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Atsdiied für immer

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Eine der lebendigsten Widerstandsgruppen gegen das NS-Regime war der sogenannte „Kreisauer Kreis“, genannt nach dem Gut des Helmuth Grafen Moltke, der der führende Kopf dieser Bewegung war. Sie lehnte zum Unterschied von anderen Widerstandsgruppen die Gewalt ab. Graf Moltke wurde Anfang 1944 verhaftet und in einem Volksgerichtsverfahren unter Vorsitz des berüchtigten Freisler zum Tode verurteilt. Zwischen Strafantrag und Urteilsverkündigung lag ein freier Tag, den Graf Moltke benützte, um einige Abschiedszeilen an seine Frau zu schreiben, die wir im folgenden auszugsweise veröffentlichen.

Meine Liebe, erst mal den Schluß vorweg: um etwa 3 Uhr verlas der Anwalt die Anträge: Moltke: Tod und Vermögensentziehung; Pater Delp, der Jesuit, desgleichen; Reisert und Speer: desgleichen; Fugger: drei Jahre Zuchthaus. Dann kam die Verteidigung, eigentlich alle ganz nett, keiner tückisch. Dann die Schlußworte der Angeklagten, wobei Dein Mann als einziger verzichtete. Das Schöne an dem so aufgezogenen Urteil ist folgendes: Wir haben keine Gewalt anwenden wollen — ist festgestellt; wir haben keinen einzigen organisatorischen Schritt unternommen, mit keinem einzigen Mann über die Frage gesprochen, ob er einen Posten übernehmen wolle — ist festgestellt. Wir haben nur gedacht, und zwar eigentlich nur Pater Delp S. J., Gerstenmaier und ich, die andern gelten als Mitläufer. Und vor den Gedanken dieser drei Männer, den bloßen Gedanken, hat der NS solche Angst, daß er alles, was damit infiziert ist, ausrotten will. Wenn das nicht ein Kompliment ist: Wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben. Es waren Gedanken ohne Absicht an die Gewalt, übrig blieb ein Gedanke: Womit kann im Chaos das Christentum ein Rettungsanker sein? Dieser eine einzige Gedanke fordert morgen einige Köpfe.

Liebes Herz, zunächst muß ich sagen, daß ganz offenbar die letzten 24 Stunden eines Lebens gar nicht anders sind als irgendwelche anderen. Ich hatte mir immer eingebildet, man fühle das nur als SchTeck, daß man sich sagt: nun geht die Sonne das letzte Mal für dich unter, nun gehst du das letzte Mal zu Bett. Von all dem ist keine Rede. Ob ich wohl ein wenig überkandidelt bin? Denn ich kann nicht leugnen, daß ich mich in geradezu gehobener Stimmung befinde. Ich bitte nur den Herrn im Himmel, daß er mich darin erhalten möge, denn für das Fleisch ist es sicher leichter, so zu sterben. Wie gnädig ist der Herr mit mir gewesen! Selbst auf die Gefahr hin, daß das hysterisch klingt: ich bin so voll Dank, eigentlich ist für nichts anderes Platz. Er hat mich die zwei Tage der Verhandlung so fest und klar geführt: der ganze Saal hätte brüllen können, wie der Herr Freisler, und sämtliche Wände hätten wackeln können, und es hätte mir gar nichts gemacht; es war wahrlich so, wie es im Jesaja heißt: Denn so du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß die Ströme dich nicht sollen ersäufen; und so du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.

Dank, mein Herz, vor allem dem Herrn, Dank, mein Herz, Dir für Deine Fürbitte, Dank allen andern, die für uns und mich gebetet haben. Dein Mann, Dein schwacher, feiger, „komplizierter“, sehr durchschnittlicher Mann, der hat das erleben dürfen. Wenn ich jetzt gerettet werden würde, so muß ich sagen, daß ich erst einmal mich wieder zurechtfinden müßte, so ungeheuer war die Demonstration von Gottes Gegenwart und Allmacht. Darum kann ich nur eines sagen, mein liebes Herz: Möge Dir Gott so gnädig sein wie mir, dann macht selbst der tote Ehemann gar nichts. Ich sollte wohl Abschied von Dir nehmen — ich vermag's nicht; ich sollte wohl Deinen Alltag bedauern und betrauern — ich vermag's nicht. Ich sollte wohl der Lasten gedenken, die jetzt auf Dich fallen — ich vermag's nicht. Ich kann Dir nur eines sagen: Wenn Du das Gefühl absoluter Geborgenheit erhältst, wenn der Herr es Dir schenkt, was Du ohne diese Zeit und ihren Abschluß nicht hättest, so hinterlasse ich Dir einen nicht-konfiszierbaren Schatz, demgegenüber selbst mein Leben nicht wiegt. Diese armseligen Kreaturen, wie Freisler: nicht einmal begreifen würden sie, wie wenig sie nehmen können.

