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Anwalt derer ohne Stimme

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Theodor Kramer - ein vergessener österreichischer Dichter.

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Theodor Kramer - ein vergessener österreichischer Dichter.

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Heimat bist du großer Söhne" -aber Österreich hat viele seiner großen Söhne und Töchter vergessen, ins Eck gestellt, und wenn, dann viel zu spät gewürdigt. Austrofa-schismus und Nazizeit waren Zäsuren, Lebenseinschnitte, Lebensbrüche, Abstürze für viele. Andere heimsten Ehre und Geld ein, führten nach lahmen Entschuldigungen und Lippenbekenntnissen ihre in der Nazizeit ungebrochenen oder steil gestiegenen Karrieren weiter ... Die Vergessenen hatten und haben es schwer - nur wenige erleben späte Anerkennung, wie die nunmehr hundertjährige Architektin Margarete Schütte-Lihotzky. Theodor Kramer starb mit zweiundsechzig, kurz nach seiner Rückkehr aus dem englischen Exil. Am ersten Jänner dieses Jahres hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert. Ob die Gedenkfeiern diesen „wirklichen, echten Dichter von ganz außerordentlichen Gnaden und Gaben" (so Franz Werfet) der Vergessenheit entreißen?

In Niederhollabrunn im Weinviertel, in der Nähe Stockeraus, wurde Kramer als Sohn des jüdischen Gemeindearztes geboren. Das Lößland, die Weinberge, die Hochflächen des Waldviertels, die Kornebenen des Marchfeldes, die Steppen um den Neusiedlersee, das alles hat Theodor Kramer später erwandert und in seiner Lyrik wiedererstehen lassen, „zum Weinen klar", wie er einmal schrieb.

Die Luft auf unsren Leiten

ist nicht gerade Una)

es schwingt sich durch die Weilen

von Böhmen her der Wind

Die Apfelbäume geben

nur herbes Fallobst her,

der Grund wirft, was zum Leben

man braucht, grad ab, nicht mehr.

Es ist, ganz ohne Weiches,

gesehen mit Verstand,

kein armes noch ein reiches,

nur eben- unser Land

Er schreibt von den Wanderarbeitern, Kleinhäuslern, Landstreichern, I Iandwerkern, Viehhaltern, von „den Menschen am Rande". Auch die am Rande der Großstadt - Kramer lebte dann in Wien als Buchhändler- zeichnet er mit einer ungeheuer subtilen Wortwahl, die Eisenbahner, Markthelfer, Werkwächter, Pensionisten, Prostituierten, Obdachlosen, die „Menschen ohne Trost". Würde Theodor Kramer heute leben, er fände seine Lyrik in der „Neuen Armut", der Zweidrittelgesellschaft, in denen am Bande von Globalisierung und Neoliberalismus Gestrandeten, bei den Asylanten und Alleinerzieherinnen.

Du schläfst nicht Liegst du, Kind, nicht gut?

Komm, laß mir deine Hand;

das Bett ist schmal, es strömt die Glut

des Tages aus der Wand

Stell im Rollo die Latten fach

und laß die Luft herein;

wir beide, nach der Lust noch

schwach,

wir haben viel gemein.

Ich liebe nur dies Gäßchen hier

und mein beschriebenes Heft;

der Strich, mein schönes Kind, ist dir

auch mehr als ein Geschäft

Ich wette, du hast viel versucht

und hattest niemals Glück;

wir beide kommen wie verflucht

ins Viertel stets zurück.

Und was spricht aus mir,

steht für die, die ohne Stimme sind

Für des Lehrlings Schopf,

für den Wasserkopf,

für die Mütze in des Krüppels Hand,

für den Ausschlag rauh,

für die Rumpelfrau

mit dem Beingeschwür im Gehverband

Mit dreißig Jahren ist Kramer auf einmal „entdeckt", kommt rasch auf die Höhe seines Ruhms, wird in zahlreichen in- und ausländischen Zeitungen gedruckt, kann sogar von seiner Dichtung leben. Dann kommt jäh der Absturz: Hitlers Machtergreifung verschließt den Juden Kramer die deutschen Publikationen - und Kra-

mer selbst verbietet den Naziblättern, seine Gedicht zu drucken. Nach den Februarkämpfen und dem Verbot der Sozialistischen Partei - Kramer war Sozialist und schrieb zahlreiche Gedichte für die „Arbeiterzeitung" -verliert er allmählich alle Foren, Verlage, Leserschaften. Und nach 1938, nach Hitlers Einmarsch in Österreich, kommt das große Schweigen. Im englischen Exil bleiben die Schulhefte, in denen er rastlos schreibt, sich „zu Ende singt", unbeachtet, obwohl er unter den deutschsprachigen Schriftstellern im Exil hohes Ansehen genießt und ein Gedichtband in London erscheint.

Längst hat mein Land mich vergessen;

wenn mich auch hier keiner hört, will mich zu singen vermessen ihnen nur, die es nicht stört sing es dem Fraß im Gemäuer, sing es der Zeit die verrinnt, sing es dem sinkenden Feuer und in den Bäumen dem Wind

Nach dem Krieg bleibt Kramer unentschlossen in England. Er findet

nicht den Mut zur Rückkehr, zum Neubeginn in einem Land, das ihn vergessen hat, ihn auch lange nicht einlädt. Er erkrankt schwer und erst als sich Freunde für ihn einsetzen und Hilfe über den damals im Außenamt tätigen Bruno Kreisky kommt, kehrt er nach Wien zurück - nur um zu sterben. Am 3. April 1958 scheidet Theodor Kramer dahin. „Einer der lebte und starb im Gedicht als Anwalt jener, die ohne Stimme sind", wie es im Nachruf des österreichischen PEN-Clubs heißt.

0 Osterreich, ich möchte nicht sterben müssen,

bevor ich deine Wiesen wiederseh, bevor ich schmause Brot zu jungen Nüssen

und wieder aus dem Stadel riecht der Klee.

Könnt ich vom Knecht erzählen und vom Brenner,

von ihrer Mühsal, und im Kreis der Männer

mir von der Seele singen nachts mein Lied,

du glaubtest mir, daß ich dich nicht verriet.

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