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Ansprache am Qrabe Alfred Kubins

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Wenn ich als Priester und Freund den von uns gegangenen Künstler Alfred Kubín cm Grab würdigen soll, so ist es meine Aufgabe cis Priester, nicht so sehr des Künstlers, cis vielmehr des großen Menschen zu gedenken, daß ihm alle, die ihn verehrten, die ihm tief verbunden sind, mit ihren Gedanken ins Ewige ncchgehen können. Und doch ist es nicht möglich, cn diesem Grab so zu sprechen, ohne zugleich des Toten euch als eines Künstlers eingedenk zu sein. Denn wes für jeden Künstler gi! : Das, was einer schuf und bekannte und das, was einer bekannte und was er ist, das ist eine Einheit, das gilt euch für Alfred Kubin. Und als Künstler hat uns der große Tote viel gegeben, was uns die Einsicht aufzwingl, daß hinter dem Ein- und Ausgang des Lebens, daß hinter all der scheinbar verzweifelten Schicksalhaftigkeit und der Aengsiigung unseres Daseins doch cis erlösendes Licht nur der stehen kann, der Anfang und Ende alles Seins ist.

Gott ist der Ursprung uneres Seins, und Leben bedeutet nur den Rückweg zu Ihm. Dieser Rückweg zum Ursprung ward Alfred Kubin wehrhaft nicht leicht gemacht.

Am 10. April 1877 hat er in Leitmeritz das Licht der Welt erblickt. Seine Kindheit erlebte er in Zell am See und Salzburg.

Seine Lehrer in München kennten für Kubin nur Anreger sein. Er ei kannte bald, daß er, um sich so ausdrücken zu können, wie es ihn zwang, einen anderen Weg gehen mußte, wie ihn die breite Straße der damaligen Zeit wies. Aber dieser Weg führte ihn in schwere Depressionen, bis ihm die Kraft gegeben ward, seinen Wachtraumvisionen, denen er als Leidender selbst zu unterliegen drohte, Gestalt zu geben und sie so zu überwinden. Se:ne Blätter erschrecken oft, weil er immer die andere Seile des Lebens sah, aber Zeichnen hieß für ihn nicht; hübsche Motive wiederzugeben, mit bunten Blumen und blauem Himmel . . . Zeichnen hieß für ihn: Kunde geben vom Rätsel des Lebens. Einmal schrieb er: „Die Menschen wollen das Leben enträtseln. Aber mir macht erst das Geheimnis des Lebens das Leben schön und lebenswert."

Selbst erschauernd vor den inneren Gesichten, hielt er sich mit seiner Kunst die Angst vom Leibe, die Angst vcr der Krankheit, die Altersangst und die Angst vor dem Tode.

Diese Angst vor allem, wes ihn bedrohen konnte, war ja überhaupt die treibende schöpferische Kraft Alfred Kubins. Der letzte Urgrund ali dieser Angst war aber die Angst vor der letzten Wahrheit! Dieser große Einsame war ja immer auf der Flucht vor der letzten Entscheidung für die letzte Wahrheit, die er suchen mußte, weil dies ein Gesetz unserer Seele ist, die er aber zugleich fürchtete.

Reifer geworden, wurden seiTie Bilder heller und lockerer, lichter, und oft heiter. Er wurde der Schilderer einer heimlich idyllischen Welt. Vom dunklen Abseitigen drang er unter dem Einfluß unserer fruchtbaren Landschaft und der gesunden Kraft unseres Volkes immer mehr zum Lichten durch. Aber immer noch bleibt doch eine tiefe Resignation spürbar, weil ihm bange war, sich der letzten Wahrheit zu stellen, weil er, wie er mir gesagt hatte, den Schlüssel zur letzten Kammer seines Herzens selbst weggeworfen hafte.

