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An den Rand geshriefer

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IM SCHATTEN DER OPER. Die neuerlich offen ausgebrochene Führungskrise in der Staatsoper überschattet leider die ebenfalls begonnene Budgetdebatte des Parlaments: die

Schatten auf der Ringstrafje reichen eben weit. Und das ist schade. Denn eine Budgetdebatte kommt einem alljährlich wiederkehrenden Kurs in Staafsbürgerschattskunde gleich, und ist zugleich auch der Gradmesser verschiedener wichtiger Dinge, die man selten so klar erkennen kann wie in diesen Herbslwochen. Weiter könnte ein erhöhtes Publikurrfsinteresse die Mandatare anspornen, sich wirklich eingehend mit der Materie zu beschäftigen und zur Sache zu reden. Leider Jcann man sich schon heute vorstellen, daß die Debatte etwa über das Unterrichtsbudget mehr oder weniger um die Souffleurkrise kreisen wird, es werden ferner bei den anderen Ressorten der Toplitzsee, die Habsburger-Frage und eventuell noch die Haselgruber-Affäre in die Diskussion geworfen. Oder ist das zu sarkastisch gemeint? Im Ernst: eine starke Publizität der Budgetdebatte könnte in vielem Klarheit bringen und jeder Demagogie mit Behauptungen und Zahlen den Boden entziehen. Man würde dann zum Beispiel sehen, daß der übermäßige steuerliche Druck, der auf der Wirtschaft lastet, keineswegs dazu ausreicht, ausreichen kann, die immer geringer werdende Fähigkeit der Wirtschaft, zu investieren, durch immer höhere Investitionstätigkeit des Staates zu ersetzen. Vollends irreführend ist es aber, wenn man — und dies gerade jetzt! — das „sk(p- vische Festhalten an der klassischen Formel des ausgeglichenen Budgets" anprangert, als ob das bei uns überhaupt noch zur Frage stünde. Es gibt auch eine Inflation der Worte, besonders bei einer Budgetdebatte. Und dieser Inflation muß man mit ebensolcher Sorgfalt, Fachkenntnis und Offenheit vorbeugend begegnen können wie jener anderen.

SANDKORN. Wie man erfährt, werden die österreichischen Steuerzahler im kommenden Jahr an Steuern und Abgaben mehr als 72 Milliarden Schilling entrichten, mehr als ein Drittel des Bruttonationalproduktes (vor zehn, ja noch vor drei bis vier Jahren waren es noch 30 Prozent). Der Staat nimmt also immer mehr, denn er muß auch zahlen: zum Beispiel Subventionen (4,5 Milliarden, vor drei Jahren erst noch drei Milliarden). Aber der Staat hat auch immer mehr Investitionen zu finanzieren während der Private zum Großteil nur noch konsumiert, neue Werte schafft er kaum noch, denn dazu kommt er ja gar nicht. Ergänzt wird dieses Bild noch durch die Tatsache, daß immer weniger Neigung besteht, dem Staat bei der Tätigkeit, die er uns abnahm, auf die Finger zu schauen. So wird der Staatsbürger zum Sandkorn — unter der Lupe, die „nur" auf die Budgetzahlen gerichtet sind.

GEDENKEN UND, MAHNUNG. Der

Abend des letzten Oktobertages sah in Wien ein eindrucksvolles Totengedenken. Zwölf Organisationen ehemaliger Widerstandskämpfer und KZ-Häftlinge verschiedener politischer Couleurs hatten zu einem Schweigemarsch aufgerufen. Toten- ged’enken und Mahnung an die Lebenden. Ihrem Ruf waren aber nicht nur ihre Mitglieder gefolgt, sondern auch viele andere Österreicher, denen jener Patriotismus auf Gummisohlen nicht gefallen will, der heute gerne zum „guten” politischen Ton gehört. Vor dem äußeren Burgtor, auf dem sich bekanntlich die Gedächtnistafel für die im Dritten Reich ermordeten Österreicher befindet, wurde in Anwesenheit von Altbundeskanzler Landeshauptmann Ingenieur Figl und Staatssekretär Doktor Steiner eine Erklärung verlesen. In ihr wurde nicht nur der Regierung als Verpflichtung ans Herz gelegt, das Opfer aller für Österreich in bitterer Zeit Gestorbener jederzeit zu ehren. Es wurde auch gewarnt, dem Deutschnationalismus in jeder Form wieder Spielraum zu geben. Wer Ohren hatte, zu hören, mußte darin vor allem eine Kampfansage gegen die vield’iskutierte rotblaue Koalition erblicken, aber auch eine Mahnung an alle maßgebenden politischen Kräfte, wieder einen profilierteren österreichischen Kurs zu steuern.

SIEBEN JAHRE. Längst ist es nicht mehr üblich, die Jahiestage der ungarischen Revolution von 1956 zu zählen. Nun weiß der Chronist manchmal auch die Ereignislosigkeit, das stille Dasein in einem Land zu schätzen, bei dem sich die Reporter der Nachrichtenagenturen verlängerte Urlaube leisten können. Ungarn ist heute so ein stilles Land. Die vielberufene Liberalisierung kam sozusagen auf leiser, Sohlen. Man konnte bei allen Lockerungsübungen wohl mit Recht sagen: zuwenig. Aber alle zusammen ergaben dann doch ein verändertes Klima, zunächst im Alltag, wohl aber dann auch im Verhältnis Staat und Kirche, auf kulturellem Gebiet und vor allem, was die Bewegungsfreiheit des einzelnen betrifft (Kontakte mit dem Ausland). Wie das Haus beschaffen sein soll, steht fest, sagte kürzlich ein bekannter ungarischer Gelehrter einem westlichen Besucher gegenüber, aber wie dieses Haus eingerichtet wird, hängt heute mehr als noch vor einigen Jahren von uns allen ab. Von uns allen: das bedeutet nicht mehr nur die kommunistische Minderheit, die ja nach wie vor alle Schlüsselpositionen besetzt hält, sondern, natürlich mehr indirekt als direkt, auch die „anderen", die Mehrheit, Katholiken, Liberale, die „freischwebende” Intelligenz — der man heute eben schon wieder anmerkt, daß sie frei schwebt —, die Bauern, die Millionen von Arbeitern und Angestellten, die man freilich auch heute noch nicht viel fragt, ob sie wirklich den vom Regime propagierten Sozialismus aufbauen oder vielleicht nur menschenwürdig leben wollen. Vieles wird nicht gefragt und nicht beantwortet. Trotzdem wissen heute schon viele Leute in Ungarn, was das Jahr 1956 — so ganz fern von der offiziellen Lesart — für sie bedeutet hat. v

WAHLEN MIT UNBEKANNTEN FOLGEN. Die am letzten Sonntag stattgefundenen Wahlen in Griechenland haben mit einem Sieg der Zentrumsopposition und mit einer Niederlage des langjährigen Ministerpräsidenten Karamanlis geendet. Seine Partei, die seit 1956 führende Nationalradikale Union, blieb der Zentrumsunion knapp unterlegen, ohne daß die letztere die absolute Mehrheit erreicht hätte. Es ist dies also zunächst ein Ergebnis, das dem neueinge- führten Proporzwahlrecht entspricht, das keine stabilen Mehrheitsverßälf- nisse zuläßt. Der königliche Hof hat diesmal verhindert, daß Karamanlis die Wahlen noch im Sommer mit dem alten Wahlgesetz schlägt. Und er erlebt jetzt den vollständigen Sieg über Karamanlis, der sich der allein von dynastischen Interessen diktierten Politik des Hofes zuletzt anläßlich der geplanten Englandreise des Königspaares widersefzte. Karamanlis zieht sich jetzt aus der Politik zurück, und nach ihm bleibt die Lage zunächst unklar, durch die unsicheren Mehrheifsverhältnisse von parlamentarischen Krisen und wohl auch von deren wirtschaftlichen Rückwirkungen bedroht. Die ersten Anzeichen dafür sind nicht zu übersehen.

UND ES WIRD NOCH IMMER ZU- RUCKGESCHOSSEN. Der gute Kaiser Harle Selassie hat sich längst auf die lange Reise nach Europa begeben und verblieb mit den streitenden Wüstensöhnen nur noch gelegentlich telephonisch in Verbindung; die Feuereinstellung in der westlichen Sahara blieb aber zunächst nur ein auf Papier geschriebener Wunsch. Sowohl aus Algier wie auch aus Rabat wurde gemeldet, daß die andere Seite mit dem Angriff begonnen habe. Die gegenteilige Meldung wird auf beiden Seifen entschieden dementiert. Damit scheinf das Übereinkommen von Bamako, wonach der seit Wochen andauernde Wüstenkrieg in der Nacht vom 1. auf den 2. November einzustellen sei, verletzt worden zu sein, ehe es noch eigentlich wirksam wurde. Die aus Offizieren der beiden streitenden Partner, ferner Äthiopiens und Malis zusammengesetzte Kommission sollte eine neutrale Zone an der Grenze festlegen. Beobachter aus den beiden letztgenannten Staaten sollten die Durchführung des Waffenstillstandes überwachen. Alles weitere — Treffen der Außenminister der „Afrikanischen Einheit”, Schiedsgericht — käme erst nachher. Und darin liegt ‘ zugleich auch die Schwäche des Abkommens von Bamako: es verlagerte die Auseinandersetzung auf die diplomatische Ebene, aber klärte von den strittigen Fragen dieses Grenzstreites überhaupt nichts. So blieb die ganze Spannung in der Luft, die Propaganda läuft weiter auf Hochtouren.

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