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Anton Meisners Bruckner-Erinnerungen

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In der letzten Folge brachte die „Furche“ den ersten Teil der Erinnerungen an Bruckner, die sein letzter Sekretär Anton Meisner schrieb und uns Hofrat Professor Viktor Keldorfer, mit einer Einleitung versehen, zur ersten Veröffentlichung, zw Verfügung stellte. Wir bringen in der heutigen Folge den Abschluß dieser wertvollen Aufzeichnungen, die zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgelegt werden. „Die Furche“

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In der letzten Folge brachte die „Furche“ den ersten Teil der Erinnerungen an Bruckner, die sein letzter Sekretär Anton Meisner schrieb und uns Hofrat Professor Viktor Keldorfer, mit einer Einleitung versehen, zur ersten Veröffentlichung, zw Verfügung stellte. Wir bringen in der heutigen Folge den Abschluß dieser wertvollen Aufzeichnungen, die zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgelegt werden. „Die Furche“

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In den neunziger Jahren oblag mir die Aufgabe, Bruckner zu einer kirchlichen Orgel-Improvisation einzuladen. Er sollte in der Augustinerkirche anläßlich einer Männerpredigt des berühmten Kanzelredners P. Abel über das Thema des ihm so sehr am Herzen liegenden Liedes „Laß mich deine Leiden singen“ improvisieren. Ich traf ihn zu Hause beim Frühstück und er notierte sich Tag und Stunde der Kirchenfeier, indem er mir auftrug, ihn zur Feier mit einem „Gummiradier“ abzuholen. Ich fuhr zur vereinbarten Zeit bei seinem Hause vor und eilte die vier Stockwerke hinauf. Doch mein Läuten blieb vergeblich. Etwas unruhig darüber geworden, fuhr ich zu St. Augustin. Die Kirche war bereits übervoll. Schon in der Sakristei hatte ich erfahren, daß sich Bruckner schon länger als ein Stunde auf dem Chore befinde. Ich eilte hinauf und fand ihn bereits auf der Orgelbank sitzend; und daneben sein hochtalentierter Privatschüler Max v. Oberleithner. Bruckners Improvisation war ergreifend. Nach der Predigt flocht er Parsifal-Themen in sein Spiel ein. Nach Beendigung der Feier ging Bruckner mit Oberleithner und mir ins „Weingartl“, ein altberühmtes Bierhaus Wiens, wo er königlichen Appetit zeigte.

Kurze Zeit darauf erkrankte Bruckner schwer. Ich besuchte ihn und richtete ihn durch ermutigende Trostesworte auf. Ich mußte nun jeden Abend bei ihm verbringen und ihm die Tagesneuigkeiten berichten, besonders aber, was im „Conservatoire“ vorging. Bruckner, zeitlebens ein Frühaufsteher, änderte während der Krankheit seine ganze Tagesordnung. Er ging spät zu Bett und blieb morgens länger als sonst liegen. Es kam oft vor, daß er mich nicht vor Mitternacht weggehen ließ. In jenen Stunden tauchte in seiner Seele wiederholt ein eindrucksvolles Bild aus früheren Tagen auf: die Verhaftung des Linzer Bischofs Franz Rudigier. Mit fast drairucischem Ausdruck zitierte er die bei dieser Gelegenheit gefallenen Bischofsworte: „Ich weiche nur der Gewalt!“ — und gab zu erkennen, welche Freude er darüber empfand, als der „Pardon des alten Kaisers“ kam. — Sobald sich Bruckner besser fühlte, arbeitete er eifrig an der IX. Symphonie. Sein ehemaliger Lehrer, der Theaterkapellmeister Otto Kitzler, fand sich öfters zum Besuch ein; ebenso erfreute ihn auch Hans Richter durch einen Krankenbesuch. Als ihm Bürgermeister Dr. Grübl mehrere Dukaten in einem Etui als Oster-geschenk zusandte, kaufte er sich alsogleich in einem Geschäft am Stephansplatz ein schönes Kruzifix. Den Politiker Dr. Lueger, der damals mitten im Parteigetriebe stand, schätzte er nidit richtig ein; er hielt ihn für einen politischen Krakeeler. — Das Ziel seiner ersten Ausfahrten in der Zeit seiner Rekonvaleszenz war eine hl. Messe in der Michaeierkirche. Auf einer Art Sedia gestatoria wurd er die vier Stockwerke von Dienstmännern hinuntergetragen. Und diese mußten dann auf seine Rückkunft mit dem Wagen zwecks Rücktransport warten. Ali ich am Osters.tmstag zwölf Uhr nachts noch bei ihm war, dachte er an die groß: Orgel in St. Florian und meinte: Jetzt erklingt dort gerade das herrliche Osterlied „Der Heiland ist erstanden!“ — Die Uberleitung zum vierten Satz seiner Neunten dachte er sich mit Motiven aus seinem Tedeum, das ja den Schlußsatz der Symphonie bilden sollte. Und während dieser Uberleitung sollte der