Aber in ali dieser Not, die er nach außen zu verbergen suchte, war er sich klar, daß ihm aus seiner künstlerischen Berufung eine große Verpflichtung zugewachsen war. Und treu hat er dieser gedient von der Jugend bis in das hohe Alter von achtzig Jahren, so lange er die Feder führen konnte. „Jeden ruft Gott mit anderer Stimme", sagte er einmal. Auch ihn hatte Gott gerufen, und er hat den Ruf gehört und ihm gehorcht. Er war ein Priester seiner Kunst, der weltliche Bruder des Priesters, der sich für die ihm gegebenen Gaben vor Gott und den Menschen verantwortlich wußte.

Auf vielen Umwegen hat Alfred Kubin zum Ursprung alles Seins zurücksuchen müssen. Nachdem er sich in jungen Jahren an Schopenhauer sattgetrunken hatte und meinte, nun das zu haben, was er wollte, nämlich eine in allen erdenklichen Fällen seines Lebens sich bewährende Anschauung, mußte er mit sechzig Jahren schreiben; „So treibt mein Schiff auf dem Meer im Dämmer dieses lebendigen Traumes dahin mit abgeblendelen Lichtern und mit seiner Fr’acht von. Bildern. Jede Stunde fjann den Untergang bringen.. Mein Vyeli- b:ld ist n;e fertig, es bleibl ein Bruchstück, denn künliigc Erfahrungen konnten es anders formen oder ergänzen."

Und diese Erfahrungen wurden ihm, der Zeit seines Lebens die Krankheit fürchtete, im reichsten Maße geschenkt. Nachdem er schon mehrere Jahre an den Beschwerden des Alters gelitten hatte, mußte er schließlich durch acht Monate dem leise nahenden Tod ins Auge schauen.

Menschlich gesehen war er arm, übersinnlich gesehen war es die große Gnadenzeit seines Lebens. Im gleichen Maße, wie er sich in den letzten drei Jahren von der Welt ab- gewendef hafte, trat auch der Künstler mehr und mehr zurück und was blieb, war der bloße Mensch.

Während er früher sich resigniert in seine Zeichenkunst flüchten konnte, um die heimliche Enttäuschung über das Nichtfindenkönnen der letzten Wahrheit betäuben zu können, mußte er jetzt, da ihn das schwerste Uebel betroffen halte, den letzten Wahrheiten offen ins Gesicht schauen, ich weiß wie bitter und verschämt er gerungen hat um diese letzte große Verwandlung, bis er im März auf seinem Krankenlager bekennen konnte. „Ich habe mein Leben lang Angst gehabt . . . Angst vor dem, was ich nicht wahrhaben wollte, was ich verdrängen wollte . . . nun hab' ich keine Angst mehr, weil ich die Wahrheit erkenne." . in diesem langen, schweren letzten Jahre, in dem er langsam sterbend aus einem hochbegnadefen ein begnadeter, neuer Mensch wurde, ging für ihn die Nacht des Herzens zu Ende. Wovor er als Sechzigjähriger bangte, daß er vieiieicht seip Weltbild einmal anders formen müßte, das hat er als Achtzigjähriger getan, ganz still und in sich gekehrt. Als ihm die geniale Kraft seiner Hand zerbrach, hat er die Morgenröte des großen Lichtes erst zu sehen vermocht, das er durch alle Jahrzehnte seines Lebens gesucht hatte.

Und so glaube ich heute, daß Gott, den er immer gesucht hatte und der ihm dann am dämmernden Abend seines Lebens als tröstendes Licht aufleuchtete, ihn als guten und treuen Knecht erkannt hat, der sein großes Talent gut verwaltet hatte, und daß ihm das ewige Licht aufge’gangen ist, das niemanden veriorengeht, den es einmal durchleuchtet hat.

Nun ist uns sein Antlitz für diese irdische Weitzeit entschwunden. Aber sein Licht ist nicht ausgelöscht und so wie seine Kunst, außerhalb jeder modischen Zeitströmung stehend, bleibt und ihre Gültigkeit in sich trägt, so bleibt auch sein Andenken. Gott wird ihm das Licht sein, das er immer gesucht hatte, und Er schenke ihm die friedvolle Ruhe.

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