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AtuIscLenerregen Je Ausstellung

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Mein Freund, Adriaan Pluvier, der ein zurückgezogenes Dasein in Amsterdam (N. H.) führt, ist ein Maler ungewöhnlicher Bedeutung. Er stellt wenig aus, weil die offizielle Kunstkritik ihm schnuppe ist. Und da die Gefühle gegenseitig sind, ist Pluvier (in den Bierschenken, die er öfter besucht, deutet man ihn mit dem mehr vertraulichen Namen „Plu“ an) nahezu unbekannt, doch darum kümmert Plu sich gar nicht. Er hat wohl mal gesagt: „Auch wenn ich auf einer unbewohnten Insel wohnte, würde ich noch weitermalen.“ Sieh, das sind die wahren Brüder.

Pluvier ist nicht nur Maler, sondern auch Kassenwart der „Aufständischen“: einer Gruppe junger Maler, die auch alle auf unbewohnten Inseln weitermalen würden, wenn es sein müßte, und die auch alle von der offiziellen Kunstkritik verwahrlost werden. Das Band, das sie Zusammenhalt, ist also ein rein negatives: ihre Abgeneigtheit von den picturalen Kunstbonzen. Dennoch meinte ich beim Betreten des kleinen Kunstsaales von Puinck und Baljon in der Kalverstraat eines gemeinschaftlichen Kennzeichens gewahr zu werden. Es ist dieses: ein vollständiges Fehlen irgendeiner Ausbildung oder Schulung, die hemmend auf das freie Ausblühen ihrer Persönlichkeiten einwirken könnte. Hierdurch entziehen ihre -Individualitäten sich einer genauen Rubrizierung. Nimm zum Beispiel das meisterlich kleine Gemälde Pluviers: „Nackt mit kleinem Krug“ und das reife Werk gerade daneben desselben Meisters: „Liegend nackt mit gesprungenem Topf“. Nach der Weise des Malens würde man Pluvier zu den Kubisten rechnen, in der Wahl seiner Gegenstände aber muß man ihn zweifelsohne unter die Nudisten klassifizieren. Am besten betrachtet man Pluvier als einen kubistischen Nudisten oder als einen nudistischen Kubisten. Plu äußerte sich selbst schon mal scherzhaft in diesem Sinne in einer Bierschenke. Es ist ihm übrigens einerlei. Er malt nur weiter. Wenn er nur malen kann.

Verwandtschaft mit der Castricumer Schule ist unverkennbar, und doch sieht man auch deutliche Einflüsse der „Enkhuizer Fünf“. In der Behandlung des kleinen Krugs aber sieht man wieder deutlich die Löwentatze von Picasso, während in der Auffassung des gesprungenen Töpfchens Einflüsse von Braque und Matisse unverkennbar zutage treten. Nummer 56 a des Kataloges läßt uns Pluvier in seiner früheren Periode kennenlernen, da er noch Dadaist war. Das Gemälde stellt einige Dreiecke und einige Kreise vor. Links unter dem Rahmen, ein wenig außerhalb des Gemäldes, sehen wir ein weit geöffnetes Menschenauge. Das Ganze trägt als Titel: „Dämmerung in Harderwijk (Gld)“. Es ist ein ergreifendes Stück Kunstmalerarbeit, warm von Kolorit und schön von Rahmen. Doch lassen wir Pluvier fahren. Der wird es schon schaffen.

Ein ganz anderer Mann ist G o r r e 1- m a n s (unter den Aufständischen nennt man ihn auch wohl Ge). Gorrelmans ist ein sogenannter Pleinairmaler. In dem Filigran seiner duftigen kleinen Landschaften haucht er uns sein schüchternes Seelenleben ins Ohr. Wie weich sein Strich wird, wenn er eine kleine Mühle oder einen Rohrklumpen unter seinen Pinsel nimmt, davon wissen die Beern- ster Bauern ein Lied zu singen. Er verweilt gerne unter diesen einfachen Landleuten. In seinem Äußeren hat er selber etwas von ihrem rauhen Naturell übernommen. Wenn man Ge in der Bierschenke sitzen sieht, die Astrakanmütze auf dem Kopf, die bleichen, ein wenig düsteren Züge, die langen Haare und, vor allem, wenn man ihn plötzlich auf den Holzboden speien sieht, begreift man, daß der Beemster Polder tiefer in seine Seele gefressen hat, als er sich selbst vielleicht bekennen will. Eine interessante Persönlichkeit, über die das letzte Wort noch nicht gesprochen wurde.

