"Amon Göth tötete beiläufig"

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Roman Polanskis Film "Der Pianist", der die Schrecken des Warschauer Ghettos in Bilder bannt, löst zur Zeit ähnliche Betroffenheit aus wie 1993 Steven Spielbergs "Schindlers Liste". Mietek Pemper war an der Erstellung dieser Liste, die 1.200 polnischen Juden das Leben rettete, maßgeblich beteiligt. Im Furche-Interview spricht er über seine Erinnerungen.

Die Furche: Als Stenograf von Amon Göth, dem sadistischen Lagerkommandanten von Plászow, ist es Ihnen gelungen, gemeinsam mit Oskar Schindler und Itzhak Stern den Plan "Überleben durch Arbeit" zu entwickeln. Wie haben Sie Amon Göth erlebt?

Mietek Pemper: Ich war 23 Jahre alt, als ich als Sekretär und Stenograf im Lager Plászow, einem Vorort von Krakau, begonnen habe. Bewusst geworden ist mir das Ausmaß des Mordplanes gegen uns Juden erst im Herbst 1942. Zu diesem Zeitpunkt war das Krakauer Ghetto bereits geräumt und viele Tausende Juden in Vernichtungslager geschickt. Aus Diktaten von Amon Göth an das Krakauer Gericht ist mir bewusst geworden, dass die Juden hier als Häftlinge galten und dass das Barackenlager nicht eine Fortsetzung des Ghettos war. Der Widerstand Einzelner hätte damals jedenfalls nichts geholfen. Ich habe wegen der sadistischen Ader von Göth beim kleinsten Fehler mit dem Tod rechnen müssen. Oft habe ich erlebt, wie er Hunde auf Juden gehetzt hat - seinen Gesichtsausdruck dabei werde ich niemals vergessen. Er hat Menschen in meinem Beisein während des Diktats schwer misshandelt - sie haben ihn angefleht, aufzuhören oder sie gleich zu erschießen. Und dann kam er wieder zurück und diktierte weiter, als sei nichts geschehen. Göth wurde im Herbst 1944 wegen Veruntreuung verhaftet - er hatte den Besitz der Juden einbehalten und nicht nach Berlin weitergeschickt.

Die Furche: Wie haben Sie Oskar Schindler kennen gelernt?

Pemper: Schindler ist mir sehr früh aufgefallen. Er hat sich erkundigt, wie er die bei ihm beschäftigen Juden schützen könnte. Schon einige Wochen nach meiner unfreiwilligen neuen Arbeit als Stenograf von Göth hat Schindler zu mir Kontakt aufgenommen. Itzhak Stern, ein älterer Freund von mir, hat ihn mir als "einen etwas anderen deutschen Unternehmer" ans Herz gelegt. Schindler hatte den Ruf, Juden nicht als Untermenschen zu betrachten und sich zu bemühen, jüdische Arbeitskräfte zu beschäftigen, die in anderen Firmen entlassen wurden. Das beeindruckte mich, im Laufe der Zeit habe ich ihm immer öfter geheime Informationen, die ich illegal erfahren hatte, zukommen lassen. Man muss wissen, dass Schindler ein deutscher Patriot war. Er hatte in der Zeit vor Kriegsausbruch als Spion für Deutschland gearbeitet, ihm gefiel die Idee eines großen Deutschlands. Niemals aber hätte er, der viele jüdische Freunde hatte, damit die Vernichtung der Juden verbunden.

Die Furche: Wie ist es Ihnen gelungen, zur Erstellung der Liste an die nötigen Informationen zu kommen?

Pemper: Ich habe im Spätherbst 1943 in Geheimunterlagen aus der Korrespondenz Amon Göths gelesen, dass nur die Arbeitslager mit einer siegentscheidenden Produktion fortgeführt werden. Das war für mich ein Alarmsignal. Mir war der Ausdruck "kriegswichtig" bekannt für Produkte wie Schnellhefter oder Schuhe - eben alle Produkte, deren Empfänger Wehrmachtseinheiten waren. Ich überlegte sehr genau, wie ich diese Geheimmitteilung an den leutseligen und oft recht hemdsärmeligen Schindler weitergeben konnte. Dabei sind mir seine Erfahrungen als Spion zugute gekommen. Er hat keine Fragen gestellt und die richtigen Konsequenzen gezogen. Schindler hat in Brünnlitz eine Emailwarenfabrik betrieben, die Großküchen und Wehrmachtsbetriebe versorgte und hat meinen Satz verstanden: "Ja, Herr Direktor Schindler, die Geschichte zeigt, dass man ohne Emailgeschirr einen Krieg gewinnen kann, aber nicht ohne Waffen." Er hat meinen Tipp befolgt und aus der Emailfabrik einen Rüstungsbetrieb, nämlich eine Produktionsstätte für Granatenteile mit "siegentscheidender Produktion" gemacht: Die Juden hatten einen sicheren Arbeitsplatz und seine Firma war vor der Schließung bewahrt. Die Aufstellung in "Schindlers Liste" wurde damals von Berlin her genehmigt, es kamen solche Juden auf die Liste, die in Rüstungsabteilungen tätig waren.

Die Furche: Oskar Schindler hat Menschenleben gerettet. Er war aber auch ein Charmeur und Frauenheld, der in Krakau das große Geld gesucht hat. Wie haben Sie ihn erlebt?

Pemper: Schindler war kein Wunschschwiegersohn, seine Frau hat hier oft Klartext gesprochen. Aber darum geht es mir in meiner Betrachtung nicht. Er hat Menschenleben aus der Nazi-Vernichtungsmaschinerie gerettet, das zählt für mich. Mich hat stets Schindlers Menschlichkeit inmitten der damaligen Unmenschlichkeit beeindruckt. In Schindlers Fabrik kamen im Winter 1944/1945 kleinere Grüppchen von Juden, die Hauptliste Schindlers wurde im Herbst 1944 erstellt. Sie umfasste 300 Frauen- und 700 Männernamen und wurde immer wieder ergänzt, sodass sie schließlich 1.200 Namen umfasst hat. Beispielsweise sind 80 KZ-Häftlinge aus dem Nebenlager von Auschwitz zu uns gekommen: Niemand, der auf der Liste stand, - abgesehen von einer Leukämiekranken und einem Hochbetagten - ist gestorben. Wir haben alle überlebt. Ich selbst wurde damals auch von Schindler für seine Fabrik in Brünnlitz übernommen, die Liste sahen wir als unsere letzte Chance. Oskar Schindlers Rede, die er am Tag unserer Befreiung gehalten hat, ist nach dem Tode seiner Frau als Manuskript im berühmten Koffer Schindlers aufgetaucht. Darin schreibt er: "Für euer Überleben dankt nicht mir, dankt euren Leuten, die Tag und Nacht arbeiteten, um euch vor der Vernichtung zu retten. Dankt euren unerschrockenen Stern und Pemper und einigen anderen, die bei ihrer Aufgabe für euch, vor allem in Krakau, jeden Moment dem Tode ins Auge gesehen haben, die an alle dachten und für alle sorgten."

Die Furche: Hatten Sie nach der Befreiung weiter Kontakt mit Schindler?

Pemper: Nach dem Krieg war ich bei vielen Prozessen Dolmetscher und Hauptzeuge. Gleich Ende 1946 haben Schindler und ich Kontakt aufgenommen. Schindler hat in Regensburg in einer deutschen Zeitung gelesen, dass ich als Hauptzeuge der Anklage in Krakau ausgesagt habe. So schickte er über das Gericht einen Brief an mich. Damals lebten noch viele Überlebende in Krakau und wir haben Kontakte zu den jüdischen Organisationen in Amerika hergestellt. Man hat Maßnahmen für die Zukunft überlegt: Schindler wollte eine Nutria-Farm in Argentien aufbauen, doch sie endete in einem finanziellen Fiasko. Ende 1957 kehrte er nach Europa zurück, um seine Lastenausgleichsansprüche durchzusetzen, und ich war als eine Art Finanzsachverständiger an seiner Seite. Schindler war ein außergewöhnlicher Mensch, aber nur für außergewöhnliche Zeiten. Seine große Zeit waren die Kriegsjahre, damals konnte er seine Fähigkeiten voll entfalten.

Die Furche: Sie wurden 1993 als Berater von Regisseur Steven Spielberg nach Krakau geladen: Wie sehen Sie die mediale Präsentation des Retters Schindler im Film "Schindlers Liste"?

Pemper: Ich versuchte Spielberg zu erklären, dass der Retter Schindler ein anderer war als jener Schindler, der im Krieg Geld verdienen wollte, nachdem der väterliche Landmaschinen- und Montagebetrieb bankrott gegangen war. Im Laufe der Zeit, besonders 1941 und 1942, hat er eine moralische Wandlung durchgemacht. Er hat sich zu einem Lebensretter entwickelt. Er ist aber nicht mit dem inneren Auftrag, Leben zu retten, zu uns nach Krakau gekommen. Wir sind dankbar, dass wir die Nutznießer dieser moralischen Entrüstung wurden: Schindler, ein athletisch gebauter Mann, konnte nicht zuschauen, wie Menschen geschlagen und in den Tod geschickt wurden.

Die Furche: Sie sind heute 82 Jahre alt und sprechen häufig und gern vor Jugendlichen. Welche Wünsche haben Sie an Ihre Zuhörer? Welche Botschaft möchten Sie ihnen mitgeben?

Pemper: Es ist mein Wunsch, dass junge Menschen den Grundsatz "Du darfst nicht töten" einhalten. Außerdem sollte nie mehr wieder jemand nach seinem Aussehen beurteilt werden. Ich erinnere gerne an die Existenz von Grautönen: Selbst zwischen dem Engel Schindler und dem Teufel Göth gibt es viele Schattierungen. Ich erinnere mich an einen jungen "Parade-SS-Offizier", der Göths Befehl, eine junge jüdische Mutter mit ihrem Kind zu erschießen - Göth gab diesen Tötungsbefehl beiläufig, während er mir am Lagerzaun etwas diktierte -, mit "Das kann ich nicht" verweigerte und Mutter und Kind das Leben rettete. Wenn man einen Menschen kennen lernen will, soll man nicht sein Gesicht betrachten, sondern seine Handlungen in schwierigen Situationen. Nur dort zeigt sich der wahre Mensch.

Das Gespräch führte Christina Gastager-Repolust.

"Widerstand mit dem Kopf - nicht mit der Keule!"

Mieczyslaw (Mietek) Pemper wurde 1920 in Krakau geboren. 1938 nahm er hier das Studium der Rechtswissenschaft sowie der Betriebswirtschaftslehre auf. Vor allem seine Deutschkenntnisse - seine Breslauer Großmutter hatte ihm diese Sprache gelehrt - verhalfen ihm nach dem Angriff Hitlers auf Polen zu seiner Stelle bei der jüdischen Gemeinde in Krakau: Hier übersetzte er den Schriftverkehr mit den deutschen Besetzern. Im Lager Plászow wurde der 23-Jährige Sekretär (Stenograph) des Lagerkommandanten Amon Göth. In dieser Position lernte er den Industriellen Oskar Schindler kennen, zuvor noch dessen Sekretär Itzhak Stern: Maßgeblich hat Mietek Pemper zur Erstellung der berühmten Liste Schindlers und damit der Rettung von 1.200 Juden beigetragen. Nach der Befreiung schloss Pemper sein Studium der Betriebswirtschaftlehre bzw. Soziologie ab und trat als Zeuge und Dolmetscher bei zahlreichen Prozessen gegen Kriegsverbrecher auf. Sowohl der australische Autor Thomas Keneally als auch der amerikanische Starregisseur Steven Spielberg holten bei ihm Rat und Information zu ihren Werken über "Schindlers Liste" ein. Es entstanden ein Buchbestseller und ein Spielfilm, der mit sieben Oscars ausgezeichnet wurde.

Immer wieder formuliert Mietek Pemper in seinen zahlreichen Vorträgen seine Botschaft an die Jugend: "Leistet Widerstand - mit dem Kopf, niemals mit der Keule!"

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