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Au den Rand geschliben

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KRISTOS WOSKRES! Am Karfreitag hatte der Papst wie alle katholischen Christen des Erdkreises das grofje Fürbitfgebet für die Kirche verrichtet, „dafj Gott uns ein stilles und ruhiges Leben gewähre, um Ihn zu verherrlichen . Im Namen derer, die nichts anderes wollen als „ein arbeitsames, geachtetes, ehrbares und ruhiges Leben" (so seine Worte), erhob er am Ostermorgen seine Stimme nicht zu einer donnernden Anklage, einem erregten Kreuzzugsaufruf gegen jene, die „tatsächlich ihrer Natur nach unsere Brüder sind" und für die er das Kreuzesworf „Verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" in Anspruch nahm. Der Johannes-Papsf sprach in der unmittelbaren menschlichen Sorge und Anteilnahme für seine Herde, für die „Kleinen’, die die eigentlich Bedrohten von der Unruhe unserer Tage sind. Für sein Auge gibt es weniger die weltpolitische Front- und Farbenlinie der Landkarte als vielmehr den von der steigenden geistig-seelischen Nof bedrängten einzelnen. Man sah sie an diesem Ostermorgen während seiner über den Rundfunk auf dem Erdkreis zu hörenden Worte vor sich, die „offenen und heiteren Mienen’ der Zehntausende auf dem Pefersplatz, aber auch die Stillen und Bangenden irgendwo in der Welt von drüben. Und man fühlte die Kraft der päpstlichen Hirtensfimme, als sie die Zungen der Völker annahm, nach denen des Westens die des christlichen Ostens, der Russen, Bulgaren, Serben, Kroaten. Und man vermochte sich einzufühlen in die Herzen jener, denen er griechisch und altslawisch die Frohbotschaft zurief: „Kristos woskres’... Er ist in Wahrheit, in untrüglicher Sicherheit auferstanden!

GUTE KUNDE AUS LANGENLOIS. Die idyllische Weinstadt am unteren Kamp vereinigte in der vergangenen Woche Männer und Frauen zu einem Gespräch über ein alles andere als idyllisches Thema: „Österreich 1934 bis I960" sfand bei der vom „Arbeitskreis für österreichische Geschichte" einberufenen siebenten Historikertagung zur Debatte. Um es kurz zu sagen: die Langenloiser Tagung war der Durchbruch der vielfach unbe- dankten und bisher im stillen voll- brcfchtėn Arbeit dieser Gemeinsfchaft, die sich eine Vertiefung des geschichtlichen Wissens und festere Verankerung einer österreichischen Staats- gesirmung zum Ziele setzt, in die breite Öffentlichkeit. An allen Orten un in jedem Lager wächst die Einsicht für die Notwendigkeit, ja für die entscheidende Bedeutung der Zeitgeschichte. Führende Männer des öffentlichen Lebens, allen voran der Nationalratspräsident und der Bundesminister für Unterricht, besuchten nicht nur diese Tagung, sondern stellten sich als Referenten für Zeitabschnitte zur Verfügung, über die sie aus einer wachen Erinnerung wesentliche Aussagen zu machen hatten. Das eindrucksvolle Bekenntnis des Besatzungszeitkanzlers Ing. Figl zur Zusammenarbeit drang bis in die Ränge der Politik. Geschichte wird also künftig nicht mehr 1789 oder bestenfalls 1918 enden und nachher die böse Politik anfangen, über die man am besten nicht spricht.

DEN GESETZEN GETREU. In der Debatte über die Verschärfung der Ju- gendschutzgesetze haben niederösterreichische Lehrer und Erzieher in der Karwoche auf einer Tagung in Tullnerbach ein kluges Wort gesprochen. Es genüge manchmal schon, meinten sie, wenn die bestehenden Gesetze korrekt angewendet würden. Welche Eltern — Hand aufs Herz — wissen denn schon, dafj Jugendliche unter 16 Jahren nur in Begleitung eines Erziehungsberechtigten und auch dann nur bis 22 Uhr im Gasthaus Fernsehen dürfen? Gewifj wird der Wirf auf dem Land da und dort seine „lokalen Schwierigkeiten damit haben, genau danach zu handeln. Ortsfremde Streifen könnten ihn da jedes Dilemmas entheben. Oder: Die sogenannten Zensurkarten, das heifjt die Bescheinigungen über die Freigabe eines Films für Jugendliche, tragen auf der einen Seite die Entscheidung Wiens, auf der anderen die der Bundesländer — die nicht immer gleich sind! Ist das nicht eine gewisse Versuchung für den Kinobesitzer, einem Interessenten im Zweifelsfalle die „Kehrseite”, das heifjt günstigere Entscheidung, vorzuzeigen? Auch hier könnte Abhilfe geschaffen werden, indem zwei verschiedene Karten ausgefertigt werden. Man sieht, die bestehenden Gesetze, sinngemäfj und streng angewendet, könnten manchmal schon Wunder wirken.

