Armageddon nach Chomsky

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Was passiert, wenn ein berühmter Sprachwissenschafter die Weltpolitik kritisiert und dabei hinter jeder Ecke den Plan des Bösen vermutet? Das Gerede wird zum Buch, mit wenig Fakten dafür aber vielen Mängeln.

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Was passiert, wenn ein berühmter Sprachwissenschafter die Weltpolitik kritisiert und dabei hinter jeder Ecke den Plan des Bösen vermutet? Das Gerede wird zum Buch, mit wenig Fakten dafür aber vielen Mängeln.

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Hermann Hesse verdingte sich nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Kritiker von Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt. Dabei war auffällig, dass er beinahe ausschließlich lobende Rezensionen verfasste und das so erklärte: "Das Positive zu sehen und zu betonen,schien mir immer die Hauptaufgabe. Ist nichts zu loben, so schweige ich." Ein hoch ehrenwerter Ansatz.

Schwierig wird es mit dem Schweigen da, wo man es mit großen Namen zu tun hat, von denen die Welt glaubt, Wichtiges und Neues zu erfahren. Und wenn das Werk dann auch noch vom "wichtigsten Denker der Gegenwart" kommt und mit "Kampf oder Untergang!" titelt, dann steigen Urgenz und Erwartung ins Höchste.

Noam Chomsky ist ehemaliger Professor für Sprachwissenschaft und einer der besonders bekannten Namen der US-Globalisierungskritik, ein scharfsinniger Kritiker der amerikanischen Politik und der Sünden des Neoliberalismus. Das neue Buch setzt sich aus Interviews Chomskys mit Emran Feroz, einem deutschen Journalisten zusammen. Tatsächlich sind die Themen der Zeit ja bedrückend. Chomsky will den Teufelskreis beschreiben, der aus der Konzentration des Reichtums kommt, zu einer Konzentration von Macht führt, die Gräben zwischen Elite und Prekariat vertieft und die Demokratie untergräbt. Dass all das zur Verachtung von Institutionen und zu Hass und zu Populismus führt.

Stilblüten und Indianer

Diese Positionen sind bekannt, aber tiefgehende Analysen dazu wären sicher interessant gewesen. Nur liefert sie "Kampf oder Untergang!" nicht. Hingegen beginn das Büchlein mit einer Geschichtslektion, in der Chomsky damit überraschen will, es habe indianische Hochkulturen schon vor Ankunft der europäischen Eroberer gegeben. Und an diesen ersten Augenbrauenheber reiht sich der nächste und viele andere mehr. Mit verantwortlich: Die miserable Übersetzung des Interviews, durch die auf 220 Seiten eine ansehnliche Sammlung von Sinnentstellungen, Stilblüten und Nonsens zustande kommt. Da heißt es etwa: "Die Geschichte der Kriege gegen die Nationen der Indianer und deren virtuelle Ausrottung und Vertreibung ist wenig bekannt."

Die Auslassungen des virtuellen Lektorats werden tatkräftig ergänzt durch seltsam anmutende Behauptungen, mit denen Chomsky seine Thesen von der Ungerechtigkeit der Welt untermauern möchte. Das beginnt schon bei der Geschichte des Kapitalismus und der Ökonomie. Chomsky schwadroniert von Adam Smith und der ausbeuterischen Dominanz der britischen Handelsleute in der Frühzeit des Kapitalismus in England und meint dann: "Die größten Opfer der Ungerechtigkeit der Engländer waren jedoch anderswo - für Smith insbesondere in Britisch-Indien." Klingt gut, schade Mehr noch: Dort, wo die Beschreibung der Realität als Kritik genügen würde, werden krude Theorien konstruiert, die nach eindrucksvoller Verschwörung nur, dass Britisch-Indien erst entstand, als der gute Adam Smith bereits mehr als 60 Jahre tot war. riechen, sich aber schon bei Überprüfung als peinliche Verdrehung entpuppen. Wenn der Professor etwa die hegemoniale Strategie der USA mit einem ominösen Geheimdokument "PPS23" des State Department belegen will: Die Prüfung ergibt, dass es sich nicht um hochgeheime Pläne der dunklen Macht, sondern um Arbeitsnotizen eines Historikers aus dem Jahr 1948 handelt, der seine Erkenntnisse schon im ersten Absatz als "nicht umfassend" und "fehlerhaft" bezeichnet.

Chomsky scheinen solche Details nicht zu kümmern. Das Gesamtbild ist ohnehin schon gemalt: Die größten aller Verbrechen der Geschichte werden vorzugsweise von den USA begangen und sie sind von langer Hand geplant.

Wo ist der Intellektuelle?

Auf dem Höhepunkt der Abhandlung begibt sich Chomsky auf die Suche nach dem "wahrhaft kritischen Intellektuellen". Diesen achtet er hoch und vergleicht ihn mit biblischen Propheten, die von den Mächtigen verurteilt werden -böser König Ahab. Viel mehr Parallele lässt sich aber bei bestem Willen nicht konstruieren und der Sinn, den diese krude Jahrtausend-Achse ergeben soll, erhellt sich nur, wenn Gott neuerdings aus Chomsky spräche.

Weiter geht es zur Wirtschaftskrise und ihren Ursachen. Auch hier konstatiert Chomsky zunächst richtig, dass Afroamerikaner besonders hart getroffen wurden: "Sehr viele von ihnen verloren ihre Häuser, die für viele das Rückgrat ihres Wohlstandes waren." Aber auch das ist eine Halbwahrheit. Was Chomsky weglässt, ist, dass diese Häuser auf Basis von Schulden und Krediten ohne jede Bonität gebaut wurden, für Menschen, die mittellos in eine Spekulationsspirale gelockt worden waren. Das "Rückgrat" war also Betrug und der Wohlstand Selbstbetrug.

Immer wieder landet das Buch in Argumentationsketten bei den Gräueln der US-Außenpolitik, sei es in Südamerika, auf den Philippinen und in Vietnam, oder zu Hause gegen die Indianer. Aktuell wird es nur, wenn Chomsky die Medien mit ins Gebet nimmt, von "verschleierter Zensur" spricht, die jede Infragestellung der herrschenden Meinung zum Schweigen bringe. Das von ihm bemühte Beispiel für das Versagen von Medien und Meinungseliten ist ausgerechnet der Irakkrieg.

Nichts könnte falscher sein. Neben der UNO waren damals beinahe alle Europäer gegen diesen Kriegsakt, die Debatte beherrschte monatelang die Berichterstattung. Die Motive der Bush-Regierung wurden rund um die Welt in Tausenden Leitartikeln analysiert und zwar äußerst kontrovers. Dass manche Journalisten der Propaganda glaubten, nennt man Irrtum, im besseren Fall Meinungsvielfalt. Und warum sollte es beides nicht geben? Gerade "Kampf oder Untergang!" ist selbst ein gutes Beispiel für beides.

Aktionismus für die Welt

Und während über 180 Seiten der Weltuntergang durch Neokapitalverbrechen beschrieben wird, endet das Gespräch noch mit einer kurzen optimistischen Volte. Chomsky meint nun: "Die Zustände heute sind schrecklich, aber so schlimm sind sie nicht mehr (wie etwa in den 60er-Jahren; Anm.)".

Und wer die Welt rettet? Die Jugend und ihr "Aktionismus". Aber warum sollte das gute Herz von Wenigen ausreichen, das Monster zu entthronen, das im Rest des Buches herbeigeschrieben wird? Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Statt dessen geht Chomsky seltsame Grenzgänge zwischen Bescheidenheit und Größenwahn: "Erst wenn es Aktivisten gibt, Menschen, die eine soziale und politische Veränderung herbeiführen wollen und sich dafür einsetzen, können Menschen wie ich in Erscheinung treten. Wir können prominent werden, weil jemand anderes die Arbeit macht."

Noam Chomsky ist heute 90 Jahre alt. Er wäre tatsächlich ein wichtiger Weiser im Ringen um Reformen. Er hätte Wissen, Erfahrung und Intelligenz, neue Anhänger für seine Ideen zu gewinnen. Aber dazu müsste er noch viel an seinen Thesen arbeiten.

Es ist traurig, dass er das nicht tut, aber auch, das es niemand anderer für ihn macht. Im Fall von "Kampf oder Untergang!" hätte Aktivismus im Sinn solcher Mehrarbeit gute Dienste geleistet. Man hätte dem Leser den Eindruck ersparen können, dass hier Mängelware auf den Markt geworfen wird, die dem "wichtigsten Denker der Gegenwart" zu wenig mehr gereicht als zur Selbstdemontage.

Kampf oder Untergang! Von Noam Chomsky und Emran Feroz Westend 2018 224 Seiten Taschenbuch € 18,50

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