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Digital In Arbeit

Arbeitserlebnisse eines Werkstudenten

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Mit der Dauer des Krieget Kauften tich die „Studenteneinsätze”. Vir Studenten mußten, um weiter midieren tu dürfen, in der Fabrik, bei Bauten, auf dem Lande alt Hilfurbeiter tätig sein. Zunächst in den Ferien, dann, alt der Krieg endgültig „total” wurde, wurde man vom Arbeitsamt für die Dauer verpflichtet. Studenten waren billige Arbeitskräfte, sie hatten ihre Arbeiten mehr „ehrenhalber” alt mit einem Anspruch auf Lohn tu leisten. Ich war Fabriksarbeiter, Dachdecker, Packer. Zuletzt, aber da schon wieder' freiwillig, war ich in diesem Sommer bei einem oberösterreichischen Bauern Erntearbeiter. Und das war der schönste „Einsatz”.

In der Fabrik

Am Morgen, es ist noch dunkel, steigen wir aus der Straßenbahn und gehen du Stück zur Fabrik. Alle haben wir den gleichen geduldigen Gang, die Schultern vornübergebeugt, ein wenig verdrossen und müde. Eine Karte nach der anderen wird in die Kontrolluhr gesteckt. Die Kontrolluhr I Sie ist der böse Geist, der die Fabrik beherrscht. Heute braucht man keine Sklaventreiber. Die Kontrolluhr ist billiger und zuverlässiger, eine Minute zu spät, und schon drückt sie unerbittlich den roten Stempel auf die Karte. Das heißt dann Lohnkürzung, wenn es öfter vorkommt Verwarnung. Arbeitsamt, auch Volksgericht. Die Straßenbahn ist schuld, weil der Bombenangriff am letzten Tag die Leitungen zerstört hat? „Stenn S' halt früher auf . ..”

Arbeitserlebnisse eines Werkstudenten

Von Jörg Mauthe

Und dann steht man an der Maschine, und ein Verkstück nach dem anderen wird zwischen die kreischenden Räder geschoben, gefräst, gebohrt und geschnitten. Ein Griff nach dem andern. Immer dasselbe und einige tausendmal im Tag. An etwas anderes denken darf man nicht, Ein Sekunde nicht aufpassen und die Hand ist zerfetzt.

Nach einigen Stunden ist Mittagspause, und das Essen aus der Werkküche, immer gleich sauer und angebrannt, wird schneit hinuntergeschlungen, damit man den üblen Geschmack nicht so merkt. Dann geht man aufs Klosett, um eine Zigarette zu rauchen, denn drinnen in den Sälen ist es verboten. Dabei kommt so etwas wie ein Gesprich mit Arbeitern in Gang. Meistens reden sie über Schrebergarten, fast jeder hat ein kleines Stück Erde irgendwo am Stadtrand, wo er Paradeiser pflanzt und Salat, und das ist ihre Sonntagsfreude und ihr heimlicher Stolz.

Nach einer halben Stunde laufen wieder die Matchinen an. stundenlang machen sie alle wieder dieselben zwei Handgriffe, und ihre Augen passen auf, daß die Hand den Rädern nicht zu nahe kommt. Dann ist der, Tag zu Ende und die ersten Leute von der Nachtschicht treffen ein. Sie gehen zur Straßenbahn wie am Morgen, die Schultern vornübergebeugt, ein wenig verdrossen und müde. Seht ihre Hände an, wenn ihr ihnen im Wagen gegenübersitzt! Sie kommen aus den Armein hervor und ruhen im Schoß aut wie große, geduldige und vielleicht mißhandelte Tiere....

Der Packer Ich habe oft mit ihm gearbeitet, wenn eine Sammlung geborgen werden tollte, und mich schnell mit ihm angefreundet, dem Papa D., einem Künstler seines Fachet. Die kostbarsten Stücke europäischer Museen hat er in den Händen gehabt, sie sorgfältig eingepackt, in Seidenpapier, in Glas- und Holzwolle, in Zellstoff und viele andere Dinge. Jedes Stück will anders behandelt sein. Was für Goldsachen gut ist, das ist schlecht für Glas, und Bronzesachen brauchen andere Schutzhüllen als griechische Vasen oder alte Kirchenfenster.

Während seine großen Arbeitsbinde behutsam und unendlich sorgfältig ein' zerbrechliches Tanagrafigürchen in Seidenpapier einwickeln, erzählt er mir tut seinem Leben. Er hat viel gesehen, ganz Europa kennt er, und überallhin ist er berufen worden, wenn ein besonders kostbarer Gegenstand zu verpacken und zu verschicken war. In Frankreich hat es ihm am besten gefallen, „Die Franzosen sind die nettesten Leute, die es gibt,” sagt er, „und die besten Arbeitskollegen.” Auch London hat ihn sehr beeindruckt. Und er spricht sehr achtungsvoll von englischer Küche und Höflichkeit. Am wenigsten gefällt es ihm in Italien. Venedig!? „Dort fischelt's überall, und ich krieg' dort immer meinen Rheumatismus ...” Nein, Italien findet keine Gnade vor seinen Augen.

Während er erzählt, ist aut der kleinen griechischen Dame ein unförmiges, aber federleichtes Bündel geworden. Einmal hat er in Rom einen goldenen Tafelaufsatz, der von einem Wiener Museum zu einer Ausstellung geschickt worden war, einpacken und nach Hause transportieren müssen. Bit zur österreichischen Grenze saß er allein in einem Wagen und dreißig Soldaten und ein Leutnant bewachten ihn und leinen Schau. „No, und von dort ab habe ich das Packl genommen, hab' mich in ein Abteil g'setzt und du Ding ins Geplcksnetz glegt. Am Abend hab' ich's in Wien auf der Gepäckaulbewahrung aufgegeben. Ja, am nächiten Tag bin ich damit int, Museum g'fahrn...” Das ist keine Nachlässigkeit, du ist einfache . Weisheit, die dreißig Soldaten und einen Leutnant ersetzt.

Aber man darf nicht glauben, daß das Packen immer ein leichter und geruhsamer Beruf ist Da mußten zum Beispiel einmal mitten im Winter aus irgendeinem Grund die Glssfehster der Stephantkirche abgenommen und in Glaswolle gepackt werden. Glaswolle ist.ein heimtückisches Zeug, du sich in den Kleidern festsetzt, und wenn die feinen Glatflden abbrechen, bohren sie sich in die Haut ein und verursachen bösartige Ekzeme. Alto mußten tle mit nacktem Oberkörper in der eins kalten und zugigen Kirche arbeiten, bei 10 Grad unter Null.

Du Schlimmste aber.sind die Vergiftungen, denen der Packer von Bleifiguren und alten Bleitachen ausgesetzt ist. Einmal war er deshalb drei Monate blind. Du war seine böseste Zeit.

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