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Amerikas Zukunft ist Soulsville

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EINES TAGES WERDEN WIR SIEGEN. Von Hubert Gundolf. Von der Sklaverei lum Bürgerrecht. Verlag Styria, 1968. 33l Seiten, S 168.—.

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EINES TAGES WERDEN WIR SIEGEN. Von Hubert Gundolf. Von der Sklaverei lum Bürgerrecht. Verlag Styria, 1968. 33l Seiten, S 168.—.

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Hubert Gundolf legt mit diesem Buch einen Bericht über das Schicksal der amerikanischen Neger vor. Er beginnt mit einer prägnanten Schilderung der Zustände in Afrika während der Eroberung und Er- chließung dieses Kontinents durch den „weißen Mann". Er schildert den Beginn, die „Blüte“ und das Versiegen des Sklavenhandels; die Zustände vor, während und nach dem Bürgerkrieg in Amerika; die Aufhebung der Sklaverei, mit ihren Vor- und Nachteilen für die Freigelassenen; die Massenflucht aus den Süd- etaaten in den Norden, vom flachen Land in die Städte. Entstehung, Ausbreitung und Zurückdämmung der Wirksamkeit des Ku-Klux-Klans; Entstehung der Slums. So erfahren wir eine Fülle aufschlußreicher Details, ohne daß sie den Überblick beeinträchtigen. Der Autor bemüht ich um sachliche Unvoreingenom- menheit Er zerstreut die Legende vom faulen, vom unreifen oder minder intelligenten Neger, ohne zu bestreiten, daß es faule, lasterhafte und verantwortungslose Neger gibt und daß diese in den Slums der Städte zuweilen die Mehrheit ausmachen. Er zeigt aber auf, daß die Existenz von hervorragenden Wissenschaftlern, Schriftstellern, Künstlern und Staatsmännern schwarzer Hautfarbe weit erstaunlicher ist, da sie ihrer Herkunft, Umwelt und Erziehung nach kaum eine Aussicht hatte, je auch nur den Durchschnitt zu erreichen.

Ein ausführliches Kapitel schildert Weg, Grundsätze, Erfolge und Mißerfolge Martin Luther Kings. Das Buch schließt noch das Ereignis seiner Ermordung ein und eröffnet einen beklemmenden Ausblick auf die Zukunft des großen Landes der Freiheit; denn obwohl es Präsident Johnson gelungen ist, was Präsident Kennedy vorbereitet hatte: 1964 das Bürgerrechtsgesetz durchzubringen und die Zustimmung der weißen Majorität für den schrittweisen Abbau aller Rassenschranken zu erreichen, .hat die Unzufriedenheit der Neger seither nur noch zugenommen. Sie, denen durch vier Generationen (seit Abraham Lincoln), immer wieder Geduld gepredigt worden war, ohne daß sie aufgehört hatten, als Menschen zweiter Klasse zu gelten, schienen nun, fast am Ziel, ihren Vorrat an Geduld endgültig verbraucht zu haben: Sie wollen alles auf einmal, und sie wollen es sich eelbst nehmen. Die Bewegung der „Black Muslims“, schwarzer Rassenfanatiker, die nun ihrerseits die Integration ablehnen und die Ideologie der Gewaltlosigkeit als „Sklavenmentalität“ bezeichnen, . gewinnt immer mehr Anhänger, wenn es auch gewiß nicht so viele sind, wie sie selber behaupten. Aber sie haben die ideelle Unterstützung Rotchinas, und sie wissen es. Für sie ist die Bürger- recht&gesetzgefoung „ein Vertrag, um sie für immer unter der Knute der (weißen) Rassenkämpfer zu halten.“

Sehr eindrucksvoll schildert Gun-

doif die Chance des Negers, als Mitglied der „Army“ endlich vollwertiges Mitglied seines Volkes werden, ja sogar Weißen befehlen zu können. Der Anteil der in Vietnam kämpfenden Neger ist weit höher als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht, der Anteil an Gefallenen wiederum weit höher, als ihr Anteil an der kämpfenden Truppe. Die vorderste Front in Vietnam heißt Soulwille. Soul ist ein Slangwort für Neger.. .Dennoch (oder deshalb) ist dieser Krieg auch i h r Krieg. Gundolf betont: „Sie (die Neger) haben an der Front einen großen Schritt vorwärts getan. Sie haben gesehen, wie gerade im Krieg Rassenvorurteile umgeworfen werden.“ (Der nachdenkliche Leser erinnert sich freilich, daß auch die deutschen Juden dies im ersten Weltkrieg „gesehen“ haben; zwanzig Jahre später aber hat das Eiserne Kreuz kaum einen von ihnen vor der Gaskammer gerettet! Und er fragt sich, ob zu erwarten war, daß die Heimkehrer, oder die Brüder, Väter und Söhne der Vietnamkämpfer, weiterhin den Maximen eines Martin Luther King folgen würden, ihm der, ln wahrer Nachfolge Christi, ausgerufen hatte: „Der Kampf um die Freiheit wird große Opfer an Blut fordern, aber es muß unser eigenes Blut sein.“) Gundolf berichtet, was Präsident Johnson anläßlich des Todes von Martin Luther King sagte (und wenige Wochen später, am Sarg Robert Kennedys, wählte er fast die gleichen Worte): „Wenn wir jemals das

Amerika besitzen sollen, das wir erträumen, dann müssen Menschen aller Religionen und Rassen Zusammenhalten, um der Gewalt den Sieg zu verwehren.“

Sollen wir den Mut des Präsidenten bewundern, der gerade ihn diese Wahrheit uussprechen ließ, oder solch kritiklose Selbstgerechtigkeit fürchten, welche immer nur dafür ist, daß der Gegner sich gewaltlos verhalte? Liegt es nicht im Wesen der Gewaltlosigkeit, die Christus lehrte und lebte und die Gandhi wiederentdeckte, daß jeder selbst damit beginnen und alle Risken auf sich nehmen muß?

Es ist die Lebensfrage nicht nur Amerikas, sondern der ganzen westlichen Welt, die Lebensfrage der heute noch reichen und satten Völker: ob sie den armen und ausgeplünderten die Bruderhand reichen werden, so lange sie noch angenommen wird.

Dieser letzte Gedanke steht nicht in Gundolfs Buch; er ergibt sich aus den Fakten, die dort mit großer Objektivität aufgezeichnet sind, nicht zuletzt aus dem als Anhang publizierten „Geschichtlichen Überblick der Negersklaverei im Vergleich zur Weltgeschichte“. Hier sprechen nackte Tatsachen.

Andere Leser mögen dennoch zu anderen Folgerungen gelangen; jedenfalls ist dies ein Buch, das zum Weiterdenfeen zwingt. Also weiche man ihm nicht aus!

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