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Armee im Schatten

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Bin Heer im Schatten der Parteien. Die militärgeschichtliche Lage Oesterreichs 1918 bis 1938. Von Ludwig J e d 1 i c k i. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger, Craz-Köln. 194 Seiten. Preis 86 S

„Armee im Schatten“; das war der Titel, den seinerzeit ein später in politisch ungute Hände gefallener Offizier über seinen, dem Opfergang der alten k. u. k. Armee im ersten Weltkrieg gewidmeten Roman nicht zu Unrecht setzte. Dieses „Im-Schatten-Stehen“ scheint ein zeitlos tragisches Geschick österreichischen Soldatentums zu sein. . War es im ersten Weltkrieg ein nicht immer sehr verständnisvoller Bündnispartner, der sich vor das Licht der Weltöffentlichkeit drängte, so geriet die bewaffnete Macht des kleinen Nachfolge-Oesterreich sehr schnell in den Schlagschatten des innenpolitischen Kräftespiels. Gänzlich zum Schemen wurde österreichisches Soldatentum dann nach 1938; allein beheimatet in einsamen Herzen. Und heute sehen wir wieder. .. Doch damit sind wir schon bei der Gegenwart angelangt und wollen doch von dem erst vor wenigen Tagen erschienenen Buch Ludwig Jedlickas sprechen, mit dem dieser Historiker der jüngeren Generation nicht nur seine literarisch-wissenschaftliche Visitenkarte abgibt, sondern auch ein besonders dornenvolles Kapitel österreichischer Wehr- und Zeitgeschichte mutig angeht: die Republik und ihre Soldaten.

Ist schon die politische Geschichte der Ersten Republik von sehr viel Düsternis erfüllt, so fehlen auch in der Militärhistorie dieser zwei Jahrzehnte die hellen Farben. Der Nebel des Novembers 1918 begleitete das neue Heer in allen seinen Metamorphosen von den zusammengewürfelten Bataillonen der „Volkswehr“ über die A'era Vaugoin und die Barrikaden des Jahres 1934 bis zu den Divisionen, die 193 8 an der Traun auf einen Befehl warteten, der nicht kommen sollte.

Nur noch Vertreter der älteren Generation kennen die schweren geistigen Hypotheken, die auf dem Heer, das 1918 antrat, lasteten: die große Diskussion über den Eid, die der bedingte Thronverzicht des letzten Kaisers auslöste. Die Frage der Unterbringung und „Versorgungsansprüche“ der Offiziere der alten Armee des großen Reiches, von denen eine nicht unbeträchtliche Anzahl in das klein gewordene Oesterreich, strömte. Feinde im Innern und an den Grenzen.

Und zu dem allem kam noch das Streben der Parteien, Einfluß auf die bewaffnete Macht zu bekommen, ja dieselbe in ihr Konzept einzubauen. Das durch den Friedensvertrag erzwungene Söldner-\ heer war ein idealer Tummelplatz für solche Ambitionen, während die von der damaligen „wehrfreudigen“ Zeitströmung erfaßte Jugend zu den Fahnen der verschiedenen Parteiarmeen eilte. Mag auch Jedlicka als um Objektivität bemühter Historiker leibst der von keinem guten militärischen Leumund behafteten „Volkswehr“ Gerechtigkeit widerfahren lassen und dieser Truppe Verdienste um die innere Ordnung und Im Kärntner Abwehrkampf zuerkennen (S. 16 ff.), so zeigen die Quellen doch eines deutlich: die Sünde der damaligen Sozialdemokratie gegen den Geist des neuen Staatswesens war nicht einmal sosehr ihr Streben, Einfluß auf den Heeresapparat zu gewinnen — was freilich sofort Gegenkräfte hervorrufen mußte —, sondern etwas anderes: der Versuch, die Nabelschnur zu jeder Ueberlieferung, die vor dem 12. November 1918 lag, radikal abzuschneiden und lieber auf fremde Traditionen zurückzugreifen als aus dem Vätererbe zu schöpfen und dieses neu zu gestalten. Ein Zeugnis jener verhängnisvollen Geisteshaltung ist eine Aeuße-rung des damaligen sozialdemokratischen Militärfachmannes Hugo Schulz, die österreichische Sozialdemokratie kenne keine altösterreichische, sondern nur eine großdeutsche Tradition (S. 71). Und mit einer gewissen Erschütterung liest man in der Gegenwart die damalige Aeußerung einer sehr hohen Persönlichkeit des heutigen Oesterreichs: „Ich rechne es mir als Verdienst an, die deutsche Uniform im österreichischen Bundesheer eingeführt zu haben“ (S. 19),