Dick de Jong, der einige Stilleben mit breitem Strich gemalt hat, ist auch eine reizende Figur. Er stellt nur Stilleben her, vor allem Fisch und Obst. Dick verfügt dabei über eine sonore Palette, die auf verschwommene graue Abtönung abgestimmt ist. Aber sobald er Gemüse malt, werden seine Farben voll, wie gesättigt. Sieh mal dieses Bündchen Radieschen (Nr. 307). Mit einigen flinken Pinselstrichen wurde das Leben hier auf frischer Tat ertappt. Aber in seinen Rhabarbern leistet Dick das Höchste. Dann zieht er alle Register seiner Palette auf, dann rauschen die grellen, grünen Abtönungen, die bronzigen, braunen, und sein durchtränktes Rot auf die erstaunten Zuschauer nieder.

Auch seine Zwiebelschüsseln haben einen frischen Anstrich, die so treffend gemalt sind, daß einem, wie von selbst, die Tränen in die Augen springen. Aber es ist doch vor allem in seinen Klieschen und Uferschnecken, daß Dick das Hohelied der Sinne aussingt. Wie menschlich von Farbe weiß er eine Scholle aufzusetzen! Herrlich blond von Pinselführung sind auch seine Aepfel und Birnen, die dem Maler den Beinamen von Birnendick gegeben haben.

In der Person Frank van den Oudenaerde stehen wir wieder vor einem ganz anderen Kerl. Van den Oudenaerde (er wird gewöhnlich „Franz“ genannt) ist ein Reisender nach dem Absoluten, ein Wühlender im Ungesehenen, ein Pilger auf dem Weg zum Unbeschränkten. Er ist einer jener Gequälten, die ihre Gemälde sveniger mit Farbe als mit ihrem persönlichen Ringen bestreichen. Franz zerreißt all seine Gemälde. Er findet sie selber „Schund“.. Aber da Franz nicht von der Luft leben kann, bewahrt er eins im Jahre, zur Beurteilung der offiziellen Kunstbonzen, die auch dieses eine Schund finden. Es handelt sich hier um eine abscheuliche Intrige. Die Herren wissen ganz gut, daß, wenn sie Franz schön finden, es um ihre eigene Pfuscherei geschehen ist. Darum behaupten sie ihre Haltung, Franz von pictu- ralem Standpunkt aus zu betrachten. Es ist wohl deutlich, wie einfältig dieser Standpunkt ist. Franz malt nicht, um zu malen. Es ist ihm nicht um malerischen Effekt zu tun. Darauf pfeift er. Er lacht darüber. Er preßt sich selbst in seine Tuben aus. Er will etwas von seinem Innern in Farbe ausdrücken. Franz druckt nun schon Jahre. Aber keiner, der etwas von seiner Druckarbeit versteht. Muß das nun so weitergehen? Muß dieser Mann nun unbedingt erst totgehen, ehe man anfängt, seine Bedeutung einzusehen? Es wird wohl wieder das alte Lied werden: kaum liegt Franz unter dem Rasen, so werden seine Gemälde für Millionen ans Ausland verschachert. Ja, dann ist es zu spät! Warum kauft der Staat seinen „Reißstift mit Kuh“ nicht an? Gibt es denn irgendwo einen Manp, der seinen „Nagelkisten mit Flasche“ begehrt? Will denn niemand das reife „Eisloch mit Holzgewachs“ haben von Franz, der sein ganzes Leben Kohldampf geschoben hat? Es wird allmählich eine traurige Reihe: Rembrandt verkracht, von Gogh verhungert, Frans Hals im Armenhaus, Franz von Mieris in einem Oberstock. Und jetzt wieder dieser Franz. Geh nur weiter. Schöne Geschichte. Angenehm, wenn man Holländer ist. Man schämt sich allmählich die Ohren vom Kopf. Nett ist das. Bah!

