6544134-1947_05_08.jpg
Digital In Arbeit

Anna Bahr-Mildenburg

Werbung
Werbung
Werbung

Das Hebbel sehe Wort, das Hermann Bahr einmal in Tagebuchnotizen über die Kunst Anna Bahr-Mildenburg s gebraucht: „Steigerung ist die Lebensform der Kunst“, trifft den Kern des Phänomens dieser künstlerischen Frau. Steigerung ist in ihrer Kunst so weit und so hoch getrieben, daß sie schlichteste Einfachheit und größte Leidenschaft zugleich ist, sie dringt in Bezirke, in denen sich schärfste Gegensätze begegnen und vereinen, sie ist die elementarste und persönlichste Äußerung einer künstlerischen Begnadung, die, da sie uns nun entschwunden, im Unvergeßlichen, das sie zurückließ, nur um so stärker in Erscheinung tritt.

Diese souverän aus königlichem Reichtum schaffende große Sängerin und Schauspielerin hat eine Generation verzaubert, sie hat mit der Dämonie ihres künstlerischen Willens zwei folgende Generationen, die nie

ihre Stimme gehört hatten, in ihren Bann gezwungen, sie hat, an ihrem 70. Geburtstag zu einem Ehrenvortrag in den Kaisersaal der Staatsoper geladen, ihre Zuhörer mit der hinreißenden Wandlungsfähigkeit ihrer einmaligen Begabung beglückt.

t Wenige Reihen waren es gewesen, davor ein kleines Podium, auf ihm eine alte, grauhaarige Frau. Alt? Grauhaarig? Man sah es nicht. Denn dort oben stand, hochaufgerichtet, einen imaginären Stab hart zu Boden stoßend, Brünhilde; dort oben tänzelte graziös, schalkhaft, voll Jugendübermut, Ännchen; Elektra lag lang hingestreckt, von Furien gepeitsdit, auf der Erde, Oktavian trug mit jünglingshafter Anmut die silberne Rose, Ortrud erhob sieh „furchtbar groß“, Konstanze lächelte, Klytämnestra starrte aus irren Augen, Fidelio flehte, Adele lachte, Isolde entschwebte, körperlos geworden — unübersehbar stieg die Schar der Gestalten aus einer einzigen Seele: das Wunder der völligen Durchdringung der Materie, das aus Musik, dem Reichtum einer großen Seele, einer fast dichterischen Phantasie, Gestalten dieser Phantasie zum Leben brachte. Immer wieder war es so, daß aus sparsamster Gestik plötzlich wie ein Fanfarenstoß

d i e Gebärde vorstieß, die alles zu sagen vermochte. War es nur eine Wendung des Kopfes, ein Aufrichten des Körpers, ein Absinken der Hand — es umfaßte alles, was zu sagen war.

Generationen haben ihr zu danken. Nicht nur die Entwicklung der Stimme. Vor allem das Wegweisen zu großem, künstlerischem Stil, die vollendete Durchdringung einer Aufgabe, die seelische Bereicherung. S i e hat Anna Bahr-Mildenburg mit königlicher Verschwendung gegeben.

Neben der W i 11 ward ihre Stimme als die schönste ihres Jahrhunderts gefeiert. Die 23jährige hatte den gefürchteten Pollini, Hamburgs Theatergewaltigen, begeistert. 18 neue Partien in diesem Hamburger Jahr, Auftreten an fünf Abenden hintereinander. „Ich habe die Brutalität des Theaters kennengelernt!“, sagt sie. „Gott sei Dank!“, setzt sie lächelnd hinzu. „Denn

,Muß' ist eine Gnade und man muß wollen,

wollen!“

Das ist es! Darum bringt sie dtn Mut auf, dreiundzwanzigjährig, auf Mahlers Empfehlung, in Bayreuth die Kundry zu singen, zur 100. Festauf führung von „Parsifal“. Man muß erkbt haben, wie diese alte Frau, selbst ehrfürchtig verehrt, von ihrer Begegnung mit Cosima spricht, von intensivstem dreiwöchigem Studium mit ihr bis zur letzten Durchdringung der Partie. Das ist ihre Größe und ihr Ruhm: nicht nur stimmlich, auch darstellerisch mit feinstem, einzig aus der Musik abgeleitetem Gefühl, psychologisch die Gestalt zu entwickeln. Man muß in den Bänken ihrer Schüler gesessen sein, wenn sie in der Musikschule der Stadt Wien unterrichtete und aus diesen Unterrichtsstunden kostbare Erinnerungen bewahren können, um den Verlust des Hinganges dieser Künstlerschaft in schmerzlichem Erinnern zu ertragen.

„Was Ihr hört, müßt Ihr droben sehen, müßt Musik in Text und Bild übersetzen, aus euch selbst heraus!“

Herz suchte sie, Innerlichkeit. „Wer nicht die Melodie im Herzen und das Wort im Gehirn hat, kann nicht singen.

Es - gibt keine farbenblinden Maler, also kann es auch keine tontauben Sänger geben. Hören, hören, was die Musik redet“, beschwor sie immer wieder. Höchste Intelligenz in Verbindung mit der Gnade einer Stimme, höchstes Wissen und gleichzeitig völliges Aufgeben, Fühlen, „es geschieht etwas mit mir, das mächtiger ist als ich“, gestalten und doch wieder gestalten lassen, das waren ihre Forderungen. Sie trugen hinauf in die höchste Höhe der Kunst. Die Schüler unten in den Bänken spürten es. Vergaßen sich selbst vor dieser Meisterin.

Kunst erfüllte dieses Leben ganz. Zutiefst fühlte man es im Hause der Mildenburg, wo K1 i m t s Gemälde an den Wänden hängen, Sonette Wohlzogens, Gedichte Conrad Ferdinand Meyers an die Hausfrau, unter Glas und Rahmen bewahrt, sind ebenso wie Notenskizzen aus Strauß' „Elektra“, flüchtige Notenzeilen Gustav Mahlers mit der launig gestellten Frage: „Wie gehts weiter?“ und das Skizzenheft, das Mahler auf dem Totenbett auf dem Herzen trug. Kaum übersehbar der Reichtum der Erinnerungen, kaum

übersehbar die ungeheure Arbeit, mit der Anna Bahr-Mildenburg sich des Nachlasses ihres Gatten angenommen, in 25.000 Karteiblättern geordnet hat. Ein reiches, geistig-bewegtes Leben, wie selten eines, dessen Ruhm sich strahlend auch um die Stadt legte, deren Namen gemeinsam mit dem ihren in die Welt ging.

Wenige Tage vor ihrem Tod vermochte die Fünfundsiebzigjährige noch lächelnd zu sagen: „Ich Bin noch jung, ich erlebe ja noch immer Neues. Ich habe ein junges Herz!“ — Nun hat es zu schlagen aufgehört, dieses rastlos der Kunst ergebene Herz, dem ein selten erfülltes Leben zu eigen war. Anna Bahr-Mildenburg war eine große Sängerin, eine unübertreffliche Schauspielerin, sie war der erste weibliche Regisseur in München, sie hat „Tristan“ erläutert und Mozart und Strauß mit dem Herzschlag ihres persönlichsten Lebens erfüllt. Dieser Herzschlag ist nicht verstummt. Er pocht in den Herzen aller, die um sie trauern, die liebend und ehrfürchtig aufbewahren, was sie hinterließ: Weisheit und Güte eines seltenen, künstlerischen Menschen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung