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Ansitz auf Hasen

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Der Ansitz auf Hasen ist die niederste Niederjagd; er kommt gleich nach dem Spatzenschießen per Blasrohr und etwa nach dem Fliegenpapier. Der edle Waidmann, welcher dem Sechzehnender nach-pürscht und oft genug Ursache hat, seine Erlebnisse den Jagdzeitsdiriften zu übermitteln, verhält sich zu dem miserablen Ansitzer auf Hasen wie ein Primaner zum Abc-Schützen mit baumelndem Schwämmchen. Die Sache ist aber auch zu einfach: man sitzt am Waldrande, der Hase springt heraus, bleibt stehen und man drückt ab. Das ist alles.

In Wirklichkeit aber verhält ss sich anders. Da kann der Ansitz auf Hasen etwas Bezauberndes und sehr Aufregendes sein. Vor allem sitzt man stundenlang still unter Bäumen, ganz Auge und Ohr, und das ist das Beste, was der Mensch tun kann, wenn er etwas vom Walde wissen will. Denn du magst noch so lautlos pürschen — die Vögel da oben sehen dich dodi und begleiten deine Verschwiegenheit mit feinstimmigem Alarm: du bleibst Eindringling. Bist du aber eine halbe Stunde stillgesessen, so hat didi der Wald in seine grüne Gemeinschaft inkorporiert; du bist nicht mehr da und darfst nun sehen und hören, wie er wirklich ist. Und das zur Abendzeit, wenn der Sonnenuntergang dodi durch die Kiefern glüht und alles lebendig wird.

Wie die Finsternis erst durch eine Kerzenflamme gewaltig wird, ebenso hört man erst durch das leiseste Rascheln die Stille, und nun schleicht sie dir sänf-tigend ins Herz hinein. Vorerst freilich schallt noch von den Wiesen das heimverlangende Brüllen der Kühe, aber bald sind sie fortgetrappelt und nur ein Milchduft streift flüchtig den harzigen Hauch des Waldes. Du bist nicht einsam; du ruhst in einer Allsamkeit, in welcher die Stille unerhörte Ereignisse schafft. Da — eine Maus raschelt und hält, fast erschrocken über den eigenen Lärm, inne. Gerade über dir läßt sich eine Spinne, den Garnknäuel im Leibe, mutig durch die Luft fallen. Jetzt hat sie den haspelnden Knäuel angeklemmt, denkt nach und klettert am Faden wieder hinauf. Jetzt hüpfen zwei winzige Vogelbällchen im Dickicht. Da — was war das? Ein Specht flattert unsicheren Fluges zu seinem Betriebspunkt; stets trägt er dabei ein Holzstückchen im Schnabel, das er jedesmal nach dsm Aufbaumen aditlos fallen läßt. Warum tut er das? denkst du — etwa um sich beim Fliegen besser im Gleichgewicht zu halten? Oh, er ist ein rechtschaffener Holzhacker, ein beeideter Materialprüfer, was gehen ihn die Menschen an? Höchsten daß er einmal, wenn sie schon gar zu laut sind („Wer hat dich, du schöööner Wald...“), mißbilligend um den Stamm herum auslugt. ... So denkst du, aber schon fällt dir die Stelle im „Diezel“ ein: „Wer freilich auf dem Ansitz seinen Gedanken Audienz gibt, der hat nicht viel Aussicht...“ Und noch in der verdoppelten Aufmerksamkeit entzückt dich dieser graziöse Biedermeierausdruck.

Da — etwas Hellgraues kommt lautlos herausgeflogen wie eine Balletteuse aus der Theaterkulisse, hält einen Moment inne und schaukelt dann mit lustigem Entrechat in die Wiesen hinaus, ins Freie ... Wirklich, ein Hase! Als ich es das erstemal sah, war ich so erschüttert, daß ich gar nicht auf den Gedanken kam, die Flinte zu heben. Das Ganze war wie eine Traumerscheinung vorbeigehuscht. „Du hast ihn durchgelassen. Du wirst nie ein Jäger!“ dachte ich dann schamrot. Nein, aber wirklich, das hatte ich mir gar nicht so vorgestellt! „Hier setzen Sie sich an; dort kommt der Hase“, hatte man mir gesagt. Und ich hatte gedacht: Na, es wird wie immer sein, es wird schon nicht stimmen — wenn der Hase überhaupt kommt, so keinesfalls hier. Und nun, tatsächlich! Und wieder steht die Waldecke so still und leer da, als wenn hier nie etwas geschehen wäre. Du hast deine Chance verpaßt; jetzt kommt natürlich nichts mehr! so denkt man und starrt sich dennoch die Augen aus auf die grüne Waldkulisse. Aber nun wird es immer schummeriger. Von weitem tönt das erste „Huku .. “ der Eule, und es mischt sidi jener Kauz hinein, der wie eine ganz ferne Rangierlokomotive Laut gibt. Es kommen Töne, die einen zusammenfahren machen: das war doch ein Kindersdireien; da — ein heiserer Lachausbruch; dann so etwas wie das Drehen eines rostigen Schlüssels; und plötzlich, näherkommend, kreischt es wie ein Mensch: „Gleich — gleich — gleich!“

