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An Österreichs Arbeiter

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Wer je, verbannt, in fremdem Land gedarbt,

Sich sehnend nach der Heimat, die verwehrt war,

Weiß mehr als die zu Hause Gebliebenen,

Was ein Mann fühlen muß, dem, heimzukehren,

Das eig’ne Volk versagt. Warum? Weil er Entstammt dem Erzhaus, das sechshundert Jahre Über uns herrschte und uns gleichwohl diente;

Dem wir verdanken, was wir Fremden gern Mit Stolz und Ehrfurcht zeigen; aber wenn wir Gerecht sind, dürfen wir des Leides nicht Vergessen, das uns Habsburg auch bereitet,

Nicht nur durch Kriege. Doch empfingen wir Nicht Leid von allem, was uns hier begegnet?

Nicht von den Eltern selbst, von den Geschwistern? Die Freundschaft — hat sie uns nie weh getan?

Und nicht die Liebe? Grenzt sie nicht sogar

Oft an den Tod? War’ das ein Grund, wem immer

Die Rückkehr zu verweigern in sein Land?

Des letzten Kaisers Sohn zu sein —, das sollte Ein Unrecht bleiben, das er büßen muß?

Was hat er uns getan? An keinem Krieg Trägt er die Schuld noch irgend einer Unbill.

Wer weist ihm auch nur die geringste nach?

Und wen ergriff es nicht, zu lesen, daß Er heimlich durch Tirol gefahren ist,

Zum erstenmal das schöne Land zu seh’n Und schneller als der Inn es zu verlassen?

Werkleute Österreichs, auch euch verdanken

Wir viel, nicht bloß den Kaisern und den Künstlern.

Denn eurer namenlosen Ahnen Hände

Haben das mitgeschaffen, was wir rühmen.

Die Wälder haben sie gerodet, fleißig

Das Korn gebaut, den Wein gepflanzt, die Wasser,

Die aus den Alpen stürzen, schwer bezwungen.

Die Städte haben sie errichtet, die

Wir so sehr lieben: Salzburg, Innsbruck, Wien.

Sankt Stephans Dom stieg auf aus euren Händen. Herrliche Kirchen, Burgen und Paläste,

Verwirklicht habt ihr sie nach großen Plänen.

Arbeiter, nicht allein den Kaisern oder Den Adelsherren, den Erzbischöfen Habt ihr gedient: uns allen auch, und gerne Hat eure Treue Werk um Werk vollbracht.

Drum glaub’ ich nicht, ihr würdet euch empören,

Wenn einer, der gleich euch als Österreicher Geboren wurde, heim will in sein Land,

Nicht, um zu herrschen, noch das Wort zu führen In der Parteien Zwist (weil Unruh’ leicht Das Volk verwirren mag) —, nein, sondern nur,

Um hier zu wohnen und zu Haus’ zu sein.

Der dieses schreibt, hat selber lange Jahre Entbehrt die Heimat. Deshalb wagt er es,

An euch das Wort zu richten, das Versöhnung Erbittet für den Mann, der so wie wir Österreich über alle Länder liebt,

Und dem wir endlich Frieden gönnen sollen.

