6681325-1961_45_15.jpg
Digital In Arbeit

Anruf und Lobgesang

19451960198020002020

ÜBER DIE PSALMEN. Von Pius Drijvers. Herder-Verlag, Freiburg im Breisgau, 1960. Preis 15.30 DM.

19451960198020002020

ÜBER DIE PSALMEN. Von Pius Drijvers. Herder-Verlag, Freiburg im Breisgau, 1960. Preis 15.30 DM.

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn wir uns recht erinnern, erzählt es Stefan George selbst: Wie da einmal, kurz vor dem ersten Weltkrieg, ein junger Dichter zu ihm in die behütete Wohnung gerannt kanl. Er fragte den Großmeister der feierlichen Wortkunst, ob er denn von einem Buch wisse, das alle Dichtung für immer schon vollendet und vetrweggenommen habe. Und zeigte ihm das Psalterrum (der Dichter war Reinhold Johannes Sorge). Aber das blieb eine auch von George fast nur als persönliche Geste Sorges erwähnte Ausnahme. Eine merkwürdige und angesichts der allgemeinen bildungsbeflissenen Indiskretion der plump tapsenden Neugier fast begrüßenswerte Scheu hat die Welt der Psalmen und schon gar die der kirchlichen Hymnendichtung (von wenigen, durch die Profankomposition populären Ausnahmen, wie dem „Stabat mater” und „Dies irae”, abgesehen) wie mit einer schützenden Mauer umgeben. Sie sind der ästhetischen Interpretation und schon gar dem Geschmäck- lertum, das sich nur der Veden und der Koransuren zu bemächtigen beginnt, entrückt geblieben. Darin liegt freilich auch ein Versäumnis: Der zum Breviergebet vom Subdiakonat an verpflichtete Kleriker begegnet Psalmen und Hymnen Tag für Tag. In der Mehrzahl der Fälle natürlich nur im lateinischen Gewand, selten bleibt die Zeit für ein vertiefend-meditierendes Lesen in der Muttersprache (hier haben wir neben dem verdienten Pius Parsch vor allem die Guardini-Übersetzung) und fast nie im griechischen oder gar hebräischen Urtext. Aber es wächst auch die Zahl der Laien, die wenigstens zu gewissen Hoch- Zeiten des Jahres den Psalmen und Hymnen begegnen, bei der Christmette vor dem Mitternachtsamt, beim Stundengottesdienst der Kartage, aber auch da und dort beim Verweilen in klösterlicher Gastgemeinschaft. Auch sie sind froh, wenn sie beim Lesen mitkommen und mit ihren Schulkenntnissen des Latein gerade noch den Wortsinn erfassen. Die inneren Sinnerfüllungen oder den großen Zusammenhang kann man so allerdings kaum erfassen.

Zwei vorliegende Neuerscheinungen sehr verschiedener Art leisten da eine sehr glückliche, hermeneutische Arbeit. Die Nachdichtungen der wichtigsten Hymnen aus dem Breviarium, dem Missale und der liturgischen Nebenliteratur, die Erika Spann-Rheinsch geschaffen hat, halten die wirklich gute Mitte zwischen dem hier unangebrachten, allzufreien poetischen .Schweifen und der schulmeisterlich-ledernen Wörtlichkeit. Sie öffnen ohne schwärmerische Phantasterei, die schon durch das schlichte mittellateinische Versmaß gehindert wird, Blicke auf das Natur- und Weltgefühl der katholischen Frühblütezeit, die sich nur wenigen von denen erschlossen haben dürften, die etwa täglich den Hymnus zur Non beten. Dort wild Gott „rerum tenax vigor” genannt. Die Übersetzerin schreibt „Gott, der die Wesen kraftvoll trägt”, und sie hat mit dieser Übertragung wirklich das Wesen angesprochen.

