6581320-1951_19_08.jpg
Digital In Arbeit

An der Wende der Zeit

Werbung
Werbung
Werbung

„Wie Im Traum wanderten wir späten Nachkommen durch diese Welt, angerührt von dem lebendigen Geist der Nation, zu der wir gehörten und über der schon damals die fernen Schatten des Unheils hingen, das sie wieder einmal in den Abgrund neuer Anfänge zurückschleudern sollte.“ Mit diesem Gefühl, diesen Gedanken durchwandert der Autor, von dem Freund Will Vesper geführt, das Schloß Siebeneichen der Familie Miltitz, deren Geschichte mit den Namen Cranach, Goethe, Novalis und Fichte verknüpft ist. Ein ähnliches Gefühl hat der Leser dieser Lebenserinnerungen, obwohl sie bis an die Schwelle der Gegenwart reichen. Denn es ist eine andere, versunkene, geistigere Welt, die Fechter beschwört, mit dem Wunsche, den Nachkommen Nahrung und Bereicherung zu spenden. In dieser Welt war Paul Fechter, der Dichter und Schriftsteller, der Kulturkritiker und Journalist, der Freund und Berater unzähliger Künstler, wirklich zu Hause und hatte Anteil an ihrem Schaffen. Fechter ist Ostpreuße und hat den größten Teil seines Lebens in Berlin verbracht, und es ist eine in südlicheren Breiten wenig bekannte Welt, deren Bilder und Gestalten hier nachgezeichnet werden. Dieser . spezifisch nördliche und ostdeutsche Charakter äußert sich nicht nur im Fehlen fast aller Namen, die um die Jahrhunderwende und vor 1938 das geistige Leben Österreichs bestimmt haben, sondern auch in der ganz anderen Tonart der Darstellung, wie wir sie aus den Memoirenwerken des süddeutschen Raumes kennen: in einer gewissen Schärfe der Zeichnung und Direktheit der Aussage, vielleicht auch in '-der größeren Exaktheit der Darstellung, die mit einem gewissen Mangel an Atmosphäre erkauft ist. — Trotzdem der Verfasser nur von Menschen berichtet, „auf deren gestaltetes Bild der Leser ein Anrecht hat, auch wenn ihm der eine oder andere im Reigen seiner Tage kaum begegnet ist“, umfaßt das Namensverzeichnis am Ende des stattlichen Bandes sechseinhalb zweispaltige Seiten. Nennen wir nur die bekanntesten, um eine ungefähre Vorstellung vom Reichtum dieses Lebens — und dieses Erinnerungsbuches — zu geben: Ernst Barlach, Rudolf Binding, Albert Einstein, Heinrich George, Hans Grimm, Theodor Haecker, Ludwig Hoffmann, Monty Jakobs, Fritz Klein (Chefredakteur der „DAZ“ und Mitherausgeber der „Deutschen Zukunft“), Ludwig Justi (Schöpfer der Modernen Galerie im Kronprinzenpalais), Sabine Lepsius (die Freundin und Vertraute Stefan Georges), Karl Schettler, Georg Schüne-mann, Eduard Spranger, Hugo Stinnes, die Brüder Ullstein, Frank Wedekind ... Daneben finden 6ich ausführliche Porträts führender Geister von der Universität, großer Schauspielerinnen, Männer des Journalismus und des politischen Lebens: eine fast unübersehbare, aber klug gestaltete Fülle, an der — wenn auch nur als Zaungast und für wenige Stunden — teilzuhaben Vergnügen und Bereicherung bedeutet. Als Glanzstücke der Darstellung seien hervorgehoben: die Schilderung einer Rede von Liebknecht in der Berliner Hasenheide im Dezember 1918 und das Porträt der genialen und unglücklichen, von der Gestapo umgebrachten Maskentänzerm Oda Schottmülier. — Im ganzen ein Buch, das fesselt, anregt und dem Leser einen geistigen Auftrieb gibt.

Kritische Essays zur europäischen Literatur.

Von Ernst Robert C u r t i u s. A.-Francke-Verlag, Bern 1950. 435 Seiten.