Wilhelm van T o n ist zweifelsohne der Begabteste der Gruppe. Van Ton (man sagt auch wohl „Wilhelm“ zu ihm) ist ein Experimentator. Er experimentiert immer nur weiter. Er fing seine Laufbahn in gewaschenen Sepien an, warf sich dann auf die Kreide, ging danach auf Holzkohle über. Darauf folgte eine stille Zeit von Aquarellieren in Paris. Nach Holland zurückgekehrt, ließ er sich in Niederländisch-Flandern nieder, wo er sich auf die Oelfarbe verlegte. Doch dann bricht, um 1940 herum, seine Crayonperiode durch. Dies dauert nur ganz kurz. Denn Wilhelm entdeckt die Möglichkeiten der Guaschmalerei. Hauchzarte Dinge hat er hierin getan. Aber plötzlich reist er nach Gouda ab. Er wird Radierer, zuerstmit der trockenen Nadel, darauf mit anderen Nadeln. Bald langweilt ihn dieses. Er fängt mit Lithographieren an. Aber seine Lichtdrucke werden verkannt. Wilhelm läßt sich jedoch nicht unterkriegen. Er siedelt nach Drente über und versucht es dort mit roter Tinte. In dieser Periode steckt er jetzt. Aber noch ist sein rastloser Geist nicht ausgetobt. Denn da sehen wir wieder eine gewaschene Sepia aus der letzten Zeit, schön von Ton, die er mit einer warmen Farbenskala aufgesetzt hat. On revient toujours ä son premier amour. Wo Wilhelm noch einmal enden wird, läßt sich nicht sagen, wiewohl wir eine Vermutung davon haben.

Wir wollen schließen mit Martinus Kokkelkoorn, den wir bequemlichkeitshalber mit Tinus andeuten werden. Tinus malt vor allem viel. Von ihm stammt die nette Aeußerung: „Wenn man achtzig Gemälde pro Tag zusammenschmiert, ist die Chance größer, daß etwas dabei ist, als daß man fünf pro Jahr macht.“ Da steckt etwas drin. Tinus hat die Ausstellung mit all seinen Gemälden beschickt. Als die Direktion von Puinck und Baljon die Möbelwagen vorfahren sah, war sie einen Augenblick ganz platt. Man hat schließlich eine Wahl aus seiner Arbeit von gestern und vorgestern gemacht. Es war doch schon eine ganze Wand. Was müssen wir von dieser Arbeit nun sagen? Nun, Tinus ist vor allem ein minuziöser Maler, mit einer unendlichen Liebe zu dem Detail. Nichts entgeht seinem mikroskopischen Blick. Schau solch eine „Irdene Schüssel mit Vorgericht“ mal an. Welch ein Stoffausdruck! Wie ein Insekt kriecht er über die Oberfläche seines Natures Mortes, jedes Bläschen und Rißchen mit unerbittlichem Pinsel zutage fördernd. Und doch ist Tinus nicht kleinlich in der Darstellung seiner Objekte. Seine Palette ist breit und männlich, großartig von Vision, sie atmet und keucht; und jeder, der ihr unbefangen gegenübersteht, wird einem ehrlichen Kerl, einem wahrhaften Menschen, kurz Tinus, gegenübergestellt. Und jetzt habe ich es satt. Wer diese Ausstellung nicht sehen will, der soll zu Hause bleiben. Ich habe getan, was ich konnte. Auf Wiedersehen!

(Aus dem Niederländischen übersetzt von A. F. C. Brosens.)

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