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Aufzeichnungen und Aphorismen aus der Feder eines heiteren Pessimisten.

Zwischen Selbstdisziplin und Antriebslosigkeit schwankend, kriecht der Autor an seinen Arbeitstisch, um wenigstens durch sein Sudelbuch sein Lebensrecht nachzuweisen. Vor welcher Instanz? Er kennt ja keine andere als die der eigenen, ermattenden Person." Die ermattende Person ist kein anderer als der 75-jährige Günter Kunert selbst. Der Zorn altert, die Ironie ist unsterblich, lautet ein auf Hans Magnus Enzensberger gemünzter Satz. Man könnte ihn auch auf Günter Kunert, den ironischen Autor par excellence, anwenden. 1979 verließ er die DDR, um im Westen das Leben eines unsicheren Kantonisten zu führen. Kunert, Sohn aus einer Mischehe, dessen Mutter im KZ umkam, brachte das Kunststück fertig, seine eigene Biografie als tragikomische Harlekinade zu schreiben. Mit seinen Erinnerungen "Erwachsenenspiele" hat er eines der gültigsten Bücher über Nazi-Diktatur und SED-Herrschaft geschrieben: Luzide, unsentimental, kaltschnäuzig im besten Sinne. Und nun abermals ein autobiografisch getöntes Buch, eine Sammlung von Aufzeichnungen und Aphorismen, die der Herausgeber Hubert Witt aus einem Urmanuskript von 1.400 Seiten ausgewählt hat.

Der Tenor ist vorgezeichnet. "Mein Wohnort heißt Ambivalencia" heißt es da gleich am Anfang. In keinem politischen Lager beheimatet, keiner Denkrichtung verpflichtet, geht der konsequente Agnostiker Kunert bis zur Infragestellung der dichterischen Legitimation. Mit Galgenhumor zeichnet er in seinen Notaten ein Selbstporträt, das ehrlich und frei von Koketterie ist. Sein Ehrgeiz sei mittelmäßig, gesteht er, anders als beim Romancier helfe ihm die Routine nicht über den Bücherberg. Die lyrische Existenzform als hoffnungsloser Anachronismus im Medienzeitalter, dazu passen die beiden Aphorismen in dem Kapitel "Kulturverluste": "Die Literatur gleicht einem sinkenden Schiff, das die Leseratten verlassen haben." "Die Digitalfahrt der Kultur bedarf keines Kommentars."

Gelassen und mit diagnostischem Scharfblick sieht Kunert seine Felle davonschwimmen. Ja, man könnte gegen die Zeit anschreiben, doch die Zeit geht über den Dichter hinweg. Sein einziger Vorteil: Die Freiheit, sich einer lustvollen Absichtslosigkeit hingeben zu dürfen, sich jedem Zweckzusammenhang entziehen zu können. Im Triumph über die Wirklichkeit sieht Kunert das Glück des Schreibens, was nicht bedeutet, dass er von der Tatsachenwelt abhebt. Im Gegenteil - hier schlägt sich einer fast demonstrativ auf die Seite des Normalmenschen. Bereitwillig gibt er Auskunft über seinen Alltag als Eigenheimbewohner oder er tritt ganz unprätentiös als Zeitzeuge auf. Die wenigen Passagen, in denen Kunert über Treffen mit seinen Autorenkollegen berichtet, gehören zu den spannendsten des Bandes. Über die Begegnungen mit Brecht etwa, über eine Tagung der Gruppe 47, über Wolf Biermann und Jean Amery. Kunert genügt sich in der Rolle des Chronisten, wahrt Distanz und fraternisiert nicht - auch hierin ein Bewohner von Ambivalencia. In seinem wirklichen Wohnort, Kaisborstel bei Itzehoe, inspiziert er seinen Garten, beobachtet die Vögel und denkt über die Abfolge der Jahreszeiten nach. Zurückgeworfen auf sich selbst analysiert er seine Träume oder lästert über das Reisen, dessen schönster Moment das Nachhausekommen sei.

Mit einer Mischung aus Skepsis und milder Sympathie, wie es sich für Kunert gehört, registriert er den Prozess des Alterns: Aus dem Fluss des Seins ist ein Rinnsal geworden und dennoch hält man sich an Luther, denkt an morgen und pflanzt noch einen Baum. Anflüge von Melancholie, in der Hauptsache aber Zweifel, gesunder Menschenverstand und Erkenntnisinteresse prägen dieses Überlebensbuch in mageren Jahren. Kunert, der heitere Pessimist, ist sich treu geblieben und er braucht sich dessen nicht zu schämen.

Die Botschaft des Hotelzimmers an den Gast

Aufzeichnungen von Günter Kunert

Hg. v. Hubert Witt. Hanser Verlag, München 2004. 346 Seiten, geb., e 22,10

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