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An den Rand geschliben

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PAPST UND KARDINAL. Die neue Enzyklika des Papstes „Aeterna Dei Sapientia’ ist unter dem November- datum des anderthalb Jahrtausende zurückliegenden Todestages Leos des Großen verfaßt. Aber sie kam den Österreichern des Veröffenf- lichungstermins wegen gerade an jenem Adventssonntag zur Kenntnis, den auch der Kardinal-Erzbischof von Wien zu einer großen Interpretation der neuen Sozialenzyklika ausgewählt hatte. Zwei verschiedene Themen, zwei Dokumente auch von unterschiedlichem Gewicht. Aber das zufällige Zusammentreffen lief; die große Gleichgestimmtheit des Geistes bei beiden Kirchenmännern deutlich werden. Wenn der Papst an der Schwelle des Konzils den Primat des Petrus-Nachfolgers verkündet, so tut er dies unter deutlicher Umgehung imperialer Vorstellungen des Mittelalters oder gar der fragwürdigen Renaissance. Auch Erzbischof Kardinal König distanzierte den Anspruch christlicher Universalität scharf von jedem — auch noch so verbrämten — Dikfafurgelüst. Als Beitrag zur Bildung eines weltweiten sozialen Humanismus will er „Mater et Magistro" verstanden wissen. Und den Österreichern, die sich geführt von Bundespräsident und Bundeskanzler zu diesem Festakt eingefunden hatten, wurde erneut der Welthorizont moderner kirchlicher Arbeit vor Augen geführt, die sich nicht im nationalen Egoismus erschöpfen darf. Die tiefen Worte Professor Kolbs waren das wohl ausgewogene Echo des Laien auf diesen Ruf der Kirche.

ÖSTERREICHISCHE SELBSTINTERPRETATION. Der österreichische Bundespräsident gehört nicht zu den Staatsmännern, die gern und ausgiebig Reden halfen. Dafür haben seine Äußerungen den Vorzug, durchdacht und auch sprachlich ausgefeilt zu sein. Einen liebenswürdig-pedantischen Zug von Schulmeisterei, der einer ganzen älteren Generation des demokratischen Sozialismus eigen war, kann auch Dr. Schärf nie ganz verleugnen. Was er anläßlich des Zentenarjubiläums des Handelsministeriums zu unserer staats, und wirtschaftspolitischen Situation sagte, war fast ein kleines Kolleg, eine pädagogisch-geduldig wiederholte Lektion ; fuf Ohren.’iK dritvnerv Uftd draufjen. Ein Grunderfordernis der Neutralität sei das Unterscheidenkönnen; zwischen Außenpolitik und Handelspolitik, sei die Bedachfnahme auf Grenzen, die allein von der Sache her, aber weder durch phantastische Wunschträume noch durch überängstliches Schielen über die verschiedenen Grenzen bestimmt werden könnten. Das Gesetz erlaubt und gebietet uns die Bestimmung der Neutralitätspolitik in eigener, von niemand abzunehmender Verantwortung. Diese Verantwortung ist Recht und Pflicht in einem.

GESETZ ODER POLIZEI. Immerhin isf ein gewisser Fortschritt zu notieren. Die Meinung derer, die ein energisches Vorgehen gegen den Rechfs- extremismus aller Spielarten fordern, hat sich gegen den Flüsterchor der Beschwichtiger und Verharmloset durchgesetzt: daß etwas geschehen muß, bestreifet kaum mehr einer der verantwortlichen Männer in Österreich. Frage bleibt nur das Wie und Was. Den Männern, die wie Staatssekretär a. D. Grubhofer ein Staafs- schutzgesetz fordern, steht die Auffassung des Kanzlers gegenüber, dei die energische Arbeit der Exekutive für ausreichend ansieht. Uns schein! die zweckmäßige Wahrheit in dei Mitte zu liegen. Endlose rechtsphilosophische Debatten über die Präambel eines neuen Gesetze; würden dessen Wirksamwerden unerträglich hinauszögern. Anderseits aber reichen die Paragrapher und Verordnungen der derzeitiger Rechtspflege zur Erfassung dei eigentlichen Tatbestände kaum mehi aus. Es handelt sich eben nicht um „Majestätsbeleidigungen’ und „Un- ruhestiffungen" aus dem alten Ob- rigkeitssfaät, sondern um akute Gefährdungen unseres modernen demokratischen Gemeinwesens. Die vorhandenen Rechtsbestimmungen können bestimmt in viel kürzerer Frisl neu adaptiert und anwendbar gemacht werden. Was nun not tut, ist, daß der Justizminister, der einen ähnlichen Weg vorgeschlagen hat, dafür sorgt, daß die Facharbeit nicht im Formalen verzögert, sondern rasch und gründlich begonnen wird.