PAX ATLANTICA. So undankbar es zur Zeit sein mag, Prognosen zu stellen: Wir sind der Überzeugung, dafj die Verhandlungen zwischen Frankreich und Algerien nicht nur aufgenommen werden, sondern in absehbarer Zeit auch zu dem heute einzig mehr denkbaren Schluß, der Selbstbestimmung dieses Landes, kommen werden. Die Gegner einer solchen Verständigung sitzen auf beiden Seiten des Grabens, sie liefern ihre verzweifelten letzten Gefechte. Das Blutopfer des Bürgermeisters von Evian, eines Mannes, der durch die Folterkerker der Gestapo gegangen war und dort sein makelloses Fran- zosentum bewiesen hatte, geht ohne Zweifel auf das Konto der Rechtsextremisten in Frankreich selbst, deren politische Chancen so gut wie verschwunden sind, Dafj Ferhat Abbas in noch undurchsichtigen und orientalisch-vieldeutigen Wendungen die Teilnahme seiner Delegation von neuen Bedingungen abhängig macht, ist wohl weniger der übertriebenen Empörung über eine allfällige Beiziehung der Vertreter einer anderen algerischen Gruppe zu den Schlufj- verhandlungen zuzuschreiben, als dem massiven Druck der nasseristisch oder kommunistisch orientierten Linken innerhalb der Exilregierung selbst. Inzwischen aber ist ein neuer Faktor auf den Plan getreten: Der junge amerikanische Präsident, der ungeachtet des Geschreis der europäischen Kolonialmächte sein Land aus den imperialistischen Versfrik- kungen in Afrika zu lösen beginnt, hat seinen ersten Europabesuch für Paris angekündigt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Lage reif sein für einen nachdrücklichen Appell Kennedys an beide Parteien. Die Pax atlantica, als deren Sachwalter er fungiert, wird sich an dieser durch die europäischen Kräfte allein nicht zu lösenden Frage zum ersfenmal zu bewähren haben: Als ein Inte grations-, nicht ein Herrschaftssystem.

DER SCHACHBRETTKRIEG. Vor kurzem ging eine sachkundige Meldung durch die Weltpresse, der zu entnehmen war, dafj der Laos-Krieg diesen schrecklichen Namen kaum verdiene. Die Zahl seiner bisherigen Tofen sei zweistelllig, die Breite der eigentlichen Kampffront kaum hundert Kilometer. Auch im Fernsehen kon(,ie man in den Osfertagen die laotische Hauptstadt gewahren: Der König nahm eine Jubiläums- parade ab, ein freundlich-jovialer Potentat in westlicher Galauniform. Und man wufjfe laut Kommentar nicht einmal, ob das ferne Donnergrollen vom Kriegslärm oder von Paradegeschützen herkam. Niemand durchschaut das innerlaotische Kräftespiel ganz; die einander befehdenden Prinzen, die taktierenden Generäle und Schranzen. Um so klarer liegen die Dinge auf dem weltpolitischen Schachbrett. Man weilj in Washington nur zu gut, dafj es nicht so sehr um Laos selbst geht als um den katastrophalen Prestigeverlust in Südosfasien, der im Falle einer Einbeziehung des neutralisierten Königreichs ins kommunistische Lager ein- fräte. Eine kaum verhohlene Rückversicherung der letzten westlichen Verbündeten am Pazifik wäre nichf mehr zu vermeiden. Die anderen Wesf- mächte, besonders Frankreich, das als ehemalige Schutzmachf Indochinas die Dinge mit einer süffisanten Gekränktheit betrachtet, sehen an diesem Teil der Wirklichkeit bewufjt oder unbewufjt vorbei. Sie ;ehen die andere Seite der Sache: die Aussichtslosigkeit und Unpopularität eines wirklich heifjen Krieges um eine moralisch nicht mehr zu haltende Position. Die Sowjets haben es bei diesen Gegebenheiten leicht: Sie geben sphinxhaft wortkarg ihre Verhandlungsbereitschaft bekannt, verhindern dadurch amerikanische Gegenoperafionen und lassen ihre „Bauern" auf dem militärischen Feld laufen.

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