Nicht aus kleinlicher Freude an Polemik sei dieser Ausspruch festgehalten. Allein er zeigt uns allen, die wir doch seither einiges dazugelernt haben, wie weit die Verwirrung der Geister an der Wiege des neuen Staates war. Sein Ende überrascht uns immer weniger.

Jedlicka ist nicht nur ein genauer Kenner der wesentlichen zugänglichen einschlägigen Akten und Darstellungen. (Von der Solidität der wissenschaftlichen Arbeit geben die Dokumentationen, auf welche die zahlreichen Fußnoten hinweisen, Auskunft.) Es ist ihm auch gelungen, wertvolle neue Quellen erstmalig zu erschließen und dadurch das Geschichtsbild über jene Epoche vorzeitig zu bereichern. Eines der interessantesten Kapitel des vorliegenden Buches — es ist den „Armeen ringsum“ gewidmet — stützt sich zum Beispiel auf ein Manu-, skript des Generalstaatsarchivars a. D. Rudolf Kiszling, der während des letzten Krieges in Belgrad Einsicht in die Originalprotokolle der militärischen Vereinbarungen der. kleinen Entente hatte. Von besonderem Wert aber, und den letzten Teil des Buches bestimmend, sind die dem Verfasser zugänglichen Aufzeichnungen des letzten Chefs des österreichischen Generalstabes, Feldmarschalleutnant a. D. Alfred J a n s a, der in den entscheidenden Jahren vor 1938 zur zentralen Figur des österreichischen Abwehrwillens wurde. Aus dessem Privatarchiv tammt auch ein Großteil der interessanten und in ihin Details so bezeichnenden Bilder, die das vorliegende Buch ergänzen. Im Rahmen seiner Dar-

stellung war Jedlicka auch gezwungen, knappe Skizzen einzelner politischer und militärischer Persönlichkeiten zu geben. Von besonderem Interesse ist es, daß hier auch das erste Mal eine Deutung der so facettenreichen und umstrittenen Person Glaise-Horstenaus versucht wird — mag man nun dieses Porträt in allen einzelnen Zügen getroffen finden oder nicht.

Jedlickas Buch kommt zur rechten Zeit. Nicht nur weil die sooft unterbewertete, ja mitunter sogar als „Hobby“ belächelte Vorliebe eines Zeithistorikers

für militärgeschichtliche Fragen durch das zufällige Zusammentreffen mit den Planungsarbeiten für die Aufstellung eines neuen Bundesheeres eine thematische Aktualität bekommt, von der der Verfasser, als er die ersten Vorarbeiten aufnahm, selbst keine Ahnung gehabt hat. Die „Aktualität“ ist eine andere: Die hochgestimmten Erwartungen, die man vor kurzem noch an die Tatsache knüpfte, daß man das neue Heer des neuen Oesterreichs unbelastet von den Schatten und Fehlern der Vergangenheit aufbauen könne, haben sich leider nur zu einem geringen Teil erfüllt. Schon wieder fällt drohend der Schatten der Parteipolitik auf die bewaffnete Macht. Jedlickas leidenschaftsloser Bericht könnte eine Mahnung sein — ehe es zu spät ist.

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