Arbeiterführer trotz Nadelstreif

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Altkanzler Franz Vranitzkys Imagekorrektur: Bankerkarriere und edle Anzugsstoffe ändern nichts daran - "er ist einer von uns"

Einmal war er nicht Pragmatiker; einmal wollte er sich nicht dem Vorwurf aussetzen, Verrat an den SPÖ-Inhalten zu treiben; einmal war Vranitzky nicht Vranitzky - und rausgekommen ist das Konsum-Debakel, eine "zusätzlich zum wirtschaftlichen Aspekt parteipolitisch niederschmetternde Katastrophe". In seiner Autobiografie "Politische Erinnerungen" macht sich Alt-Bundeskanzler Franz Vranitzky den Vorwurf, dass er die Nähe zwischen Konsum und SPÖ nicht verringert und rechtzeitig zu einem Ende gebracht hat.

Der Konsum wurmt den Altkanzler, mehr als das Ende der Arbeiter-Zeitung, denn von den "Träumereien von Sozialdemokraten - wir müssen wieder unsere Zeitung haben' oder wir hätten unsere AZ nicht sterben lassen dürfen'" ist Vranitzky sowieso überzeugt, dass "sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts ausgeträumt sind".

Träume, Visionen - es ist hinlänglich bekannt, dass Vranitzky davon nicht viel hält. Doch so eindeutig ist die Sache nicht. Ein, wenn nicht das Anliegen von Vranitzkys Buch ist es, den Altkanzler aus der Ecke des dumpfen Pragmatikers herauszuholen: "Pragmatismus ist ja nicht Selbstzweck, es ist das Vehikel, um Ideen und Inhalte an ihr Ziel zu bringen", schreibt Vranitzky - und ein andermal nennt er seinen pragmatischen Zugang "den Transmissionsriemen für Grundsätzliches".

Und dass er wisse, was die sozialdemokratischen Grundwerte sind - das ist die zweite Botschaft von Vranitzkys "Politischen Erinnerungen", die in diesem Fall vor allem auf Kindheits- und Jugenderinnerungen zurückgreifen: Den Skikurs konnten seine Eltern nicht bezahlen. "Damals sagte ich mir: Sollte ich irgendwann in eine Situation kommen, dies zu entscheiden, dann werde ich dafür sorgen, dass Lernen nichts kostet.'"

Als Student zog er die manuelle Arbeit der Büroarbeit vor - "aus dem simplen Grund, weil sie besser bezahlt wurde". Und schon am Bau wurde Vranitzky mit den Vorurteilen konfrontiert, die ihn auch später verfolgen sollten: Bei der Mischmaschine hieß es: "Unser Advokat kriegt jetzt schon was auf die Schaufel." Doch nach zwei Monaten Sand und Zement in der Luft und "Austria 3" in der Kehle versteht Vranitzky nicht nur den Bierdurst, sondern bei der Abschiedsjause heißt es sogar: "Jetzt gehst du, wo du einer von uns geworden bist." Und trotz Bankerkarriere und Nadelstreif sei er dieser "einer von uns" immer geblieben, macht Vranitzky klar. Denn nur "in der Logik der Zeitungsschreiber waren die Träger einfarbiger oder karierter Jacken die wahren Arbeiterführer".

Ein bisschen mehr Farbe hätten manche Abschnitte in den "Politischen Erinnerungen" vertragen, doch viele Insider- und Hintergrundgeschichten machen das Buch trotzdem lesenswert. Über sein Verhältnis zu Helmut Zilk sagt Vranitzky: "Ich dürfte nicht seine Kragenweite gewesen sein." Zwischen den Zeilen ist bei Vranitzky sehr oft zu lesen, dass viele politische Mitbewerber nicht seiner Kragenweite entsprechen. Dabei lässt sich Vranitzky jedoch nicht wirklich auf eine Abrechnung mit ihm unliebsamen Persönlichkeiten ein, sondern versagt sich kurzerhand einfach "selber den negativen Luxus, mich mit Thema und Person weiter zu beschäftigen".

POLITISCHE ERINNERUNGEN

Von Franz Vranitzky

Zsolnay Verlag, Wien 2004

461 Seiten, geb., e 25,60

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