Der Senior der österreichischen Dichter, Felix Braun, wurde am 4. November 1885 in Wien geboren, wo er auch zur Schule ging und an der Universität Wien Kunstwissenschaft studierte. Ab 1928 war er zehn Jahre lang Dozent für deutschsprachige Literatur an der Universität in Palermo, hierauf kurze Zeit an der Universität Padua. Die Jahre 1939 bis 1951 verbrachte er in der Emigration in England, wo er ebenfalls Dozent für Literatur und Kunstgeschichte war. 1951 kehrte er in seine Heimatstadt Wien zurück, wo er seither lebt. Bereits 1947 erhielt Felix Braun den Preis der Stadt Wien, 1951 den österreichischen Staatspreis für Literatur, 1955 den Ehrenring der Stadt Wien und die Stifter-Medaille des Bundesministeriums für Unterricht, 1965 wurde ihm der Grillparzer-Preis verliehen. Die erste Veröffentlichung in Buchform war ein Band Gedichte, 1909. Zu den bekanntesten Werken Felix Brauns zählen das Drama „Tanta- los“, 1917, der Roman „Agnes Altkirchner“, 1927, dessen Neufassung 30 Jahre später unter dem Titel „Herbst des Reiches“ erschien, 1948 veröffentlichte er den Roman „Der Stachel in der Seele“, 1949 die Autobiographie „Das Licht der Welt“, 1952 eine Folge von österreichischen Essays mit dem Titel „Das musische Land“, 1955 und 1960 die ausgewählten Dramen (1. und 2. Band). Während des Jahres 1965 erschienen die Aufsätze „Anrufe des Geistes“ und die Erzählungen mit dem Titel „Das weltliche Kloster“. Vor kurzem legte der Dichter unter dem Titel „Das Nelkenbeet“ seine späten Gedichte vor. H. A. F.

die das Schicksal Israels beweint und besingt. Jemand sagte, daß Nelly Sachs „die Kraft zugewachsen, das Böse im Gedicht zu melden, ohne daß ihr dabei das Wort selbst böse geworden wäre“.

Ich weiß nicht, ob Nelly Sachs am besten die Verfolgung, die Endlösung, die Vernichtung in die Dichtung transponiert. Möglich, daß es Bessere gibt, möglich, daß die Besten erst kommen werden. Ich fühle aber eines: die Gedichte Sachs’ sind wie eine düstere Musik, die aus der Tiefe der Judengräber emporsteigt.

Als Jude freue ich mich, daß der Nobelpreis Juden zugesprochen wurde. Fast hätte ich „uns zuerkannt wurde“ geschrieben. Denn wenn einem Schreibenden etwas mißlungen i'st, so ist er der Schuldige; wenn es ihm aber gelingt, so sind wir alle, die durch irgendwelche Gemeinschaft mit ihm verbunden sind, Mitbeteiligte des Erfolges. Bei den Beschlüssen der Schwedischen Akademie steigt in den letzten Jahren immer deutlicher der politische Schaum auf. Ich erwähne hier nur den in Rußland in Ungnade geratenen Boris Pasternak, und wieder als Gegengeste: den in der Sonne der Gnade sich wärmenden Michail Scholochow. Diesem fast orthodoxen Kommunisten folgt der fast orthodoxe

Jude Agnon. Ich würde mich nicht wundern, wenn in der nahen Zukunft der Preis einem Araber zuerkannt wird. Ich hätte auch nichts dagegen — unter der Bedingung, daß der Araber außer dem, daß er Araber ist, auch andere Voraussetzungen für einen Literaturnobelpreis mitbringt.

Gemeinsam mit Agnon hat den Preis Nelly Sachs bekommen. Und wie paradox es auch klingen mag: gemeinsam mit den Juden haben den Preis auch die Deutschen bekommen.

Für uns ist diese Auszeichnung besonders wichtig. Bestimmt wird ihre Wirkung nicht so langfristig sein, wie die der Judenerklärung des Konzils. Trotzdem würde ich sie, wenn es sich um erfreuliche Ereignisse der letzten Jahre handelt, unmittelbar nach der Erklärung stellen. Ich bereue nur, daß der Nobelpreis den Ausgezeichneten den Weg zum Leser erst ebnen muß. Angenehmer wäre es, wenn wir auch heute so, wie vor Hitler, Schriftsteller stellen könnten, die diesen Weg bereits gefunden haben.

Vom Autor dieses Artikels Dr. Alexander Charim ist vor kurzem in den vom Europa-Verlag herausgegebenen Monographien zur Zeitgeschichte ein schmales, aber überaus wichtiges und lesenswertes Büchlein erschienen. Es führt den Titel „Die toten Gemeinden" und enthält sechs Reportagen über vernichtete jüdische Kulturzentren im Raum der ehemaligen Donaumonarchie. Einige davon wurden auch in der „Furche" veröffentlicht.

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