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Ingeborg Bachmanns "Kritische Schriften" in einer sorgfältig editierten Ausgabe.

Ingeborg Bachmann war dreiunddreißig Jahre alt, als sie 1959 den Hörspielpreis der Kriegsblinden erhielt und im Herbst an der Frankfurter Universität ihre Poetik-Vorlesungen begann, in denen sie die poetologischen Voraussetzungen ihres eigenen Schreibens und ihren literarischen Standort im Kontext der Literatur der Moderne zu bestimmen suchte. Poesie sollte wie Brot sein, formulierte sie in ihrer ersten Vorlesung: "Und diese Poesie wird scharf von Erkenntnis und bitter von Sehnsucht sein müssen, um an den Schlaf der Menschen rühren zu können." Genau diesem Anspruch versuchte die Dichterin in ihrem Werk, in ihren Gedichten, Erzählungen, Essays, Hörspielen und Romanen gerecht zu werden. Und wie sie ihr literarisches Selbstverständnis in der Auseinandersetzung mit philosophischen, politischen und literarischen Diskursen entwickelt, ist in der nun erstmals vorliegenden Ausgabe der "Kritischen Schriften" nachzulesen.

Sprachkritik

Die vorliegende Edition enthält neben den zu Lebzeiten und in der ersten Werkausgabe erschienenen theoretischen und essayistischen Schriften auch verstreut publizierte Texte und darüber hinaus erstmals zwölf Essays, Fragmente und Entwürfe zu philosophischen, literarischen und sprachkritischen Themen aus allen Schaffensperioden, die bisher nur im Nachlass zugänglich waren. Dazu zählen unter anderem Fragmente zum "Versuch einer Autobiographie" und fünf hochinteressante Entwürfe zu einer politischen Sprachkritik, die höchstwahrscheinlich Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre entstanden sind. Sie setzt sich darin gleichermaßen kritisch wie ironisch mit der Sprache der Politik, der Medien auseinander und reflektiert über die Bedeutungsverschiebungen in der Sprache von Mann und Frau.

Lange vor den Studien über geschlechtsspezifisches Sprachverhalten erkennt sie scharfsichtig: "Mann und Frau sind Knechte einer Sprache, es ist unwahr, daß sie sich, selbst in den spontansten Zusammentreffen etc., spontan äußern."

Philosophie und Musik

Wie vielfältig Ingeborg Bachmanns theoretische Auseinandersetzungen sind, zeigt dieser umfassende Band, der ihre Rundfunkessays ebenso enthält wie ihre Rezensionen, die sie vor allem in den frühen Jahren auch zum Broterwerb schreibt, während später vieles von ihren Entwürfen, so etwa zu einer projektierten Zeitschrift ("Tagebuch"), unveröffentlicht bleibt. Stehen am Beginn für die Poeta docta, die ihr Philosophiestudium mit einer kritischen Dissertation über Martin Heidegger abgeschlossen hat (sie ist selbständig veröffentlicht und fehlt in dieser Ausgabe), Philosophen und Autoren wie Ludwig Wittgenstein, Robert Musil, Marcel Proust und Franz Kafka im Mittelpunkt, wendet sie sich später Kollegen und Kolleginnen wie Thomas Bernhard oder Silvia Plath zu. Vor allem durch Ingeborg Bachmanns Beziehung und Zusammenarbeit mit Hans Werner Henze spielt die Beschäftigung mit "Musik und Dichtung" eine zentrale Rolle und sie widmet diesem Thema einige ihrer erhellendsten Essays. Und wer ihre "Hommage à Maria Callas" noch nicht kennt, sollte die Lektüre schnell nachholen.

Veränderung durch Lesen

Wie schon in ihrer vorbildlichen "Todesarten-Edition" behalten die Herausgeber Monika Albrecht und Dirk Göttsche das kritische Editionsverfahren bei, drucken chronologisch die Textfassungen ab und begleiten sie mit einem umfangreichen text- und sachkritischem Kommentar, einem editorischen Nachwort und einem Personenregister. Dass der Kommentar beinahe ebenso umfangreich wie der Textteil ausgefallen ist, soll diejenigen, die wenig an philosophischen Details interessiert sind, nicht vom Lesen abhalten.

In ihrer Rede zur Verleihung des Anton Wildgans-Preises (1972), die den Band abschließt, wünscht sich Ingeborg Bachmann, "daß ich einfach gelesen werde, Meinungen hat jeder, die eines Schriftstellers sind belanglos, und was nicht in seinen Büchern steht, existiert nicht."

KRITISCHE SCHRIFTEN

Von Ingeborg Bachmann. Hg. v. Monika Albrecht und Dirk Göttsche

Piper Verlag, München 2005

828 Seiten, geb., e 51,30

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