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AMINTORE FANFANI / MACHT MIR DIE LINKE MITTE STARK!

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Der erste Ministerrat des neuen italienischen Kabinetts war eben geschlossen. Mit einigen Ministerkollegen betrat Amintore Fanfani den Aufzug. Eine Schar Journalisten drängte unbekümmert nach. Nach kurzer Fahrt blieb der Ascensore wegen dieser ungewöhnlichen Belastung mitten zwischen zwei Stockwerken stehen. Ein böses Omen? Als der Ministerpräsident nach einer guten Viertelstunde befreit wurde, zeigte er sich keineswegs bedrückt. Ganz im Gegenteil. Sein Gesicht strahlte. Genauso war es Alcide De Gasperi nach seiner ersten Kabinettsitzung vor vielen Jahren gegangen. Und Alcide De Gasperi regierte hierauf sieben Jahre...

Nun: sieben Jahre wird dieses Kabinett Fanfani in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung bestimmt nicht die Geschicke Italiens bestimmen. Wenn es aber noch einen Politiker der Democrazia Cristiana gibt, der dieser Partei eine Zukunft erschließen und der römischen Regierungskunst, die sich in den letzten Jahren immer mehr im Kreise drehte, wieder eine stabile Basis geben kann, dann ist es ohne Zweifel „il professorino“, der kleine Professor aus Arezzo.

Am 6. Februar 1908 erblickte der Toskaner das Licht der Welt. Als dann Fanfani Student wird, regieren in Rom schon lange Mussolini und seine Schwarzhemden. Mit 24 Jahren habilitiert sich der junge bekenntnisfreudige katholische Akademiker als Privatdozent für Wirtschaftsgeschichte und schreibt eine ausführliche Arbeit über den Korporativstaat. 1936 beruft die katholische Universität von Mailand den Achtundzwanzigjährigen zum Professor für Nationalökonomie. Die Zeichen der Zeit sind böse: Abessinien, Österreich, der zweite Weltkrieg. Fanfani dient als Korporal. Am 8. September 1943 flüchtet er in die Schweiz. In Lausanne und Genf wirkt er als Lehrer der von Tag zu Tag — es sind die Zeiten von Mussolinis „Republik von Said — zahlreicher werdenden talienischen Internierten. Als Rektor des studentischen Flüchtlingslagers in Pully gelingt es ihm, die Sympathie der aufgeweckten politisch interessierten italienischen Jugend zu gewinnen., ,ll professorino“ wird i h r Mann. Bald auch in der Politik. In die Heimat zurückgekehrt, gesellt er sich sehr bald zu den aktivsten Elementen der jungen DC. Der Distrikt Arezzo-Siena-Grosseto entsendet ihn in das Parlament am Montecittorio. 1946 nimmt ihn die Parteileitung auf. 1947 beruft De Gasperi den als energisch und arbeitswütig „verschrienen“ Mann als Arbeitsminister in sein Kabinett. In der Folgezeit verwaltet Fanfani auch das Portefeuille des Landwirtschafts- und zuletzt des Innenministers. De Gasperis Wohlwollen bleibt dem an der Spitze seiner „lniziativa Democratica“ genannten Gefolgschaft Stehenden erhalten. Mehr noch: er begünstigt Fanfani und seinen sozialrefor-merischen Kreis. Als Fanfani 1954 in Neapel als Generalsekretär die Führung der DC übernimmt, gibt ihm der große alte Mann der italienischen Demokratie kurz vor seinem Tode seinen politischen Segen: „Die Democrazia Cristiana ist eine Partei der Mitte, die nach links marschiert.“

„Eine Partei der Mitte, die nach links marschiert: das heißt nicht vielleicht Kapitulation vor dem Kommunismus, sondern — im Lande mit der stärksten KP Westeuropas — durch eine aktive und initiative Sozialpolitik dem Kommunismus Meter um Meter das Wasser abzugraben. Die „Loseisung“ der Linkssozialisten Pietro Nennis aus dem Bündnis mit der KP erscheint ihm zudem als eine entscheidende Etappe auf diesem Weg. Dieses Ziel steht seit langem Fanfani vor Augen. Aber da gibt es noch „die anderen“: die, die heiligsten Güter der Nation bedroht sehen, wenn es an die Beseitigung sozialer Vorrechte und Schmälerung finanzieller Einkünfte geht. So wird Fanfani bald als „weißer Kommunist“ abgestempelt und kräftig Stimmung gegen den „Linkskatholiken“, den Mann der „aper-tura a sinistra“ gemacht. Eine erste Ministerpräsidentschaft scheitert nach wenigen Tagen, ein zweites Kabinett Fanfani hält sich zwar ein halbes Jahr, dann setzen die retardierenden Kräfte in der eigenen Partei zum Gegenstoß an. Und Fanfani, dessen persönlich nicht immer gerade konziliantes Auftreten ihm zusätzliche Feindschaften eingetragen haben, erweist sich auf der Höhe der Situation. Er legt — welcher Parteimann der Gegenwart hat Ähnliches schon getan? — die Ministerpräsidentschaft und die Führung seiner Partei spontan zurück. Er geht — um wiederzukommen. In diesem politisch gewitterschwülen Sommer 1960.

Wie lange wird die politische Besinnung am Tiber anhalten? Das Zentrum-Kabinett Fanfani hat ein denkbar gutes Entri gefunden — zum erstenmal seit 1944 stimmten die Sozialisten Nennis anders als die Kommunisten. Der Name des Regierungschefs bleibt der eines Programms. In Etappen. Überall, wo man die letzte Weisheit christlichdemokratischer Regierungskunst nicht in der sterilen Formel „Keine Experimente“ erschöpft sieht, verfolgt man seinen Weg weit über Italien hinaus mit wachem Interesse. —nik.

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