Da — das ist kein Traum — wieder kommt etwas herausgehuscht. Du hebst die Flinte, glühend und eiskalt wie in jedem dramatischen Moment. Jetzt bleibt der Hase stehen und guckt mit seinen Glasaugen; gut, daß er nichts weiß... Es knallt durch die heilige Stille. Jetzt wird er weglaufen! denkst du — aber nein, da liegt etwas zuckend im Sande des Weges. Bewußtlos macht der Hase noch im Liegen seine Laufbewegungen: sein einziges Mittel im Daseinskampf. Und jetzt liegt er still, der arme Bursche. Es ist ja nicht das Töten — sein natürliches Sterben wäre wohl langwieriger, also qualvoller —, sondern daß man ihm die Lebensspanne verkürzt: das ist es. Du hebst ihn an den Hinterläufen, in denen noch Tausende von Kilometern steckten, drückst ihm am warmen, weißbepelzten Bauch die Blase aus und legst ihn neben dir nieder: er guckt noch mit denselben starren Glasaugen ins Gras hinein. Wo ist sein Hasenseelchen geblieben! Ist die Seele das einzige, was man töten kann? Du fühlst dich als Jäger, du fühlst dich als sein Mörder, du fragst: „Ist das alles?“ — Aber schon ist die Flinte wiederum gespannt wie dein Blick: wird wieder was aus der Kulisse tanzen?

Allein es kommt nichts. Der sandige Weg wird wie eine blasse Ahnung, und alle Bäume dunkler, alle Konturen ungewisser. Und nun bilden sich aus dem Nichts die Gespensterhasen, welche der Wald in erregender Menge auszusenden scheint: dort, die dunkle Wegfurche, will sie sich nicht wellenförmig bewegen? Aber nein, es ist bloß die Furche. Flog da nicht etwas Weißes aus dem Busdi? Doch nein, es ist bloß ein helles Gras-büsdiel. Aber nun ist es wirklich zu dunkel; schon willst du resigniert die Sicherung vorschieben, als mit einem Male etwas ganz Dunkles sich langsam, langsam aus dem Gebüsch vorschiebt... Wie das Herz klopft! Mehr nach Gefühl hältst du auf das Phantom und drückst ab. Weldie Entweihung, so ein Krach!... Aber das Dunkle da bleibt unbeweglich. „Uäh ... uäh ... uäh ...“ schreit es ganz schnell und leise wie ein Säugling. Du eilst hin. hebst die zitternden Hasenläufe hoch und gibst ihm einen Schlag ins Genick — was eben noch schrie, läßt entseelt den Kopf mit den langen Löffeln baumeln. Zwei Hasen, immerhin; warm und schwer liegen sie im Rucksack. 1

Wunderbar ist jetzt der Nachtweg nach Hause. Nur noch wie schwarze Rauchwolken umwölben dich die Kiefernkronen, tief ziehst du den Moder- und Harzduft in die Lungen und nichts ist zu hören als dein einsamer Schritt. Du selbst verfließt mit all dem dunklen Ungewissen; Finsternis ist jetzt kein Zustand, sondern etwas Allverschlingendes, überpersönlicfaes — nichts blieb von dir als ein winziges Bawußtseinspünktchen, wie dein glimmendes Zigarettenende, und sonst ist alles Raum und Traum und Unendlichkeit. Im Schloßgraben fliegen päkend ein paar Wildenten auf. Und zu Hause blinzelst du vom elektrischen Licht und sagst: „Zwei Stück. Sie liegen auf der Treppe.“ — Das ist so ungefähr der Ansitz auf Hasen.

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