NICHT UBER BERLIN ALLEINI Der dramatische Akzent der Begegnung Adenauer—de Gaulle am letzten Wochenende in Paris lag nicht in der Unbeugsamkeit des Generals — darauf waren alle gefaßt, und sie entsprach auch vollauf d n Erwartungen —, sondern in der bis zur Seibstenf-

sagung gehenden Flexibilität der Politik des deutschen Kanzlers. Gewiß, seit dem Washingtoner Besuch des letzteren war man über die zwingenden Beweggründe des neuen Bonner Kurses ebenfalls im klaren. Man war nur nicht sicher, ob sich Adenauer wirklich entschließt, diese Politik auch dem westlichen Nachbar gegenüber entschieden zu vertreten. Gerade das ist nun geschehen. Unterstützt von allen Fraktionen des Bundestages, war Adenauer bemüht, seinen Pariser Gesprächspartner von der Zweckmäßigkeit von Verhandlungen mit Chruschtschow über Berlin zu überzeugen. Nach dem kurzen Kommunique geurteilt, teilte de Gaulle diese Ansicht nicht, zumindest nicht für den gegenwärtigen Zeitpunkt. Die erneute Drohung Chruschtschows mit der Superbombe— die er allerdings als eine „Warnung" bezeichnete — schien dem General recht zu geben: unter

Drohungen verhandle man eben nicht. Hinter diesem Argument verbirgt sich freilich etwas anderes: de Gaulle ist im Grunde genommen sowohl ein amerikanisch-sowjetisches Tefe-ä-tete als auch eine plötzlich elastischer gewordene Haltung Bonns suspekt. In beiden Fällen zeichnen sich für ihn Gefahren einer Isolierung Frankreichs ob. Es wird Aufgabe der soeben erst angelaufenen Pariser Verhandlungen der NATO-Mächte sein, den General vom Primat der westlichen Einheit zu überzeugen.

MOSKAUS SCHRITT AUF DEM BALKAN. Mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Albanien hat die Sowjetregierung — man kann es wohl ohne Übertreibung sagen — eine jener Zäsuren untergebracht, nach denen sich spätere Geschichtsschreiber im Gestrüpp sowjetischer Nachkriegspolifik auf dem Balkan orientieren werden. Trotz den scharfen Attacken gegen die Partei- und Staatsführer Albaniens bei dem letzten Moskauer Parteikongreß kam der Schritt Moskaus für die Mehrzahl der Beobachter überraschend, weil man ja hinter dem Zwergstaat am Mittelmeer den mächtigen Verbündeten China wußte und weil man annahm, daß es Moskau nicht an einer übermäßigen Belastung der Be. Ziehungen zu Peking liegen könne. Nurt isfrctywer Schritt vollzogen . (or- ..jd ry war in einem Zeitraum, in dem China die nordöstlichen Grenzen Indiens bedroht und damit vermutlich dringenden sowjetischen Interessen zuwiderhandelt. Durch den nunmehr offenen Konflikt zu Albanien und die bereits eingeleiteten Isolierungsversuche werden wohl die jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen beinahe automatisch besser, und ein bewährter Seismograph namens Janos Kadar reagierte erwartungsgemäß, als er in einer Rede die Bedeutung des Vorstoßes des „rechten Flügels der KPdSU" würdigte.

HAMMER ODER AMBOSS. Fast fühlt man sich an den makabren „Witz" aus dem spanischen Bürgerkrieg erinnert; an den Heeresbericht mit den Gefallenenzahlen aus allen Nationen, darunter auch einem einzigen Spanier, von dem es dann hieß, daß es ihm recht geschehe, weil er sich „hineingemiischt” habe. In Katanga ist die Lage deswegen so verworren, weil einander dort nicht die klassischen „Zwei" der heutigen Weltpolitik gegenüberstehen, deren Demarkationen ja immerhin ouszu- machen sind. Die Kämpfe spielen sich zwischen drei weltpolitischen Gruppen ob, die allesamt mit verdecktem Visier kämpfen. Der die Ostprovinz beherrschende Linksnationalist Gizenga ist wohl noch am eindeutigsten der Vertrauensmann der Sowjets. Wer aber in der Auseinandersetzung zwischen der Zentralregierung Adoulas und der Separat- Tegierung Tschombes jeweils wessen Mann ist, wissen zwar alle halbwegs Eingeweihten. Offen aussprechen wird es kaum jemand. Denn die hier in einen erbarmungslosen wirtschaftlichen Einflußkampf verwickelten Westmächte sind ängstlich bemüht, die UNO-Fassade aufrechtzuerhalfen. Mit einer gewissen Meisterschaft besorgen dies die Briten, die Waffen und sogar Bomben an beide Parteien im Kongo liefern sollen. Die USA machen aus ihrer moralischen Sympathie für die von der UNO anerkannte Zentralregierung kein Hehl. Aber auch die Belgier und die Franzosen verbergen ihre Freundschaft für Katanga kaum noch; für die Bodenschätze zunächst und natürlich dann auch für die plötzlich entdeckte „Patrie" des zäh taktierenden Herrn Tsohombe. Der Ruf nach einer UNO-Treuhandschaft über das Gesamtgebiet ist logisch und mora- lich begreiflich. Aber wer ist wirklich die UNO, die das vormundschaffliche Wächteramt ausüben soll? Und vor allem: Wer bewacht die Wäohfer?

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