Auf einen Virgil-Aufsatz, der Bekenntnischarakter hat und über die Ge6chichts- und Bildungsauffassung des Verfassers wertvolle Aufschlüsse gibt, folgen, von Goethe ausgehend und Hugo von Hofmannsthal mit besonderer Wärme rühmend, Arbeiten über bedeutende Autoren des 19. (Balzac, F. Schlegel, Emerson) und des 20. Jahrhunderts: die Dichter George, Hesse, Unamuno, Eliot, Cocteau, die Philosophen Ortega y Gasset und Toyn-bee, um nur die wichtigsten zu nennen. Nicht der Romanitas als solcher sind also diese Aufsätze gewidmet, obwohl dieses eigentliche Fachgebiet des Verfassers sich mitunter deutlich zu Worte meldet. Doch ist dieses spezielle Fachgebiet eben nur ein Bestandteil eines umfassenden literarischen „Welt'bildes, das 6ich übrigens auch vielfach mit dem entsprechenden linguistischen Rüstzeug ausdrückt: ein Weltbild, dem Literatur mit Selbstverständlichkeit Lebensraum und Lebensmacht und der Dichter nicht das Originalgenie ist, das Persönliches kündet und 60 andern „zum Erlebnis“ wird, sondern Sprecher für höhere Ordnungen, unter denen, im Sinn europäischer Verantwortung und Kontinuität, die politische den vornehmsten Platz einnimmt. Freilich iet dieser Begriff des Politischen hier nicht eng zu fassen, er umgreift große Zeiten und Räume, und die soziologische Komponente ist dem aristokratischen Auswahlprinzip Wohl erst in zweiter Linie interessant. Dieser hohe Anspruch bedingt auch die beiden hervorstechendsten Züge in der Stellungnahme: dankbare, bewundernde Anerkennung, die selbst dichterische Töne findet (Balzac, Emerson) und eine kritische Analyse von heiterer Kühle und gelassenem Abstand (Hesse). Erinnerungen an persönliche Begegnungen, zum Beispiel mit dem rheinhessisch sprechenden Stefan George („Die junge Leit wolle heit alleweil so gescheit sein“ — der gescheite junge Mann ist der feierliche Friedrich Gundolf!), nehmen sich neben der knapp und gedrängt dargebotenen Gelehrsamkeit (etwa m der Deutung Eliots) ebenso reizvoll aus wie die ungestüme Neugier gegenüber den dadaistischen Versuchen des jungen Cocteau neben der festlichen Würdigung Goethes oder Hofmannsthals. Die Lektüre dieses Buches ist allein schon wegen seiner sprachlichen Meisterschaft ein Genuß. Doch ist es außerdem eine literarische Fundgrube und enthält nicht nur den Schlüssel zu manchem dichterischen Werk, sondern auch zum Handwerk des Kritikers als solchem.

Die Juliseben Alpen Im Bilde. Von Doktor Julius Kugy. 194 ganzseitige Bildtafeln mit ebensoviel Seiten. Begleittext. Leykam-Ver-lag, Graz.

Mit einem Gefühl, aus Wehmut und Bewunderung gemischt, betrachtet der Leser, der noch in der selbstverständlichen Freizügigkeit der Donaumonarchie aufgewachsen ist, diese herrlichen Bilder. Diese wunderbaren Zinnen und Grate, Seen und Bergwälder, Wildwasser und Talschluchten — sie lagen einmal am ungeteilten Schienenstrang Salzburg—Triest. Ohne Reisepaß, vielfältige Visa und Devisenbewilligungen waren sie den Bewohnern eines Raumes zugänglich, der nun auf sieben Staaten aufgeteilt ist, die sich, teilweise noch heute, in einer Verleugnung natürlicher Nachbarschaften gefallen. Vielleicht ist dieser Leser einmal selbst als Soldat am Km oder am Rombon gestanden, hat an einem guten Tage im Wocheiner See gebadet oder die wechselnden Farben des schnellfließenden Isonzo betrachtet, der auf seinem kurzen Wege zum Meer damals soviel Blut getrunken hat. —

Die Julischen Alpen waren sehr lange ein Stiefkind der mitteleuropäischen Touristik. Bis zur Erbauung der Wocheinerbahn verkehrstechnisch ein wenig abseits gelegen, Wegen ihres Mangels an komfortablen Unterkünften dem großen Touristenstrom zu beschwerlich, sind sie wohl eben dadurch länger als andere Alpenstriche von einer nivellierenden Fremdenverkehrsindustrie verschont geblieben. Das sagenumwobene Reich des Zlato-rog hat sich dadurch jedenfalls den ganzen romantischen Zauber bewahren können, den nur „naturbelassene“ Naturschönheit ausstrahlt. Der König der Julier, Triglav, der vielzackige Mangart, der mächtige Monte Kanin, die „säulengetragene Götterburg* Skrlatica (um nur ganz wenige zu nennen), enthüllen in den erlesenen Aufnahmen dieses Werkes ihre ganze seltsame und eigenartige Schönheit. Ein hoher Reiz des Buches liedt in der feinen Abstimmung der sprachlich und stimmungsgemäß gleich hervorragenden Texte mit den Bildern, die sie erläutern. Der große Naturfreund und Bergsteiger Dr. Kugy hat uns mit diesem prachtvollen Werk, dessen Neuauflage der Verlag mit größtem Geschmack betreut hat, eines seiner wertvollsten Vermächtnisse hinterlassen, Ein Wunsch: Die Beigabe einer Orientierungskarte, die der Verlag in Erwägung gezogen hatte, wäre für viele Leset wohl doch nützlich gewesen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung