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An den Rand geshrieben

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MOTIV DES LEBENS. Der Unterrichtsminister hatte sehr rasch Gelegenheit, seine beim Studium des sowjetischen Erziehungssystems gesammelten Erfahrungen mit den Auffassungen eines zuständigen Gremiums der westlichen Welt zu konfrontieren. Er nahm in Hamburg an einer Beratung der Erziehungsminister des freien Europas teil, die sich mit der Vereinheitlichung der Lehrbücher vor allem in Geschichte, Geographie und anderen geisteswissenschaftlich relevanten Gegenständen befaßte. Seine schlußfolgernden Erfahrungen aus beiden Begegnungen trug er zum Wochenende dem Lehrerbund des ÖAAB vor. Wir können verstehen, daß es ihn, der soeben erst die totale Indienstnahme des gesamten Erziehungswesens durch eine religionsähnliche Weltanschauung an Ort und Stelle erlebte, alarmieren mußte, als er bei den Beratungen in Hamburg dem Wort „Weltanschauung" nur andeutungsweise, dem Wort „Religion" überhaupt nicht begegnete. Und die drängende Unruhe, die ihn „Institutionen und nicht fortwährend Resolutionen und Dokumentationen" für Europa fordern ließ, teilt er mit vielen Menschen in unserem Lande. Fürs erste aber wird sich die Aktivität aber wohl wieder Österreich zuwenden müssen. Der Plan für die österreichische Jugend, der unter seiner Federführung durch die erste und damit zur Initiative berufene Regierungspartei ausgearbeitef wird, kann ein wirklicher Königsgedanke für das politische Leben werden, wenn er sich nicht — wie schon so oft — wieder auffasert und aufsplif- terf in eine verwirrende Detailfülle von Förderungs- und Hilfsmaßnahmen, sondern wenn er wirklich aus einem Guß bleibt und etwas von einem „neuen Motiv des Lebens" spüren läßt. Der Minister hat dieses

Wort gebraucht. Es wäre schade, wenn es ungehört verhallen und in der Mühle der hündischen und fraktionellen Ausschußfeilscherei Zu jenem Schrott vermahlen würde, der sich schon zu Bergen türmt.

ZEIT WIRD'S. Die Detonationen, die in diesen Tagen da und dort in Südtirol zu hören sind, können sich an Lautstärke nicht mit dem Artilleriefeuer von Laos oder dem anschwellenden Gefechtslärm von Kuba messen. Und unsere österreichischen Sorgen sind auf der Traktandenliste der UNO fast schon ans unterste Ende, in die Rubrik „Allfälliges" gerückt. Es wäre aber grundfalsch, wollte sich Österreich nun auf die „heilende Zeit” verlassen und das beliebte heimische Rezept des Erledigens durch Liegenlassen stillschweigend praktizieren. Daß man in Rom unter der schon fad werdenden Berufung auf ständige innere Schwierigkeiten eine solche Tendenz ermutigt, ist vom Standpunkt Italiens aus durchaus begreiflich. Aber etwas energischer könnte der Ballhausplafz, der ja immerhin den Julitermin, bis zu dem eine neue UNO-Tagesord- nung aufgestellt sein muß, in seinen Kalendern vermerkt hat, schon auf die Fortsetzung der Verhandlungen drängen. Das Hin- und Herziehen über Terminlücken wirkt auf die Öffentlichkeit wie eine biedermeierliebe Groteske. Die bestimmt auch nicht unterbeschäftigten Staatsmänner der Weltmächte sind imstande, ihre vielartigen Konferenzen in einen genau abgestimmten Plan zu bringen. Und die Herren Außenminister von Rom und Wien sollten das, wenn es ihnen wirklich ernst und dringend wäre, nicht zustande bringen? Man wird dies kaum glauben machen können. Was noch vor diesem Sommer, der eine neue Weggabelung der Südtirolpolitik mit sich bringen wird, vordringlich erwartet wird, ist nicht ein mit Indiskretionen und Dementis garnierter Notenkrieg aus der Metternich-Ära, sondern endlich eine Verhandlung, deren Ergebnis — wie immer es ausfallen möge — das Kokettieren mit immer neuen „Lostagen" beendet.