Sängerchor in feierlichem Schritte auf das Podium schreiten. Doch keiner seiner musikalischen Entwürfe befriedigte ihn. Da schlug er vor mir unwillig den Klavierdeckel zu und sagte: „Sie sollen halt das Tedeum einfach so an die Symphonie anschließen!“ Die aus Deutschland einlangenden Telegramme über seine symphonischen Erfolge bereiteten ihm stets die allergrößte Freude. Sehr glücklich war er über ein Telegramm, in dem ihn der Linzer Gesangverein „Frohsinn“ anläßlich der Enthüllung einer Gedenktafel an des Meisters Geburtshaus in Ansfelden beglückwünschte. Unterrichtsminister Dr. Hartl, der im selben Hause (Heßgasse 7) wohnte, kam mit seiner Frau manchmal zu Besuch. Die Kostspieligkeit der Kirchenfahrten ließen ihn eine andere, nähergelegene Wohnung ins Auge fassen. Minister Hartl und Bruckners Arzt Hofrat Dr. Schrötter machten auch die diesbezüglichen Schritte. Bruckner erhoffte sich zuversichtlich eine baldige günstige Erledigung. Er und auch ich waren daher nicht wenig enttäuscht, als uns ersterer mitteilte, daß ihre Bemühungen leider erfolglos geblieben seien. Ganz kategorisch herrschte mich jetzt Bruckner an: „Antonius, jetzt mußt du mir zu einer Wohnung verhelfen!“ Er wünschte nur: „der Musikverein und die Hofkapelle dürften nicht allzuweit von seiner neuen Wohnung gelegen sein“. Nach längerer Überlegung fiel mir das Belvedere ein. Ich dachte an den mir bekannten Schloßkaplan P. Heribert Witsch, der seit Jahren dort täglich die Messe zelebrierte, und der mir vielleicht bei der Sache behilflich sein könnte. Und so war es auch. Schon am selben Abend konnte ich Bruckner berichten, daß dort eine Wohnung im Erdgeschoß des dem Schlosse benachbarten Kustodenstöckls, bestehend aus drei Zimmern und einer Küche, mit Benützung eines Privatgarten, leerstehe.

Bruckner war freudigst mit dieser Wahl einverstanden. Ich schrieb sofort an die Tochter des Kaisers, Erzherzogin Valerie, ein Bittgesuch, ließ dasselbe von Bruckner unterschreiben und übergab es Pater Abel, der das Ansuchen persönlich der Erzherzogin überreichte. Binnen vierzehn Tagen war die Wohnungsfrage in günstigem Sinne erledigt. Bruckner war mit der Wohnung sehr zufrieden, denn er brauchte hier keine Stiegen zu steigen, lebte hier in gesunder, relativ hoher Lage und kormte, so oft er nur wollte, die Schloßkapelle besuchen, sowie an schönen Tagen den wundervollen Guten benützen. Dort fand ich ihn denn einmal auf einer Gartenbank mit dem Bildhauer

Tilgner, dem wir eine ausgezeichnete Büste des Meisters verdanken, aufgeräumt und im heitersten Gespräch. Einmal besuchte ihn auch Hugo Wolf in seiner neuen Wohnung, was Bruckner eine ganz besondere Freude bereitete.