Eine große Pause, während der der katholische Gefängnisgeistliche da war und ich.rasiert wurde, außerdem habe ich Kaffee getrunken, Kuchen und Brötchen gegessen. Nun schwätze ich weiter. Der entscheidende Satz in meiner Verhandlung war: „Herr Graf, eines haben das Christentum und wir Nationalsozialisten gemeinsam, und nur dies eine: wir verlangen den ganzen Menschen»“ Ob Freisler sich klar war, was er damit gesagt hat? Denk mal, wie wunderbar Gott dies sein unwürdiges Gefäß bereitet hat: in dem Augenblick, in dem Gefahr bestand, daß ich in aktive Putschvorbereitung hineingezogen wurde, wurde ich verhaftet, damit ich frei von jedem Zusammenhang mit der Gewaltanwendung bin. Dann hat er in mich jenen sozialistischen Zug gepflanzt, der mich als Großgrundbesitzer von allem Verdacht einer Interessenvertretung befreit. Dann hat er mich so gedemütigt, daß ich meine Sündhaftigkeit endlich nach 38 Jahren verstehe, so daß ich um seine Vergebung bitten, mich seiner Gnade anvertrauen kann. Dann gibt er mir Zeit und Gelegenheit, alles zu ordnen, was geordnet werden kann, so daß alle irdischen Gedanken abtallen können. Dann läßt er mich in unerhörter Tiefe den Abschiedsschmerz und die Todesfurcht und die Höllenangst erleben, damit auch das vorüber ist. Dann stattet er mich mit Glaube, Hoffnung und Liebe aus, mit einem Reichtum an diesen Dingen, der wahrlich überschwenglich ist. Dann wird Dein Mann ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft mit Katholiken attackiert und verurteilt zu werden. Dadurch steht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Großgrundbesitzer, nicht als Adeliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher, sondern als Christ und als gar nichts anderes. Zu welch einer gewaltigen Auf-' gäbe ist Dein Mann ausersehen gewesen: all die viele Arbeit, die der Herrgott mit ihm gehabt hat, die unendlichen Umwege, die verschrobenen Zickzackkurven, die finden plötzlich in der Stunde meiner Verurteilung ihre Erklärung. Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war. Alles ist endlich verständlich geworden durch eine einzige Stunde. Für diese eine Stunde hat der Herr sich alle Mühe gegeben.

Ich habe ein wenig geweint, eben, nicht traurig, nicht wehmütig, nicht weil ich zurück möchte, nein, sondern vor Dankbarkeit und Erschütterung über diese Dokumentation Gottes. Uns ist es nicht gegeben, ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen, aber wir müssen seht erschüttert sein, wenn wir plötzlich er kennen, daß er ein ganzes Leben hindurch am Tage als Wolke und bei Nacht als Feuersäule vor uns hergezogen ist und daß er uns erlaubt, das plötzlich, in einem Augenblick, zu sehen. Nun kann nicht» mehr geschehen.

Mein Herz, mein Leben ist vollendet, und ich kann von mir sagen: er starb alt und lebenssatt. Das ändert nichts daran, daß ich gerne noch etwas leben möchte, daß ich Dich gern noch ein Stück auf dieser Erde begleitete. Aber dann bedürfte es eines neuen Auftrages Gottes. Dar Auftrag, für den Gott mich gemacht hat, ist erfüllt. Will er mir noch einen neuen Auftrag geben, so werden wir es erfahren.

Ich höre auf, denn es ist nichts weiter zu sagen. Ich habe auch niemanden genannt, den Du grüßen und umarmen sollst. Du weißt selbst, wem meine Aufträge für Dich gelten. Alle unsere Sprüche sind in meinem Herzen und in Deinem Herzen. Ich aber sage Dir zum Schluß, kraft des Schatze», der aus mir gesprochen hat, und der dieses bescheidene Gefäß erfüllt: Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Helligen Gei-stes sei mit Euch allen. Amen.

Aus „Helmuth James Graf von Maltkt, Letzte Briefe“. Karl Henssel, Verlag, Berlin.

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