DER STILLE EUROPÄER. Daß sie einander gut verstanden haben — der siebenundachtzigjährige deutsche Kanzler und der kaum halb so alte amerikanische Präsident — wurde von allen Kommentatoren des nunmehr neunten Besuches Adenauers in den USA off — für professionell mißtrauische Beobachter fast zu oft — betont. Aber daß Adenauer diesmal in ein anderes Amerika fuhr als in das ihm seit den Tagen von Eisenhower und Dulles vertraute, war ihm bereits vor seinem Abflug durch den in Europa weilenden Dean Acheson klar gemacht worden. Wieder einmal verblüffte der „Alfersstarre" seine an Jahren jüngere Umgebung durch seine phänomenale Elastizität. Er DER KUBA-KONFLIKT. Die Lage in Kuba ist im Augenblick, da diese Zeilen in Druck gehen, so verworren, daß nur die großen Komplikationen registriert werden können. Wenn sich der Bürgerkrieg in die Länge zieht, sind von seifen Südamerikas, Rotchinas, der UdSSR heftige Attacken gegen die USA zu erwarten. Siegt Fidel Castro, dann bedeutet dies eine schwere weltpolitische Niederlage der USA, Südamerika kann in Brand geraten. Siegen die kubanischen Gegner Castros, werden die Vertreter des Ostblocks, aber auch afrikanischer uhd asiatischer Staaten dies als gefährlichen Rechtsbruch der internationalen Ordnung durch die USA an den Pranger stellen, und vielleicht zum Vorwand eigener Aktionen in Asien und gegenüber Formosa nehmen. In Kuba können sowohl Kennedy wie Chruschtschow viel an Gesicht verlieren, was wiederum weltpolitische Folgen haben kann. Vielleicht sucht Mac- Millan oder Nehru zu vermitteln. Was, und zwischen wem kann aber hier noch vermittelt werden?

nahm die Umrüsfungspläne der amerikanischen NATO-Planer ohne mit der Wimper zt zucken zur Kenntnis und vermied es taktvoll, auch nur leise in die Kassandrarufe mancher MilitęirppŲliker seines Landes einzustimmen, die sich eine wirksame Front ohne Atomwaffen in der vordersten (deutschen) Linie nithf vorstellen können. Der „Alte" weiß, daß das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen ist. Ihm genügte der demonstrativ betonte Wille Kennedys, die feste Haltung in der Berlin- und Deutschlandfrage fortzusetzen. Auffallend war die Schnelligkeit, mit der sich Adenauer vom Konzept de Gaulles, das ein politisches Superführungsgremium der NATO vorsah, distanzierte. Den eigentlichen Strauß über die Europapolitik möge Kennedy in Paris mit dem General selbst ausfechten, dürfte die Überlegung des deutschen Kanzlers gewesen sein. Je stiller sich Deutschland in solchen und ähnlichen Prestigefragen verhält, desto besser. Und den „sechsten Sinn” für gewisse atmosphärische Spannungen in der amerikanischen Luft dieses Frühlings hat der Mann vom Rhein ohne Zweifel.

*

ANGOLA BRENNT. Die portugiesische Regierung hat eine Luftbrücke eingerichtet, um Soldaten und Waffen nach Angola zu transportieren. Auf dem- Rückflug werden Frauen und Kinder nach Portugal evakuiert. Der Handstreich des Hauptmanns Galvao hat bekanntlich die ersten Unruhen ausgelöst. Jetzt engagiert sich zunehmend die revolutionäre Front in Afrika in Angola. Das „Jahr Afrikas’, wie 1960 genannt wurde, dehnt sich aus. Besorgt sehen zumal Spanien und Südafrika auf die in voller Entwicklung begriffenen Kämpfe. Ist der Brand in Angola das letzte Feuerzeichen, das die Afrikaner zum Endsturm gegen die letzten weißen Bastionen in Afrika aufruft? Das ist möglich, ja wahrscheinlich. Nicht übersehen dürfen bereits heute die innenpolitischen Rückwirkungen auf Portugal und Spanien werden, zwei Regime, die sich einem gewissen Druck Washingtons und einer steigenden innenpolitischen Unruhe ausgesetzt fühlen. Die Pyrenäenhalbinsel selbst wird also bereits direkt durch die begonnenen Kämpfe um die letzten Reste des hispanischen Kolonialreiches betroffen …

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