In dem allerletzten Konzerte, das Bruckner vom Belvedere aus besuchte, wurde unter Leitung Hans Richters unter anderem Richard Strauß' „Till Eulerjspiegel“ aufgeführt. Als ich ihn nach dem Konzert um sein Urteil über dieses Werk befragte, gestand er: „Ich muß dir aufrichtig sagen — g'schlafen hab i dabei...“ Einigemale fuhren wir gemeinsam in die alte Universitätskirche und da ließ er sichs nie nehmen, in dem benachbarten Jesuitenkloster seinen langjährigen Beichtvater, den von ihm hochgeschätzten P. Graf (den Bruder des als Bassisten gleichfalls verehrten Hofkapellen-sängers Graf) zu besuchen.

Ahnungslos ging ich Sonntag, den 11. Oktober 1896, meinen gewöhnlichen Besuch bei Bruckner machen, wurde jedoch von dessen Wirtschafterin Frau Kathi mit Tränen in den Augen empfangen: „Er hat heut einen sehr schlechten Tag! Es geht ihm recht miserabel. Augenblicklich schlummert er.“ Ich ging daher, es war drei Uhr nachmittags, einstweilen in den Gottesdienst der Schloßkapelle. Bald kam Frau Kathi in die Kapelle gelaufen und überbrachte dem Geistlichen eine geheime Nachricht. Ich ahnte nichts Gutes. Dann kam Kathi zu mir und bat mich leise, gleich mit dem Priester zu Bruckner zu kommen. Die Andacht wurde rasch beschlossen; aber als wir die Wohnung betraten, war der Meister bereits in jenes Reich eingegangen, dem zeitlebens sein ganzes Denken und Wirken gehört hatte ... Traurig begab ich mich zur Redaktion der „Neuen Freien Presse“, die meinen Bericht aufnahm. Auch seinen glühenden und werktätigen Verehrer August Stradal, der nicht weit von hier wohnte, überbrachte ich che Hiobspost mit der Bitte, sie allen guten Bekannten, insbesondere dem Rechtsanwalt der Gesellschaft der Musikfreunde, Dr. Reisch, zu überbringen.

Das Leichenbegängnis war seiner nunmehr erst anerkannten Größe würdig. Der unterdessen zum Vizebürgermeister der Stadt Wien aufgestiegene Dr. Karl Lueger war mit dem I. Bürgermeister Strobach erschienen. Als ich mit dem Jesuitenpater Graf bereits im Wagen saß, erblickten wir draußen ein kleines hageres Männchen, das ängstlich nach einem Wagenplatz suchte. Ich öffnete den Wagenschlag und wir nahmen ihn, der sich als Bürgermeister und Abgeordneter von Bruckners Heimatsort Ansfelden vorstellte, mit Freuden auf. In der Karlskirche erklang unter Leitung des Bmcknerdirigenten Ferd. Löwe vom Chor herab das Adagio aus des Meisters „Siebenter“, vom Wiener Philharmonischen Orchester ergreifend vorgetragen. Dr. Lueger fuhr nach der kirchlichen Einsegnungsfeier mit zum Westbahnhof, von dem aus Bruckners Sterbliches nach dem geliebten St. Florian geführt wurde.

War die Begräbnisfeier in Wien höchst eindrucks- und prunkvoll, so war diese in St. Florian in ihrer Einfachheit sicher so recht nach dem Herzen des Verewigten. Eine große Anzahl von Priestern im Roquet gab ihm das letzte Geleite. Es war ein ergreifender Augenblick, als die Bahre in die Krypta, seinem letzten Ruheplatz unter der großen Orgel, versenkt wurde. Von Wien waren nur sein Rechtsfreund Dr. Reis.h und die getreue Frau Kathi mitgekommen. Von seinen ehemaligen Schülern waren nur August Göllerich und ich zugegen. Das berühmte Stift bot alles ,tuf, den toten Meister in würdiger Weise zu ehren. Am nächsten Morgen wurde Bruckners Requiem, ein Jugendwerk des Meisters, aufgeführt.

Eine im Vereine mit Göllerich und Frau Kathi anschließend unternommene Wallfahrt zu seinem Geburtshaus in Ansfelden (das jetzt die Schule beherbergt), ließ uns die bescheidene Umwelt erschauen, der der große Meister entsprossen war.

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