Andauernd geschieht nichts

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Herbert J. Wimmers großartige Kurzprosa über tückische Objekte.

Man spricht vom "naiven Leser", aber es trifft, schaut man genauer hin, auch auf einen Großteil der professionellen Literaturkritiker zu: Sie sind auf Handlung fixiert. Das kindliche Bedürfnis, sich Geschichten erzählen zu lassen, wofür einst die Großmutter zuständig war und heute Fernsehen und Hörbuch einspringen müssen, scheint auch bei vermeintlich Erwachsenen ungestillt zu sein. Die Gier nach der "Story" entspricht der Bevorzugung des Motivs gegenüber dem Ungegenständlichen in der bildenden Kunst, des Spielfilms gegenüber dem sujetlosen Experimentalfilm, des Handlungsballetts gegenüber dem Tanztheater etwa einer Pina Bausch, das bei den Salzburger Festspielen tatsächlich noch empörte Proteste und Türenknallen zu provozieren vermag, ja selbst der nacherzählenden Begeisterung für Programmmusik.

Vernachlässigte Kurzprosa

Diese Fixierung auf Handlung, deren Qualität noch dazu häufig an ihrer Übereinstimmung mit der Erfahrungswirklichkeit gemessen wird, hat eine unverhältnismäßige Aufwertung des Romans zur Folge und eine Vernachlässigung der Kurz- und Kürzestprosa, die es ohnedies schwer hat in einer zur Gigantomanie neigenden Welt. Wenn sie noch dazu sich Dingen zuwendet statt Menschen, dann befindet sie sich in Gefahr, in die Quarantäne der kuriosen Spinnerei abgeschoben zu werden. In der bildenden Kunst haben die Objekte eines Duchamp und seiner Epigonen mittlerweile immerhin museale Anerkennung gefunden, die, wenn der Eindruck nicht täuscht, zurzeit sogar eine Renaissance erlebt. Für die Literatur ist das entsprechende Terrain noch zu erobern.

Unter dieser Prämisse gehören die 313 Miniaturen, die Herbert J. Wimmer unter dem Titel Nervenlauf auf knapp 200 Seiten versammelt hat, zum Bemerkenswertesten, was die österreichische Literatur in jüngster Zeit hervorgebracht hat. Sie erinnern daran, dass Sprache für die Literatur nicht Transportmittel von Ideen ist, sondern ihre eigentliche Substanz.

Durch Sprache modelliert

Der österreichische Kabarettist Klaus Eckel reizt die Komik aus, die entsteht, wenn er Gegenstände wie Menschen behandelt, indem er ihnen Namen gibt. Wimmer modelliert die ganz hinten in einem Inhaltsverzeichnis alphabetisch geordneten Objekte (und das kann zum Beispiel auch "Schneeregen" sein) aus Sprache neu. Er beschreibt nicht, bildet nichts ab, nicht einmal, wie Magritte mit seiner berühmten Pfeife, um die Abbildung zu dementieren. Wo auf Vertrautes verwiesen wird, das jenseits der Sprache liegt, verwandelt sich dieses - die Tücke der Objekte (so der Untertitel des Buchs) - in Text, dessen Semantik durch verstörende Syntax, klangliche Strukturen, inkompatible Nachbarschaften verfremdet wird.

Das mag sich spröde anhören, hat aber durchaus Witz. Der Toaster, zum Beispiel, ist Auslöser für ein groteskes Schreckensszenario, und auch Kalauer sind da erlaubt: "toasts auf die schrecken der idyllen werden ausgebracht." Nur zwei fast programmatische Sätze benötigt die "hohlhippe": "das röhrenförmige objekt steckt in etwas fest und lässt sich nicht bewegen. andauernd geschieht nichts." Vielleicht wird einmal jemand die literarischen Auseinandersetzungen mit Wiens Heldenplatz in einer Anthologie sammeln. Herbert J. Wimmer inspiriert er (und seine Geschichte) zu der schönen Formulierung vom "scheusslichen nachhall unvergesslicher zusammenverrottungen".

Die durchnummerierten Stücke, im Schnitt eine halbe Druckseite lang, folgen keinem Schema. Sie zitieren unterschiedliche Sprechsituationen herbei, bedienen sich unterschiedlicher stilistischer Verfahren, nähern sich mal dem Surreal-Absurden, dann wieder der sachlichen Bestandsaufnahme. Einzelne Texte erinnern an die Sprachexperimente der Wiener Gruppe, andere an Peter Bichsels legendäres Büchlein Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen, wieder andere an Daniil Charms. Manchmal, etwa in "ampel", jandlt's.

Aber Wimmer hat seine eigene Handschrift entwickelt. Wer weiß: vielleicht wird Nervenlauf, wenn Kürze nicht als Mangel begriffen wird, einmal als "Klassiker" gelten wie heute schon Wolfgang Bauers Mikrodramen.

Nervenlauf

Die Tücke der Objekte

Von Herbert J. Wimmer

Sonderzahl Verlag, Wien 2007

194 Seiten, brosch., € 16,-

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