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An den Rand gesgrieben

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PRÜFSTEIN BUDGET. Auffallend sfill ist es dieses Jahr um das Budget 1964. In den meisten Politikerreden wurde das Thema gerade noch gestreift, wobei natürlich immer darauf hingewiesen wurde, daß das Budget einen der Prüfsteine für die Bereitschaft des anderen Partners, zusammenzuarbeiten, darstelle. Viel mehr wurde dazu nicht gesagt. Der naive Zeitungsleser könnte also glauben, die Sache geht ja dieses Jahr in Ordnung, die Unkenrufe der ungebefenen journalistischen Kritiker werden ja doch niemanden aus der Ruhe bringen! Die eiserne Ruhe der Politiker sei überhaupt ein gutes Zeichen! Es schadet also nicht, diese Ruhe, angesichts des drohenden Budgefdefizits von sieben Milliarden Schilling, beim richtigen Namen zu nennen: sie beruht auf einem gewissen Opportunismus, unter dem Modenamen „Taktik" besser bekannt, der zunächst allen „Wissenden" gelassenes Schweigen auferlegt. Die Volksparfei, sonst grund.- satzfreuer Anwalt des konjunkturgerechten Budgets, will offenbar ihre nervöse Koalifionsparfnerin schonen und schweigt, um nicht am Ende vielleicht wegen des Budgets erneut des Rechtsextremismus' bezichtigt zu werden. Sie hat zum Schweigen noch einen weiteren Grund: ihr bäuerlicher Flügel ist ebenfalls leicht aus der Fassung zu bringen. Warum sollte Piffermann erspart bleiben, hier einmal den ersten Schrift zu tun? Die Sozialisten erschöpften sich bisher meistens in der Erörterung von Fernzielen. Wie sich etwa der Wiener Vizebürgermeisfer Slavik eine Budgefpolitik der Zukunft vorstellt, wurde hinlänglich bekannt. Wie es dieses Jahr gemacht werden sollte, das heißt, welche konkrete Kürzungen und Abstriche gemacht werden sollen, darüber wollte man sich nicht zu früh äußern. Man überläßt dem „Taktgefühl" des Finanzministers die Entscheidung darüber, ob er das auf diese Weise übrigbleibende Defizit durch Steuererhebung oder durch Schuldenmachen aus dem Weg schaffen will. Er wird dann auf alle Fälle der „Schuldige" sein…

GESPENSTERBESCHWÖRUNG. Nach Wels und Semmering ist es an der Spitze etwas stiller geworden — vielleicht bereifet man größere Dinge vor, vielleicht ist es das nötige Kräffesammeln vor der Budgetschlacht. Um so schriller sind die Töne, die man aus den Niederungen hört: In der herbstlich gefärbten Landschaft Niederösterreichs waren „Rollkommandos” auf Lastwagen, mit Transparenten und Lautsprechern reichlich versehen, unterwegs, um Landeshauptmann Figl und seinem Begleiter, dem Landtagsabgeordneten Stangler, den Weg zu verstellen. Diese „Lasfaufofahrer unterwegs’ haben sich nicht gescheut, Altbundeskanzler Figl und neben ihm einen der am konstruktivsten arbeitenden jüngeren Politiker, den die Volkspartei aufzuweisen hat, anzupöbeln, denn, wie die sozialistische Presse nachher schrieb, letzterer sei ein „Exponent des scharfmacherischen Kurses in der Personalpolifik …" Das werden freilich die Schichtarbeiter, die, als die beiden Politiker das Werksgelände betraten, geschlossen die Arbeit niederlegten, genau gewußt haben! Man stünde vollkommen ratlos angesichts dieser Gespensterbeschwörung am hellichfen Tag, wüßte man nicht, daß die Löwelstraße wahrscheinlich dringend solche Spektakel braucht, um von dem propagandistischen Fiasko der Anfi-Klaus-Kam- pagne ihrer Parteiführung abzulenken. Sie häuft aber noch immer Fehler auf Fehler, denn den „Rechtsextremisten" oder „Volksdemokrafen" Figl wird ihr auch niemand abnehmen.

DIE SCHATZTAUCHER. Die Gruselfilmparodie um den Toplifzsee hat plötzlich ein tragisches Ende genommen. Ein Taucher, der von undurchsichtigen Geschäftsleuten engagiert worden war, auf dem Seegrund lagernde Gegenstände unbekannten Wertes zu bergen, ist nicht mehr an die Oberfläche gekommen. Das Ref- tungsseil scheint durchschnitten worden zu sein. Für die österreichischen Sicherheitsbehörden Anlaß, endlich selbst einzugreifen und dem Rummel ein Ende zu bereiten. In den nächsten Wochen sollen Taucher des Innenministeriums versuchen, das Geheimnis des Sees, das vielleicht keines ist, zu klären. Der versteckte steirische See hat eine dunkle Vergangenheit: Versuchsstation der

Kriegsmarine für neue Waffen, Lager für falsche britische Pfundnoten und deren Prägestöcke zu Kriegsende … Aber das scheint alles gar nicht so wichtig zu sein. In Kisten, die angeblich auf dem Grund des Sees liegen, sollen Dokumente aufbewahrf sein, deren Inhalt viele heute ehrenwerfe Bürger mit brauner Vergangenheit beunruhigt. Eine Gruppe, die ihre Drahtzieher in Südamerika hat, ist am Verschwinden des Inhaltes sehr interessiert. Die Öffentlichkeit aber begrüßt den Entschluß des Innenministeriums, dem Gespensferreigen um den See ein Ende zu bereiten. Zweifelhafte Artikelserien, Kriminalfilme und üble Geschäftemacher haben nun ausgespielf. Der Tod des Grazer Tauchers, achtzehn Jahre nach dem grausigen Ende des Reiches, ist noch unaufgeklärt.

DER GANZ KLEINE GRENZVERKEHR. Etwas spät, allein schon, was die Jahreszeit betrifft, entschloß sich die Prager Regierung, einen neuen „Versuch’ zu starten und die hermetisch abgeschlossene Grenze zwischen Österreich und der Tschechoslowakei bei Preßburg um einen kleinen Spalt zu öffnen. Man weiß, einsf gab es Sfraßenbahnverbindung zwischen Preßburg und Wien, man fuhr in die Oper, man besuchte gegenseitig Verwandte und Freunde. Diesmal wa-en es zunächst fast durchweg nur Wiener Journalisten, welche die Fahrt in östlicher Richtung am letzten Wochenende, zwischen „Stolperhaufen , Sfacheldrahf und Wachtturm wagten. Odenburg bemühte sich, im Sommer noch einige Attraktionen zu bieten. In Preßburg fehlte auch das. Die tschechischen Behörden wollen mit der Visumerleichterung „Erfahrungen sammeln’ hieß es. Hoffentlich fällt ihr „Experiment" mit der kleinen Freiheit günstig aus. Und sie bekommen schließlich Mut zu einem vorsichtigen weiteren Schrift.

EINE NEUE XRA BEGINNT. „Laßt doch mal den Dicken ran!" Dieser muntere deutsche Spruch, diesmal auf den neuen deutschen Bundeskanzler gemünzt, ging nach Jahren doch noch in Erfüllung: Professor Erhard übernahm die Führung der Regie- rungsgeschäffe und bewies gleich einleitend, daß er mit Umsicht und diplomatischem Takt zu operieren gedenkt, über die heiklen Fragen der Regierungsbildung sicherte bis zuletzt nichts Bestimmtes durch. Die Feierlichkeiten zur Verabschiedung des alten Kanzlers gingen inzwischen zu Ende. Kennedy, Macmillan, der österreichische Bundeskanzler und noch viele andere im In- und Ausland würdigten die Verdienste einer vierzehnjährigen Kanzlerschaft. Während der historischen Bundestagssitzung am Dienstag, bei der Bundes- taqspräsidenf Gersfenmaier und Adenauer selbst sprachen, verließ Adenauer die Regierunqsbank, um sich auf seinem Abgeordnetensitz in der ersten Reihe niederzulassen. „In hundert Jahren sturmbewegter deutscher Geschichte”, rief Gersfenmaier dem Scheidenden zu, „sind Sie der einzige, der unbesiegt und in Frieden von seinem Stuhl steigt."

BENBELLA MOBILISIERT. Algeriens Führer sieht sich nun, gar nicht so lange nach seinem triumohalen Einzug in Algier, einem Zweifrontenkrieg ausgesetzt, der seine ohnehin bereits erschütterte Position noch mehr ins Wanken bringt. Zu der Auseinandersetzung mit den Berbern, aus der bereits ein verifabler Bürgerkrieg aewörden ist, kommt nun noch ein Konflikt mit Marokko, der nichts mehr vom Charakter eines Grenzstreifes hat. Benbella hat die Generalmobil- machung angeordnet. Die marokka- nisch-alaerische Auseinandersetzung hat überhaupt bereits weltweite Ausmaße erreicht: Alaerien behauptet, daß die marokkanischen Luftlande- fruppen mit amerikanischen Transport- aeschwadern an die Einsafzorte geflogen wurden. Was nützt es. wenn Washington und Marokko sofort ein Dementi dieser unalaublichen Nachricht herausgaben? Benbella darf der Unterstützung jenes Blocks, der ihm die Waffen zur Ausrüstung seiner FLN-Armee geliefert hat. sicher sein, so daß — über Marokko und Algier hinaus — sich dieser Grenzkonflikt wieder einmal zu einer Kraftprobe zwischen den beiden welfbeherrschenden Machtblöcken entwickeln könnte.

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