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An einem Sommertag

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Ich erinnere mich eines Sonntagnachmittags, als mein Vater mich — ich mochte ungefähr zehn Jahre gewesen sein — bei der Hand nahm und wir in den Wald gingen, um die Vögel singen zu hören. Wir winkten der Mutter Lebewohl, die daheim blieb. Die Sonne schien strahlend und warm. Wir waren an den Wald und die Tiere darin gewöhnt, also machten wir kein Aufhebens davon. Es war nur eben ein Sonntagnachmittag. Wir gingen den Schienenstrang entlang, wo andere Leute nicht gehen dürfen, aber Vater gehörte zur Eisenbahn und hatte ein Recht dazu.

Auf diesem Weg kamen wir unmittelbar in den Wald und brauchten keinen Umweg zu machen. Es war so ein anmutiger Duft überall. Der moosige Grund dampfte ein wenig, weil die Sonne daraufschien. Ueberall war Leben und Lärm. Hummeln flogen aus ihren Löchern. Mücken summten in der Luft, wo es dunstig war, die Vögel schossen aus dem Gebüsch hervor, um sie zu fangen, und tauchten wieder darin unter. Plötzlich kam ein Zug dahergebraust, und wir mußten die Böschung hinuntersteigen. Vater begrüßte den Lokomotivführer mit zwei an seinen Sonntagshut gelegten Fingern; der Lokomotivführer dankte und winkte mit der Hand. Als wir unseren Weg auf den Schwellen fortsetzten, die im Sonnenglast Teer ausschwitzten, war die Luft erfüllt von einem Geruch von Maschinenöl und Mandelblüten, Teer und Heidekraut.

Es war ein herrlicher Tag. Der Himmel war klar. Nicht eine Wolke war zu sehen. Nach einer Weile kamen wir zu einem Haferfeld auf der rechten Seite des Dammes, das ein Bauer, den wir kannten, bestellt hatte. Der Hafer war dicht und hoch gewachsen. Vater schaute ihn mit Kennerblick an, und ich merkte, daß er befriedigt war. Ich verstand nicht viel von derlei Dingen, denn ich war i.i der Stadt geboren. Dann kamen wir zu der Brücke über den Bach, der meistens nicht viel Wasser führte, jetzt aber schäumte er. Von dort war es nicht weit zu dem Häuschen des Schrankenwärters, das ganz im Grūren verborgen lag. Wir kehrten ein, um einen Besuch zu machen. Wir besichtigten die Schweine, die Hühner und die Obst bäume, die schon Früchte angesetzt hatten, und dann gingen wir weiter zum Fluß, denn dort war es hübscher als andernorts. Es war nicht mehr weit bis zur nächsten Station, aber wir gingen nicht dorthin. Vater überzeugte sich nur eben, daß die Verkehrszeichen richtig gestellt waren. Er dachte an alles.

Es begann dunkel zu werden. Der Wald war verwandelt. Wir beeilten uns. Vielleicht wurde Mutter ängstlich und wartete mit dem Abendessen. Sie fürchtete immer, es könne etwas passieren, wenn auch nie dergleichen eintrat. Alles war genau so, wie es sein sollte. Es wurde immer dunkler, die Bäume standen seltsam da und lauschten auf das Geräusch unserer Schritte, als wüßten sie nicht, wer wir sind. Unter einem von ihnen leuchtete ein Glühwürmchen. Es lag dort unten im Dunkeln und starrte uns an. Ich nahm Vater fester bei der Hand, aber er schien das fremdartige Licht nicht zu bemerken; er ging einfach weiter. Es war ganz dunkel, als wir zu der Brücke kamen. Der Fluß brauste unter uns, als wollte er uns verschlingen, und der Boden schien sich unter uns aufzutun. Wir gingen vorsichtig auf den Schwellen weiter und hielten uns fest bei der Hand, um nicht zu fallen. Ich dachte, Vater würde mich hinübertragen, doch er sagte nichts davon. Ich glaubte, er wollte, daß ich so alt sei wie er. Vater war so ruhig in der Dunkelheit, fr ging mit gleichmäßigeh 'Schritten, ohne zii IpiSeehen. Erdachte seine eigehen GedänkgÄPficli konnte nicht begreifen, wie er so ruhig sein konnte. Ich sah erschrocken um mich. Es war alles so unheimlich. Nichts war wirklich, nichts natürlich, alles schien ein Geheimnis. Ich schmiegte mich enger an Vater an und flüsterte: „Warum ist es so gruselig, wenn es dunkel ist?“

„Nein, Kind, es ist nicht gruselig“, sagte er und packte fester meine Hand.

„O doch, Vater!“

„Nein, du mußt so etwas nicht denken. Wir wissen, daß es einen Gott gibt.“

Ich fühlte mich so allein, so verlassen. Sonderbar, daß nur ich mich fürchtete, und Vater nicht. Sonderbar, daß wir nicht das gleiche dabei empfanden. Der Gedanke an Gott gab einem auch ein gruseliges Gefühl. Es war gruselig, zu denken, daß Gott überhaupt hier in der Dunkelheit war, dort drunten, unter den Bäumen und in den Telephonmasten, die so summten, daß Gott vermutlich überall war. Und trotzdem konnte man Ihn nie sehen.

Schweigend gingen wir weiter. Mein Herz war verkrampft, als sei die Finsternis eingedrungen und laste darauf. Dann, als wir an eine Biegung kamen, hörten wir plötzlich einen Lärm hinter uns. Wir wurden aus unseren Gedanken auf geschreckt. Vater zerrte mich den Damm hinunter und hielt mich umschlungen, und ein Zug raste vorüber, ein schwarzer Zug. Die Lichter waren in allen Wagen ausgelöscht, als er an uns vorbeisauste. Was konnte das sein? Jetzt war kein Zug fällig. Wir starrten ihm erschrocken nach. Der Ofenschlund in der großen Lokomotive, in den die Kohlen hineingeschaufelt wurden, röhrte, und Funken flogen in die Nacht hinaus. Es war schauerlich. Am ganzen Leibe zitterte ich. Das hatte mir gegolten, mir zur-Warnung. Ich erriet, was es bedeutete. Es war der Schrecken, der mich erwartete, all das Unbekannte; alles, von dem Vater nichts wußte und vor dem er mich nicht schützen konnte. Es war die Welt, wie sie für mich sein würde, und das seltsame Leben, das ich leben mußte; nicht das meines Vaters, in dem jedermann bekannt und vertrauenswürdig war. Es war nicht eine wirkliche Welt oder ein wirkliches Leben. Es stürmte nur eben brennend in die Dunkelheit, die kein Ende hatte . ..

Berechtigte Uebertragung aus dem Schwedischen von H. B. 'Wagenseil

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