Es ist gut, daß Erika Spann nicht um jeden Preis neu sein will und beim „Dies irae” etwa ganze Strophen aus der schlichten, gebräuchlichen deutschen Übersetzung nachschreibt. Ihrem eigenen Werk der Einfühlung und Mitteilung wird dadurch kein Abbruch getan. Wenn wir etwas bei diesem Bändchen vermissen, dann wäre dies ein kleiner Exkurs der Formengeschichte kirchlicher Hymnen- dichtung. Zwischen den Tagzeiten der ambrosianischen Frühe und den kunstvollen Barockgebilden Urbans VIII. oder gar den hier mit Recht nicht aufgenommenen neulateinischen Steifheiten des 19. und 20. Jahrhunderts (Fest der Heiligen Familie im Brevier!) liegen Jahrhunderte großer Wandlungen. Der eine oder andere formale Hinweis hätte dem Leser, der ja nicht selten mit dem Beter identisch ist, den inneren Zugang behutsam erleichtert.

Um so reicher und dankenswert instruktiver ist der formgeschichtliche Teil in Pius Drijvers Buch „Über die Psalmen”. Vor Jahr und Tag erschien die „Breviererklärung” von , Pius Parsch. die für heutige Begriffe in ihrer bemühten Fruchtbarmachung für den aktuellen Mitvollzug zwar ergreifend, aber doch des öfteren etwas gewaltsam wirkt. Drijvers läßt die Psalmen dort stehen, wo sie entstanden sind, in der biblisch-kulturgeschichtlichen Welt des Alten Bundes. Mit der Mehrzahl der heutigen Biblisten besteht er auf der Erarbeitung des Literalsinns vor aller Allegorie oder gar Pneumatik. Er versucht nicht, den einzelnen Psalm herauszulösen und christlich verständlich oder gar katechetisch nutz- anwendbar zu machen. Er bezieht den Psalm zunächst in eine Psalmengruppe ein. Die Gesamtheit der Psalmgruppen steht seiner (Gunkel und vor allem A. Weiser folgenden) Meinung gemäß unter dem gemeinsamen Bundeszeichen. Der Bund des Herrn mit Seinem Volke, Seine Erneuerung (vielleicht in der Form des von manchen Exegeten angenommenen eigenen Jahresfestes), Seine Anrufung, Sein Triumph, aber auch Seine Rechenschaftsforderung: das ist das Zentrum, um das sich die Psalmgruppen sinnvoll ordnen. Dieses Bundesverhältnis als ein Ganzes tritt dem Christen nun in der Welt des Neuen Testaments in höherer und vollendeter Form entgegen. Und auf dieses neue, das Alte nicht aufhebende, aber überhöhende Zentrum hin kann und soll der christliche Psalmleser, der in letzter Konsequenz doch immer wieder zum Psalmbeter werden muß, die einzelnen Lieder beziehen.

In der Gruppeneinteilung folgt Drijvers der heute gebräuchlichen Philologie. Interessant ist, daß er die im Brevier noch gebräuchliche Gruppierung der Bußpsalmen („Septem psalmi graduales”) nicht mehr erwähnt. Nicht ganz können wir ihm in der höflichen Wertschätzung für die erneuerte lateinische Psalmenübertragung unter Pius XII. folgen. Ihrer Pädagogik scheint bei allem Bemühen doch ein grundlegendes Mißverständnis zu unterliegen, über das hier aber nicht weiter gehandelt werden soll. Hoffen wir nur, daß ihre Texte nicht eines Tages obligat werden. Solange sie ad libitum bleiben, mag man höflich schweigen und den Freiwilligen den Vortritt lassen.

Das Psalmenbuch von Drijvers aber kann man auch dem empfehlen, der sich dieser Welt zum erstenmal nähert, der zunächst nur bereit ist, sich den ewigen Liedern des Bundesvolks vom Literarischen her zu nähern. Er wird interpretierende Wissenschaft gerade im rechten Ausmaß finden. Genug zur Orientierung und keinesfalls in solchem Übermaß, daß die elementare Kraft des Psalmtextes selbst in Fußnoten zerbröselt wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung