehen. Hier nützte HIasko die Zeit. Einerseits zum Verbrauch der Tantiemen seiner in deutsch-polnischer Gemeinschaftsproduktion verfilmten Geschichte „Der achte Wochentag” — sie steht an der Spitze der vorliegenden Novellensammlung —, anderseits zu einem nun von jeder Rücksicht-befreiten Jjluell mit seinen Krįtijcern in pqlnischen Htimat. Als er im Herbst des vergangenen Jahres die Aufforderung, zur Verlängerung seines Passes nach Polen zurückzukehren, ablehnte und statt dessen in West-Berlin sich als Flüchtling anmeldete, hatte er die „Schallmauer” durchbrochen. Der Autor hatte, was heute den Verkauf seiner Werke wesentlich fördert, eine Biographie.

Und dennoch wagten Kenner des ungebärdigen Naturtalents zu prophezeien, dies werde nicht der letzte Schritt sein. Sie haben recht behalten. In den letzten Wochen hat HIasko seine bevorstehende Heimkehr nach Polen angekündigt.

Herüber …Hinüber! Wohin gehört nun HIasko wirklich? Ein Blick in seine Arbeiten kann vielleicbt Antwort geben. Sie offenbaren in der Gestalt eines Menschen das Schicksal der einer der härtesten Zerreißproben ausgesetzten jungen Generation des europäischen Ostens:

„Nicht ich habe das Warschau erfunden, in dem die Menschen vor Angst zitterten; nicht ich habe das Warschau erfunden, in dem das höchste Cut der Armen eine Flasche Schnaps war; nicht ich habe das Warschau erfunden, in dem ein Mädel billiger war als eine Flasche Schnaps — dieses Warschau hat mich erfunden.”

So stand es in dem von der polnischen Emigrantenzeitschrift „Kultura” publizierten offenSh Brief an seine Kritiker, so ist es auch in vielen Variationen aus jeder seiner uns vorliegenden Novellen herauszulesen.

HIasko erzählt vom zertrümmerten Idol des Kommunismus in seinem Lande, von Lebensgier und Todesangst der Menschen. Der Suff und das, was man — etwas summarisch — Liebe nennt, spielen dabei stets eine dominierende Rolle. Schmutziger Schnee …regennasse Straßen … ein wolkenverhangener Himmel … schweißtriefende Körper fehlen nie als ständige Requisiten. Neben beinahe schon als spekulative Anleihen auf den primitiven Publi-’ kumsgeschmack aufzufassenden Passagen stehen Szenen von großer Wucht und dann wieder selbst verschämter Zartheit. Eine Erzählung wie „Die Friedhöfe”, in der ein harmloser Arbeiter, KP-Mitglied und Expartisan, durch eine kleine Unbesonnenheit in die Mahlsteine einer gnadenlosen Staats- und Gesellschaftsmaschine kommt, ist ein zeit- und geistesgeschichtliches Dokument. „Ach, Franciszek! Wir gingen dem Leben entgegen, aber man hat uns auf Friedhöfe gebracht; wir gingen ins gelobte Land, aber nichts außer Wüste ist zu sehen; wir redeten von Gerechtigkeit, aber wir kennen nichts außer Terror und außer Verzweiflung …” So klagt ein ehemaliger kommunistischer Partisan seinem Kameraden. So klagt Marek HIasko angesichts des verdunkelten Leitsterns seiner Jugend an.

Und trotzdem will HIasko heimkehren. Wie löst sich dieser Widerspruch? Der junge Pole weiß im letzten, daß er ohne den Hintergrund des gehaßten und doch so geliebten Warschau, ohne die Arbeiter von Marymont, ohne die freudlose Breskagasse schließlich bald nur noch ein Requisit für den Tratsch der Illustrierten und gewisser Boulevardblätter sein könnte. „Zerbrach Marek HIasko an Sonja Ziemann” usw. Dann bliebe letzten Endes nur noch der Alkohol.

Denn Marek HIasko hat, wie so viele „Enttäuschte”, noch keinen festen „Boden unter seinen Füßen. Der Urquell polnischen Freiheitswillens, die Religion (Polak = Katholik), speist ihn nicht. Und so starrt er gebannt auf den Schmutz, auf menschliche Niedrigkeit und tyrannische Bosheit. Das alles gehört gewiß zum Alltag in seiner Heimat. Daneben” aber stehen Opfergeist, Wagemut und noch viel Hoffnung gegen alle Hoffnung. Auch in Polen. Gerade in Polen.

„Sonntags regnet es immer.” So die düstere Philosophie am Ende einer der vorliegenden Erzählungen. Was soll die schwarze Romantik des traurigen Sonntags, Marek HIasko? Der Rezensent war im vergangenen Oktober an zwei Sonntagen in Warschau. An beiden schien eine gütige, milde Herbstsonne. Sie verklärte die Stadt und ihre Menschen — wie viele, kaum verheilte Narben beide auch an Leib und Seele tragen.

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